European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:0130OS00084.9200009.0916.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB (Faktum A III) sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Werner L* wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe in der Zeit von Herbst 1990 bis 23. März 1991 in Wien die unmündige Lydia Ko*, geboren am 7. Oktober 1980, dadurch, daß er sie mehrmals auf den Mund küßte, wobei er ihr die Zunge in den Mund steckte, er habe (auch) hiedurch das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Für die verbleibenden Schuldsprüche wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB (Fakten A I und II) sowie der Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs 1 StGB (Faktum B) und der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach dem § 208 StGB (Faktum III) wird über Werner L* nach dem § 207 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 Monaten verhängt.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Strafneubemessung verwiesen.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Werner L* zu A des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB, zu B des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs 1 StGB und zu C des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach dem § 208 StGB schuldig erkannt.
Darnach hat er in der Zeit von Herbst 1990 bis 23. März 1991 in Wien
A/ unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, und zwar
I. den unmündigen Markus Ku*, geboren am 24. März 1984, durch mehrmaliges Abgreifen am Geschlechtsteil nach dem Baden,
II. den unmündigen Alexander Ko*, geboren am 28. Jänner 1983, durch Einführen des Zeigefingers in den After und Berührung sowie Vornahme ziehender Bewegungen an seinem Geschlechtsteil und
III. die unmündige Lydia Ko*, geboren am 7. Oktober 1980, durch Einführen der Zunge zwischen die Lippen der Minderjährigen;
B/ unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dem seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden Minderjährigen Markus Ku* diesen durch die zu A I beschriebene Handlung zur Unzucht mißbraucht sowie
C/ mehrmals vor dem Unmündigen Markus Ku* Selbstbefriedigungshandlungen, sohin Handlungen, die geeignet sind, die sittliche und seelische Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen und seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden Person unter 16 Jahren vorgenommen, um dadurch sich geschlechtlich zu erregen.
Rechtliche Beurteilung
Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf die Z 5, 5 a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützt wird. Den Strafausspruch ficht er mit Berufung an.
Ins Leere geht zunächst der Vorwurf der „unzureichenden und aktenwidrigen“ Begründung (Z 5) der erstgerichtlichen Annahme des mehrmaligen Mißbrauchs des Markus Ku* zur Unzucht (Faktum A I, B); diese Feststellung findet in den (von den Tatrichtern für glaubwürdig befundenen) Angaben des Tatopfers im Zuge seiner Unterredung mit der psychologisch geschulten Polizeibeamtin Silvia P* hinreichend Deckung (vgl AS 69 f iVm AS 147 f). Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vermißte gesonderte Auseinandersetzung mit der (von den Tatrichtern in ihre Erwägungen miteinbezogenen, US 10) Aussage der Kindesmutter Waltraud Ku*, die vor der Polizei Wahrnehmungen über einen Mißbrauch ihres Sohnes verneint (AS 19) und in der Hauptverhandlung nur über eine Information durch ihren Sohn von höchstens zwei derartigen Vorfällen berichtet hatte (AS 146), war nicht geboten: Im Hinblick auf die gerichtsbekannte Tatsache, daß im Familienbereich mißbrauchte Kinder diese Vorfälle in der Regel verdrängen und ‑ so wie hier ‑ erst durch einfühlsames Einwirken einer speziell geschulten Fachkraft bewegt werden können, über solche Geschehnisse zu sprechen, kommt dem Umstand, daß sich das Kind seiner Mutter gegenüber nur zögernd und ungenau offenbarte, angesichts der den Beschwerdeführer belastenden Darstellung des Tatopfers Markus Ku* vor der Polizei (vgl S 70 dA) keine eine nähere urteilsmäßige Erörterung gebietende Bedeutung zu.
Mit der weiteren Behauptung, den Entscheidungsgründen wäre keine Begründung dafür zu entnehmen, daß Markus Ku* im Deliktszeitraum der Erziehung und Aufsicht des Beschwerdeführers unterstand, setzt sich der Beschwerdeführer über die Ausführungen im angefochtenen Urteil hinweg, nach denen er mit dem damals erst 6‑jährigen Sohn seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt lebte und zwischen ihnen praktisch ein Vater‑Kind‑Verhältnis bestand (siehe insbesondere US 9 iVm US 7). Dies entspricht aber der Feststellung eines im § 212 Abs 1 StGB normierten Autoritätsverhältnisses im Sinne eines faktischen Schutzverhältnisses, das durch eine Über‑ und Unterordnung gekennzeichnet ist und in dessen Rahmen für den Täter die Pflicht zur Beaufsichtigung in sittlicher Hinsicht besteht (vgl Leukauf‑Steininger 3 RN 5 ff zu § 212 StGB).
In Bekämpfung des Schuldspruches C wegen Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren verweist der Beschwerdeführer auf den „unmittelbaren Zusammenhang“ der ihm dort angelasteten Selbstbefriedigung mit dem Mißbrauch des Markus Ku* zur Unzucht (A I) und leitet daraus ab, daß die „sich als Folge der Unzuchtshandlung darstellende“ Selbstbefriedigung keiner gesonderten Bestrafung (nach dem § 208 StGB) unterliege.
