OGH 13Os65/96

OGH13Os65/968.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Ebner, Dr. Rouschal und Dr. Holzweber als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gottweis als Schriftführerin in der Strafsache gegen Raimund W***** wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13. Februar 1996, GZ 9 Vr 2720/95-19, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu I. 2. (und II in bezug auf I.2) und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Raimund W***** wurde mit dem bekämpften Urteil wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 und 15 StGB (I.) und des teils vollendeten, teils versuchten Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 und 15 StGB (II.) schuldig erkannt, weil er (zu nicht näher bestimmten Zeiten im Sommer 1994 anläßlich eines Ferienaufenthaltes in Kroatien) die seiner Aufsicht unterstehenden Unmündigen Daniela (geboren am 6.Oktober 1984) und Andrea D***** (geboren am 13.Oktober 1983) auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbrauchte und dies versuchte, indem er mit dem Vorsatz, das Mädchen zur Unzucht zu mißbrauchen, bei dem jüngeren seiner beiden Opfer (während dieses im Bett lag) die Unterhose hinunterzuziehen begann, dieses sich aber abwandte und am Fußende des Bettes zusammenkauerte, weswegen es beim Versuch blieb (I. 1.), sich unmittelbar darauf neben das andere Mädchen unter die Decke legte und dieses an der Scheide betastete (I. 2), sowie in der nächsten Nacht unter der (Bett-)Decke dem älteren Mädchen die Pyjamahose bis zu den Knien herunterzog, sie am Genitale betastete und streichelte und mit seinen Fingern in ihre Scheide einzudringen versuchte (3.), wobei er die Mädchen durch diese Handlungen unter Ausnützung seiner Stellung zur Unzucht mißbrauchte bzw dies versuchte (II.).

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen erhobene, auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5 a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist zum Teil berechtigt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bemängelt die Abweisung von in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträgen auf Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen und Beischaffung "des Fürsorgeaktes" der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz.

Der Antrag auf Bestellung eines medizinischen Sachverständigen aus dem Gebiet der Gynäkologie wurde zum Beweis dafür gestellt, daß man Manipulationen, "wie sie angeblich der Angeklagte an Andrea D***** vorgenommen hat, nach einem Jahr nicht mehr feststellen kann" (Hauptverhandlung vom 16.Jänner 1996, S 203) bzw "daß die festgestellten Manipulationen nicht mit den Tathandlungen im Einklang stehen" (Fortsetzung der Hauptverhandlung am 13.Februar 1996, S 253).

Das Schöffengericht wies diesen Antrag nach Vernehmung der (sachverständigen) Zeugin Dr.Monika S***** (S 221 ff), die das Mädchen gynäkologisch untersucht hatte (S 23), mit der Begründung ab, aus deren Vernehmung stehe fest, daß auch ein Sachverständiger wegen Fehlens (ergänze: weiterer) Beweisunterlagen aus der Ambulanzkarte keine anderen Schlüsse ziehen könne als die Zeugin (S 255).

Aus der Aussage dieser Zeugin, die das wegen einer Gastroskopie narkotisierte Mädchen gynäkologisch (am 23. Juni 1995) untersucht hatte, ergibt sich, daß deren Hymenalverletzung länger als ein Monat alt war, das genaue Alter der Verletzung jedoch nicht feststellbar ist. Die Verletzung wurde durch eine Penetration oder Manipulation verursacht. Bei einer Manipulation mit dem Finger kann, aber muß kein Einriß des Hymenalsaums entstehen. Durch oberflächliche Betastung des Hymenalsaums kann die Verletzung nicht entstanden sein.

Dem Beschwerdevorbringen zuwider ist die angelastete ("angebliche" bzw "festgestellte") Manipulation jedoch wohl mit den ("Strafhandlungen", siehe Beschwerdeausführung S 300, gemeint jedoch) Verletzungen des Opfers in Einklang zu bringen. Geht man vom festgestellten Versuch des Angeklagten aus, mit seinen Fingern in die Scheide des Mädchens einzudringen, wobei sich dieses um das zu verhindern zugleich wegdrehte (US 3 iVm 6), ergibt sich einerseits keine Diskrepanz zur festgestellten Zeugenaussage, andererseits hätte es aber bei dieser Beweislage der Anführung von konkreten Umständen bedurft, inwieweit die Durchführung des beantragten Sachverständigenbeweises geeignet gewesen wäre, die dem Gericht durch die Gesamtheit der bereits vorliegenden Verfahrensergebnisse (Zeugenaussage der untersuchenden Ärztin im Zusammenhalt mit der Zeugenaussage des Opfers, der Angeklagte habe versucht, mit seinem Finger in ihre Scheide einzudringen, sie habe sich aber weggedreht, S 72, Verlesung S 253) vermittelte Sach- und Beweislage maßgeblich zu verändern (Mayerhofer/Rieder, StPO3, § 281 Z 4 E 83).

