OGH 13Os52/18y

OGH13Os52/18y27.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Florin B***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 sowie weiter strafbar Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Florin B***** und Marian B***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. Jänner 2018, GZ 95 Hv 70/17k‑192, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00052.18Y.0627.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Florin B***** mehrerer Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach „§§ 87 Abs 1 und 2 erster Fall, 15 StGB idF BGBl Nr 60/1974“ und Marian B***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (II) schuldig erkannt.

Danach haben am 29. Juni 2014 in W***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich

(I) zugefügt, und zwar Florin B***** Michael M***** durch Versetzen eines wuchtigen Schlages mit einem Gegenstand gegen den Kopf, wodurch Michael M***** eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich einen Eindrückungsbruch des rechten Scheitelbeins, eine Schädelbasisfraktur, Blutungen im Bereich der Hirnhäute und Hirnquetschungen, sowie eine länger als 24 Tage andauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit mit schweren, im Urteil näher bezeichneten Dauerfolgen (§ 85 StGB) erlitt;

(II) zuzufügen versucht, und zwar Florin B***** und Marian B***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Krystian K*****, indem sie ihm mehrfach Fußtritte gegen den Kopf und die Brust versetzten, wodurch dieser eine Gehirnerschütterung erlitt.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die von den Angeklagten auf Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden. Sie verfehlen ihr Ziel.

Da die in einem Schriftsatz gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden nicht zweifelsfrei erkennen lassen, welcher der beiden Angeklagten welchen Schuldspruch bekämpft sei klargestellt, dass der Angeklagte Marian B***** zur Bekämpfung des Schuldspruchs I nicht legitimiert ist.

Dem Angeklagten Florin B***** ist insoweit zu erwidern:

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wies das Erstgericht den zur Entlastung des Beschwerdeführers gestellten Antrag auf Vernehmung der Zeugen Gabriela D*****, Stefan‑Cosmin I***** und Robert V***** ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab. Die Zeugen I***** und V***** wurden im Ermittlungsverfahren vernommen (ON 3 S 99 f und S 187). Sie erklärten, zum konkreten Vorfall keine Angaben machen zu können. Weshalb zu erwarten sei, dass die Genannten den Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung dennoch entlasten sollten, ließ der Beweisantrag nicht erkennen (RIS-Justiz RS0118444).

Der Aussage des Angeklagten Marian B***** ist lediglich zu entnehmen, dass Gabriela D***** vor dem Tatgeschehen vor Ort war. Dass die Genannte den Vorfall beobachten und den Angeklagten Florin B***** deshalb entlasten könnte, wurde von Marian B*****, auf dessen Angaben sich der Beweisantrag ausschließlich stützte, nicht behauptet (ON 151 S 30). Eine Beweisführung mit dem Ziel, abzuklären, ob von bestimmten Beweisen eine weitere Aufklärung zu erwarten sei, läuft auf einen unzulässigen

Erkundungsbeweis hinaus (RIS‑Justiz RS0118123).

Die Kritik an der Abweisung des Antrags auf Vernehmung einer nicht beeideten Dolmetscherin über das in ihrer Anwesenheit Besprochene geht ebenso fehl. Vom Ablegen eines Tatgeständnisses durch Petru B*****, der dies auch in der Hauptverhandlung aufrechthielt, ging das Erstgericht ohnehin aus (US 11). Ob sich der von der Tatbegehung in einem anderen Strafverfahren freigesprochene Petru B***** auch gegenüber seinem Verteidiger geständig gezeigt hatte, worauf der Beweisantrag zielte, ist für die Lösung der Schuldfrage nicht von Bedeutung. Im Übrigen darf das Recht des Verteidigers, die Aussage zu verweigern, nicht durch die vom Beschwerdeführer angestrebte Vernehmung des bei einer vertraulichen Besprechung anwesenden Übersetzungsbeistands umgangen werden (§ 157 Abs 2 StPO).

Entgegen dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite begegnet deren Ableitung aus dem Versetzen eines wuchtigen Schlages mit einem Gegenstand gegen den Kopf des Opfers aus dem Hinterhalt, der zu erheblichen Verletzungen führte (US 10, 17), unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken (RIS‑Justiz RS0116882, RS0098671).

Das im Urteil darüber hinaus erwähnte Fehlen von Zweifeln an der Absicht des Beschwerdeführers, sein Opfer schwer zu verletzen, stellt keinen Begründungsfehler dar.

Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der

Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann aus Z 5 nicht bekämpft werden, es sei denn, die Tatrichter hätten in einem besonders hervorgehobenen Einzelpunkt erkennbar eine notwendige Bedingung für Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt (RIS-Justiz RS0116737). Das trifft auf die im Urteil erwähnte Verwendung eines Gegenstands bei der Schlagführung nicht zu (vgl US 18). Weshalb die Tatrichter davon ausgingen, dass ein Gegenstand verwendet wurde, blieb im Übrigen keineswegs unbegründet (Z 5 vierter Fall). Vielmehr wurde dies in Übereinstimmung mit den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen aus dem Verletzungsbild und dem Gutachten der Sachverständigen abgeleitet (US 10).

Die Kritik an der Begründung der Feststellungen zur vorsätzlichen Herbeiführung der Tatfolgen des § 87 Abs 2 erster Deliktsfall StGB (Z 5 vierter Fall) übersieht, dass § 7 Abs 2 StGB insoweit fahrlässiges Handeln genügen lässt (RIS‑Justiz RS0089559). Im Übrigen ist die Ableitung der angesprochenen Konstatierungen aus der massiven Gewalteinwirkung gegen den Kopf, die eine Schädelfraktur und Hirnquetschungen zur Folge hatte, unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Mit dem – auf die Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) zur subjektiven Tatseite bezogenen – Hinweis auf Verfahrensergebnisse, aus denen abzuleiten sei, dass die Verletzungen ohne Verwendung eines Gegenstands, insbesondere mit dem Unterarm oder der Faust, herbeigeführt worden sein könnten, verlässt auch die Tatsachenrüge (Z 5a) den Anfechtungsrahmen (RIS‑Justiz RS0118780).

Die Behauptung der Rechtsrüge (Z 9 lit a), es hätte weiterer Feststellungen, und zwar zur Eignung des Gegenstands, derartige Verletzungen hervorzurufen, bedurft, entbehrt der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565).

Weshalb die Feststellungen zur objektiven und zur subjektiven Tatseite (US 5, 6 und 7) den Schuldspruch nach § 87 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (allein) nicht tragen sollten, erklärt die Rüge nicht.

 

Zu den Mängelrügen beider Angeklagten gegen den Schuldspruch II:

Dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite zuwider ist deren Ableitung aus dem äußeren Tatgeschehen, also dem gezielten Versetzen von Fußtritten gegen den Oberkörper und den Kopf des wehrlos am Boden liegenden Krystian K***** (US 18), unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Das im Urteil darüber hinaus erwähnte Fehlen von Zweifeln an der Absicht des Erst‑ und des Zweitangeklagten, Krystian K***** schwere Verletzungen zuzufügen (US 18), stellt keinen Begründungsfehler dar.

Der Einwand, das Erstgericht wäre von einer „unwiderlegbaren Rechtsvermutung“ ausgegangen, erschöpft sich in einer bloßen Behauptung.

Der im Rechtsmittel hervorgehobene Hinweis im Urteil, jedem durchschnittlichen Erwachsenen sei bekannt, dass der Gesichtsbereich eine sensible Region darstelle, in der es „schnell zu Knochenbrüchen und anderen schweren Verletzungen kommen“ könne (US 18), ist ein solcher auf allgemeine Notorietät und daher nicht mit Erörterungspflichten verbunden (RIS‑Justiz RS0098570).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Bleibt in Bezug auf den Angeklagten Florin B***** und den Schuldspruch I und II anzumerken, dass sich der Oberste Gerichtshof zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der in der rechtlich verfehlten Annahme mehrerer Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach „§ 87 Abs 1 und 2 erster Fall StGB idF BGBl Nr 60/1974“ (statt richtig eines Verbrechens nach § 87 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und eines Verbrechens nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB, jeweils idF BGBl 1974/60) gelegenen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) nicht veranlasst sieht, weil unrichtige Subsumtion den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO konkret benachteiligt (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff), das Zusammentreffen von zwei Verbrechen dessen ungeachtet als erschwerend veranschlagt werden konnte und das Oberlandesgericht die aufgezeigte Gesetzesverletzung aufgrund der Klarstellung – ohne Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung – bei der Entscheidung über die gegen den Sanktionsausspruch gerichteter Berufung zu berücksichtigen hat (RIS-Justiz RS0118870).

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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