Diese Argumentation läßt vorweg außer acht, daß der Aussage des Markus Ku*, aber auch den mittelbaren Bekundungen der Waltraud Ku* unzweifelhaft zu entnehmen ist, daß zwischen den unzüchtigen Betastungen des Kindes und den masturbatorischen Handlungen des Beschwerdeführers jedenfalls ein zeitlicher Abstand lag (vgl AS 69 f, 146). Schon die darauf gegründete Folgerung der Tatrichter auf das Vorliegen gesonderter Willensentschlüsse des Beschwerdeführers rechtfertigt eine gesonderte Zurechnung des demzufolge realkonkurrierenden Tatverhaltens, ganz abgesehen davon, daß hier von einer sogenannten typischen Begleittat (der Selbstbefriedigung vor dem Tatopfer gegenüber den Unzuchtshandlungen im Sinne des § 207 Abs 1 StGB) als ein Fall der Konsumtion nicht gesprochen werden kann (vgl Leukauf‑Steininger StGB3, RN 46 zu § 28 StGB).
Die (ersichtlich sämtliche Fakten betreffende) Rüge der Nichtbeachtung der Angaben der Zeugin Silvia P*, wonach „die Aussagen der Kinder nur stockend und vage gemacht wurden“, vermag eine Mangelhaftigkeit der Urteilsbegründung gleichfalls nicht aufzuzeigen: Ein die Glaubwürdigkeit der Anschuldigungen der Tatopfer in Frage stellender Sinngehalt ist nämlich der Aussage dieser Zeugin nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen. Silvia P* hob zwar die Schwierigkeit, die Kinder zu sachdienlichen Angaben über die für sie sichtlich unangenehmen Erlebnisse mit dem Angeklagten zu bewegen, anschaulich hervor, ließ aber nicht den geringsten Zweifel an ihrer Überzeugung offen, daß die letztlich doch konkreten Ausführungen der einzelnen Tatopfer dem tatsächlichen Geschehen entsprachen (AS 148).
Letztlich bedurfte auch der ‑ ersichtlich ohne Bezug auf das vom Urteil erfaßte Tatgeschehen rein illustrativ gegebene ‑ Hinweis der Zeugin Waltraud Ku*, daß sie „einmal einen Mann hatte, der über ihre zwei Töchter ging“ (AS 144), keiner beweiswürdigenden Auseinandersetzung; vermag doch dieser im Zuge der Beweisaufnahme nicht weiter erörterte Vorfall die Richtigkeit der Angaben der davon gar nicht betroffenen nunmehrigen Unzuchtsopfer keinesfalls in Frage zu stellen.
Sofern der Beschwerdeführer sein Vorbringen zur Mängelrüge auch unter dem Gesichtspunkt einer Tatsachenrüge (Z 5 a) geltend macht, genügt der Hinweis, daß die ins Treffen geführten Argumente weder einzeln noch im Zusammenhang geeignet sind, Bedenken, und schon gar nicht solche erheblicher Natur, gegen die den Schuldspruch tragenden Tatsachenfeststellungen zu erwecken.
In Ausführung des Nichtigkeitsgrundes der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO bestreitet der Beschwerdeführer, daß das ihm angelastete Einführen des Zeigefingers in den After (A II) und der Zunge zwischen die Lippen des Tatopfers (A III), dem Begriff des Mißbrauchs zur Unzucht im Sinne des § 207 Abs 1 StGB (in objektiver Hinsicht) entspreche.
Dieser Rechtsrüge kommt zum Teil Berechtigung zu:
Unzucht im Sinne der vorgenannten Gesetzesbestimmung erfordert nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung ein Tatverhalten, das schon nach seinem objektiven Charakter zum Geschlechtsleben (strafgesetzwidrig) in einer solchen Beziehung steht, daß zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige, somit solche den männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige und sexual sinnbezogene Berührung gebracht werden (vgl Leukauf‑Steininger, Komm3, § 207, RN 5 ff). Dieser Anforderung wird aber nur das Einführen des Fingers in den After des Tatopfers gerecht; denn unter Bedachtnahme auf allgemein bekannte Sexualpraktiken homo‑ und heterosexuellen Charakters ist auch der After grundsätzlich als der Geschlechtssphäre zugehörig zu werten, sodaß eine nicht bloß flüchtige und sexual sinnbezogene Berührung dieses Körperteils eine Unzuchtshandlung darstellt (vgl 12 Os 55/91).
Anders verhält es sich mit dem Einführen der Zunge zwischen die Lippen eines Kindes: Diese Handlung ist, mag sie auch beim Beschwerdeführer sexuell motiviert gewesen sein, an sich sexuell neutral, sodaß sie für sich allein schon objektiv den Anforderungen des Unzuchtsbegriffes nicht entspricht (vgl Leukauf‑Steininger aaO, RN 7). Da der Aktenlage (vgl hiezu insbesondere die Aussage der Lydia Ko*, AS 63 f) auch kein Indiz für einen weitergehenden deliktischen Vorsatz des Beschwerdeführers zu entnehmen ist, kommt in Ansehung der zuletzt erörterten, sexuell indifferenten Handlung ein strafbares Verhalten des Beschwerdeführers nicht in Betracht.
Demnach war der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im zuletzt aufgezeigten Umfang Folge zu geben, der Schuldspruch im Faktum A III zu kassieren und Werner L* von diesem Anklagevorwurf freizusprechen; im übrigen aber war die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.
Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlich gewordenen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend die Begehung mehrerer strafbaren Handlungen derselben und verschiedenen Art sowie die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen, als mildernd hingegen nichts.
Unter Abwägung dieser Strafzumessungsgründe sowie bei Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Angeklagten erweist sich nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 Monaten tätergerecht und schuldangemessen.
Der Anwendung des § 43 a Abs 4 StGB stand das belastete Vorleben des Angeklagten entgegen.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
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