Die Beschwerde, die in diesem Zusammenhang nur von einer "oberflächlichen Betastung des Hymenalsaums" ausgeht, durch die es nach der Aussage der (sachverständigen) Zeugin zu keiner Verletzung gekommen sein kann, übersieht die vom Opfer geschilderte (und von den Tatrichtern als glaubwürdig angesehene) Manipulation des Angeklagten (Versuch des Fingereinführens).

Ähnliches gilt für den Antrag auf Beischaffung des "Fürsorgeaktes Leibnitz" zum Beweise dafür, daß das Opfer schon im Schuljahr 1993/94 erhebliche schulische Probleme hatte (S 203). Dieser Antrag war vom Erstgericht mit dem Hinweis auf die Aussage der dazu vernommenen Zeugin Theresia A*****, einer Sozialarbeiterin der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz (S 205), abgewiesen worden, die in diesem Zusammenhang angab, der Schulerfolg des Mädchens sei nach dem Urlaub (in dem der Mißbrauch der beiden unmündigen Mädchen erfolgt war) schlechter geworden, die Lernschwierigkeiten seien im Schuljahr 1994/95 sehr intensiv gewesen.

Das Erstgericht konnte den (entscheidungsirrelevanten) Umstand, ob schon im Schuljahr vor dem den Angeklagten angelasteten Verbrechen erhebliche schulische Probleme bestanden (Beweisantrag S 203) dahingestellt sein lassen, ergab sich doch aus der Aussage der bereits zitierten Zeugin eine für sie auffällige (weitere) Verschlechterung der Schulleistungen nach den Ferien, die das Erstgericht entgegen der Beschwerdebehauptung unter Beachtung des Übertrittes von der Volks- zur Hauptschule (US 7) erst nach anderen besonderen psychischen Auffälligkeiten, die an der Unmündigen beobachtet worden waren, seinen Überlegungen (im wesentlichen jedoch nur illustrativ, siehe US 10) zugrunde gelegt hat. In weiterer Folge erhellt daraus aber auch, daß durch die Unterlassung der Beischaffung der bezüglichen Akten der Jugendwohlfahrtsbehörde Verteidigungsrechte des Angeklagten ebensowenig verletzt werden konnten.

Die Mängelrüge (Z 5) behauptet Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit und Undeutlichkeit des Ausspruches über entscheidende Tatsachen. Neben der Anfechtung des Schuldspruchfaktums I./2. (siehe dazu unten) releviert sie allgemein unter Hinweis auf Diskrepanzen in den Zeugenaussagen der beiden mißbrauchten Mädchen mangelnde Auseinandersetzung des Erstgerichtes mit solchen Differenzen und auch mit anderen Beweisergebnissen. Diese Reklamationen sind in Wahrheit jedoch nicht begründet.

Die Tatrichter stützten ihre Feststellungen ausdrücklich auf die in der Hauptverhandlung verlesenen kontradiktorischen Zeugenvernehmungen der beiden Tatopfer (US 11 f). Den Aussagen der beiden Mädchen wurde keineswegs in jedem Detail einschränkungslos gefolgt, jedoch in dem Rahmen, in dem sie zur Feststellung des Sachverhaltes herangezogen wurden und der auch durch die Überlegungen des Schöffengerichtes zu einzelnen Abweichungen (etwa bei der Bestimmung der Tatzeiten) und Einschränkungen gezogen wurde, als in diesem Umfang völlig glaubwürdig erachtet (US 10, 12 und 13). Die vom Schöffengericht in diesem Zusammenhang für seine Überlegungen gegebene Begründung (emotionale Instabilität von Andrea D*****, Auftreten psychischer und physischer Symptome, langes Zurückliegen der Vorfälle) entspricht den Gesetzen der Logik und weist damit formelle Begründungsmängel nicht auf.

Weiters hat sich das Schöffengericht entgegen den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen ohnehin mit der Aussage des Zeugen Erwin K***** auseinandergesetzt, ihr aber mit ausreichender Begründung keine Bedeutung beigemessen (US 14 f).

Die bereits im Rahmen der Verfahrensrüge vorgebrachten Einwände gegen die Feststellung der Hymenalverletzung bei Andrea D***** vermögen ebensowenig einen formellen Begründungsmangel aufzuzeigen, weil das Erstgericht dies aus der für glaubwürdig erkannten Aussage dieser Zeugin (Versuch des Eindringens mit dem Finger, worauf das Opfer mit Wegdrehen des Körpers reagierte; S 70, Verlesung in der Hauptverhandlung S 253) im Zusammenhalt mit jener der Zeugin Dr. Monika S***** (s.o.) mängelfrei schließen konnte.

Ein bloß oberflächliches Betasten der Scheide des Mädchens durch den Angeklagten bei dieser Gelegenheit läßt sich weder den Beweisergebnissen entnehmen noch hat das Schöffengericht darauf abgestellt. Damit vermag die Beschwerde aber auch keine Widersprüchlichkeit (also die Konstatierung von einander ausschließenden entscheidenden Tatsachenfeststellungen durch das Erstgericht nebeneinander) aufzuzeigen.

