European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00080.23Y.1115.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Beschwerde gegen den Beschluss auf Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben.
Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird der Angeklagte hierauf verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde gegen den zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschluss werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. Mai 2023 (ON 24.3) wurde * K* eines Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und eines Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
[2] Inhaltlich des Schuldspruchs hat er in W* mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz einem anderen fremde bewegliche Sachen
(I) am 19. März 2023 durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe weggenommen, indem er * S* zur Übergabe von zwei Packungen Shisha‑Kohle aufforderte und ihm eine Schreckschusspistole vorhielt, sowie
(II) am 5. Dezember 2022 wegzunehmen versucht, indem er aus einem Geschäftslokal des Unternehmens M* Kopfhörer entnahm und in seiner Jackentasche verbarg.
[3] Gegen dieses Urteil meldete er – fristgerecht – Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe (ON 24.2 S 23) und solcherart (implizit) auch Beschwerde gegen den zugleich mit dem Urteil ergangenen Beschluss auf Widerruf zweier bedingter Strafnachsichten und auf Verlängerung zweier Probezeiten an.
[4] Am 28. Juni 2023 verfügte der Vorsitzende die Urteilszustellung an die Verteidigerin zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel binnen vier Wochen (ON 1.16).
[5] Ausweislich des diesbezüglichen Zustellnachweises wurde der Verteidigerin die Urteilsausfertigung mit Wirksamkeit (§ 89d Abs 2 GOG) vom 29. Juni 2023 im elektronischen Rechtsverkehr (ERV) zugestellt.
[6] Mit Beschluss vom 3. August 2023 wies der Vorsitzende des Schöffengerichts die Nichtigkeitsbeschwerde zurück (ON 31).
[7] Um 21:39 Uhr desselben Tages langte eine elektronisch eingebrachte – mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbundene – Ausführung der (auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützten) Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung des Angeklagten ein (ON 30.1).
Rechtliche Beurteilung
[8] Gegen den zuletzt bezeichneten Beschluss richtet sich die (am 8. August 2023 eingebrachte) Beschwerde des Angeklagten, mit welcher sowohl der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wiederholt wird (ON 34.1).
Zur Beschwerde gegen die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde:
[9] Nach der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde hat der Beschwerdeführer das Recht, binnen vier Wochen (soweit hier von Bedeutung) nach Zustellung einer Urteilsabschrift eine Ausführung der Beschwerdegründe bei Gericht zu überreichen (§ 285 Abs 1 StPO).
[10] Zwar ging der Vorsitzende des Schöffengerichts auf der Basis der Aktenlage zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung rechtsrichtig davon aus, dass der Angeklagte weder bei der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde noch (mit Blick auf den Zeitpunkt der Zustellung laut Zustellnachweis) innerhalb der vierwöchigen Ausführungsfrist Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat (§§ 285a Z 2, 285b Abs 1 StPO).
[11] Die erwähnten Schriftsätze des Angeklagten (ON 30.1 und 34.1) enthalten jedoch demgegenüber neues Tatsachenvorbringen, das durch (vom Beschwerdeführer vorgelegte) Bescheinigungsmittel gestützt wird. Nach dem Sachverhalt, den der Oberste Gerichtshof seiner Entscheidung mit Rücksicht darauf zugrunde legt (vgl Ratz, WK‑StPO § 285b Rz 6), sind die elektronisch übermittelten Daten der Urteilsausfertigung aufgrund eines technischen Gebrechens – abweichend vom Zustellnachweis – erst am 11. Juli 2023 in den elektronischen Verfügungsbereich der Verteidigerin gelangt (vgl [zu § 89d Abs 2 GOG idF vor BGBl I 2012/26] 10 ObS 113/12h EvBl 2013/54 [Schwab]). Demnach gilt der darauf folgende Werktag als Zustellungszeitpunkt (§ 89d Abs 2 GOG), sodass die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (erst) mit Ablauf des 9. August 2023 endete.
[12] Damit erweist sich deren Ausführung am 3. August 2023 (ON 30.1) als fristgerecht.
[13] Dies führte zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in Stattgebung der dagegen gerichteten Beschwerde.
[14] Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die – solcherart gar nicht erfolgte – Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde war der Angeklagte hierauf zu verweisen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
[15] Die Mängelrüge (Z 5) erschöpft sich in dem – ohne Bezugnahme auf die Urteilsgründe erhobenen (siehe aber RIS‑Justiz RS0119370) – Vorwurf, die Tatrichter hätten sich mit Aussagen des Angeklagten und des Zeugen S* „zuwenig“ auseinandergesetzt, sodass „die“ – ebenso wenig bezeichneten (siehe aber RIS‑Justiz RS0130729 [T1]) – „Feststellungen des Erstgerichtes“ „unvollständig, undeutlich und nicht nachvollziehbar und in seinem gesamten Akteninhalt widersprüchlich“ seien. Begründungsmängel werden damit nicht gesetzmäßig geltend gemacht, sondern bloß unsubstantiiert behauptet.
[16] Die Subsumtionsrüge (Z 10) entwickelt ihre Forderung nach einer rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch I umfassten Tat unter § 131 StGB (anstelle von §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB) nicht auf der Basis der dazu getroffenen Urteilsfeststellungen (US 4 bis 6, vgl auch US 9 f), sondern beschränkt sich darauf, diese beweiswürdigend zu bestreiten. Damit bringt sie den herangezogenen (materiell‑rechtlichen) Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS‑Justiz RS0099810).
[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[18] Die Entscheidung über die Berufung und die (gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtende) Beschwerde gegen den Beschluss nach § 494a StPO kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).
[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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