Die Tatrichter haben die Beweisergebnisse, die ihren Feststellungen zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt widersprechen, auch keineswegs ungewürdigt gelassen oder mit Stillschweigen übergangen, sondern im Rahmen der durch § 270 Abs 2 Z 5 StPO gebotenen gedrängten Darstellung infolge der erforderlichen Gesamtschau dieser Ergebnisse in ihrem Zusammenhang (insbesondere US 11 ff) lediglich im Rahmen freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) daraus andere Schlüsse gezogen, als dies vom Angeklagten im Zuge seiner leugnenden Verantwortung und der Ausführung zur Mängelrüge angestrebt wurde. Dies trifft insbesondere auf die Würdigung der Verfahrensergebnisse zum Gesundheitszustand und Schulerfolg von Andrea D***** zu, soweit ihnen entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt.

Die dem Urteil vorgeworfene Undeutlichkeit, die nur dann gegeben wäre, wenn sich aus den Feststellungen des Gerichtes über entscheidende Tatsachen nicht erkennen ließe, welche Handlungen der Angeklagte mit welchem Vorsatz nach Ansicht des Erstgerichtes vorgenommen hat (Mayerhofer/Rieder, aaO, § 281 Z 5 E 42), liegt nicht vor. Bereits aus dem (zusammen mit den Entscheidungsgründen eine Einheit bildenden) Spruch des Urteils läßt sich nämlich entgegen den in dieser Richtung aufgestellten Beschwerdebehauptungen in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise (zur Vermeidung einer allfälligen Doppelverurteilung wegen derselben Tat) mit ausreichender Bestimmtheit auch bezüglich der Tatzeiten entnehmen, welche Tathandlungen dem Angeklagten angelastet werden.

Die Beschwerde stützt sich zwar in weiterer Folge auch auf § 281 Abs 1 Z 5 a StPO (S 300), läßt aber in diesem Zusammenhang eine konkrete Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes (im Sinne einer deutlichen und bestimmten Bezeichnung der Tatumstände, die diesen Nichtigkeitsgrund bilden sollen; § 285 a Z 2 StPO) vermissen. Die Ausführungen der Mängelrüge vermögen inhaltlich keine aus den Akten hervorkommenden Umstände aufzuzeigen, die erhebliche Bedenken gegen die von den Tatrichtern vorgenommenen Feststellungen entscheidungswesentlicher Tatsachen hervorrufen könnten.

In diesem Umfang mußte die Nichtigkeitsbeschwerde daher scheitern.

Zum Schuldspruchsfaktum I./2. ist sie hingegen im Recht. Sie releviert insgesamt (inhaltlich) unzureichende Begründung der in dieser Hinsicht getroffenen Feststellungen, indem sie auf den Inhalt der Zeugenaussage des Opfers verweist, daß ein Mißbrauch nur während einer Nacht erfolgt sei (Versuch des Eindringens mit dem Finger in dessen Scheide, S 72).

In diesem Zusammenhang ist das Schöffengericht davon ausgegangen, daß das Opfer (Andrea) vom Betasten seines Geschlechtsteiles nichts bemerkte, weil es geschlafen habe (US 5 f). Eine Wahrnehmung des mißbrauchten Mädchens kann dazu somit nicht vorgelegen sein. Auch das zweite Tatopfer (Daniela), auf dessen Zeugenaussage sich das Erstgericht stützte, gab dazu nur an, der Angeklagte sei zur Schwester ins Bett gestiegen und unter die Decke geschlüpft. In weiterer Folge habe es ihn (wegen seines Asthmas) nur noch stöhnen gehört (S 88; siehe US 5 f). Daraus ist jedoch nicht formell einwandfrei ableitbar, daß der Angeklagte Andrea D***** bei dieser Gelegenheit an der Scheide betastet hätte. Zwar enthalten die in Form eines Amtsvermerks festgehaltenen Angaben von Daniela D***** vor der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Steiermark (vom 3. August 1995, S 27) einen Hinweis darauf. Das Erstgericht hat aber keine Überlegungen darüber angestellt, auf welche Weise es unter Berücksichtigung der gerichtlichen Zeugenaussage dieses Mädchens, wonach sich der Vorfall bei Nacht unter einer Bettdecke, für sie also nicht sichtbar, abgespielt haben soll, trotzdem zu seinen diesbezüglichen Konstatierungen gelangen konnte.

Der Schuldspruch zu I./2. bleibt somit mangelhaft begründet und war, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht eintreten kann und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht vermeidbar ist (§ 285 e StPO), aufzuheben. Dies trifft insoweit auch auf den Schuldspruch II zu, soweit er sich inhaltlich auf I. 2 bezieht. Insoferne war mit einer teilweisen Kassierung des Schuldspruches und demgemäß auch des Strafausspruches vorzugehen.

Im übrigen war aber die Nichtigkeitsbeschwerde als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO).

Infolge Aufhebung des Strafausspruches war der Angeklagte mit seiner (nicht ausgeführten) Berufung auf die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde zu verweisen.

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