OGH 13Os40/06s

OGH13Os40/06s12.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Juli 2006 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Dachler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Georg S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiteren strafbaren Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 26. August 2005, GZ 22 Hv 43/05x-121, nach Anhörung der Generalprokuratur und Stellungnahme des Beschwerdeführers in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch einen (unzulässigen Qualifikations-)Freispruch nach § 212 StGB enthält, wurde Georg S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A. 1.), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A. 2.) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl Nr 60/1974 (B.) sowie der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (C.) schuldig erkannt.

Danach hat er in Linz, Hörsching und unbekannten Orten im Zeitraum von 1991 bis Ende 1996

A. 1. in einem Fall (zu ergänzen: 1994/95; vgl US 10) in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit einem unbekannten Mittäter Melanie W***** dadurch, dass er sie entkleidete, auf den Boden niederdrückte, ihr den Mund zuhielt und erklärte, dass er sie lebendig begraben werde, sollte sie sich zur Wehr setzen, also mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB), zur Duldung des Beischlafes genötigt, indem anschließend er selbst, als auch der unbekannte Mittäter den Geschlechtsverkehr mit Melanie W***** vollzogen;

2. durch die unter Punkt 1. beschriebene Tat mit der am 7. Jänner 1987 geborenen, daher unmündigen Melanie W***** den Beischlaf unternommen;

B. in einem Fall in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit einem unbekannten Mittäter die am 7. Jänner 1987 geborene, daher unmündige Melanie W***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er sie entkleidete, am ganzen Körper, insbesondere im Genitalbereich, betastete und - ebenso wie sein Mittäter - mit seinen Fingern in ihre Scheide eindrang;

C. teils in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit unbekannten Mittätern in wiederholten, etwa zwei oder drei Mal monatlich stattfindenden Angriffen, außer dem Fall des § 206 StGB, geschlechtliche Handlungen an der am 7. Jänner 1987 geborenen, daher unmündigen Melanie W***** vorgenommen bzw von ihr an sich vornehmen lassen, indem er

1. sie in zahlreichen Fällen, insbesondere anlässlich der Vorführung von Zauberkunststücken, eines Toilettenganges sowie einer Zugfahrt, teils über, teils unter der Kleidung im Genitalbereich betastete;

2. sich in zahlreichen Fällen in unbekleidetem Zustand hinter sie legte, seinen erigierten Penis gegen den Genitalbereich des Mädchens drückte, dessen Hand zu seinem Geschlechtsteil führte und beischlafsähnliche Bewegungen vornahm, wobei er mehrfach zum Samenerguss kam;

3. sie vor der unter Punkt A. genannten Tat gemeinsam mit dem unbekannten Mittäter von seinem Schlauchbot aus nackt in einen See warf und anschließend unter Wasser im Genitalbereich betastete;

4. sie in einem Fall in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit dem bereits genannten unbekannten Mittäter sowie in Anwesenheit eines weiteren unbekannten Mittäters anlässlich eines Wannenbades im Genitalbereich betastete und, wie es auch der erstgenannte unbekannte Mittäter tat, ihre Hand an seinen Penis führte.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu. Die Verfahrensrüge (Z 4) bemängelt die Abweisung des Antrags auf Einholung eines sexualmedizinischen Gutachtens über die sexuelle Veranlagung des Angeklagten zum Beweis dafür, dass er nicht pädophil sei. Da eine solche Neigung keine Tatbestandsvoraussetzung der inkriminierten Straftaten darstellt und im Beweisbegehren nicht dargelegt wurde, weshalb ohne eine solche pädophile Neigung die Begehung derartiger Straftaten ausgeschlossen sein sollte, geht der Antrag von vornherein ins Leere. Solcherart verfehlt aber auch die Kritik an der Ablehnung der weiteren Beweisanträge zum Nachweis einer bislang nicht offenbar gewordenen Pädophilie ihr Ziel. Der Antrag auf Vertagung der Hauptverhandlung vom 26. August 2005 zur besseren Vorbereitung der Verteidigung wurde vom Erstgericht gleichfalls zu Recht abgewiesen, zumal dieses Begehren lediglich damit begründet wurde, dass über die eine Woche zuvor stattgefundene Hauptverhandlung vom 19. August 2005 noch kein schriftlich ausgefertigtes Protokoll und über jene vom 29. Juli 2005 bloß ein nicht unterschriebenes Protokoll vorgelegen hätte. Da sowohl der Angeklagte als auch sein Verteidiger bei diesen beiden Verhandlungen anwesend waren, bedurfte es angesichts des kurz zurückliegenden Geschehens und der vorhandenen Protokollunterlagen keines Zuwartens, zumal allfällige Korrekturen einer schriftlich ausgefertigten Verhandlungsniederschrift auch noch im Nachhinein möglich sind (§ 271 Abs 7 StPO).

Mit dem Vorbringen einer aktenwidrigen Argumentation (Z 5) zur nach Auffassung der Tatrichter fehlenden Lügenhaftigkeit der Belastungszeugin Melanie W***** (US 18) bekämpft der Beschwerdeführer lediglich die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts, welches sich mit den Argumenten des Nichtigkeitswerbers, der Herta S***** aber auch des Manfred G***** über (nicht fallbezogene) Unwahrheiten bei Schilderungen dieses Kindes zu alltäglichen Angelegenheiten auseinandersetzte, daraus aber eine habituelle Tendenz zur Lüge nicht abzuleiten vermochte.

Gleiches gilt für die die vom Rechtsmittelwerber als unzureichend begründet kritisierten Erwägungen der Tatrichter zur mangelnden Überzeugungskraft des Zeugen Manfred G***** (US 22 f). Die vom Angeklagten aus den Verfahrensergebnissen gezogenen eigenen und zu den Urteilsüberlegungen konträren Schlussfolgerungen (insbesondere zum Ablauf eines inkriminierten Vorfalls, der sich anlässlich einer Zugfahrt abspielte) zeigen keinen Begründungsmangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO auf.

Die Feststellung, dass sich Michaela W***** gegen eine weitere Beaufsichtigung ihrer Kinder durch den Angeklagten ausgesprochen habe (US 21), findet - der eine fehlende Begründung vorbringenden Beschwerde zuwider - in den vom Schöffengericht berücksichtigten, insgesamt als überzeugend befunden (US 20 ff) Angaben dieser Zeugin (S 62/III) sehr wohl eine Deckung. Desgleichen setzten sich die erkennenden Richter - der Unvollständigkeit monierenden Beschwerde zuwider - mit den Angaben der Kindesmutter zu einer aus ihrer Sicht nicht ausgemachten Zugfahrt des Angeklagten mit den Kindern einerseits und den entgegenstehenden Aussagen des Beschwerdeführers, der Herta S***** und des Manfred G***** auseinander (US 20 bis 23). Der Umstand, dass Melanie W***** die inkriminierten Vorfälle insgesamt erst sehr spät geschildert hatte, wurde vom Erstgericht umfassend gewürdigt (US 18 und 26). Weshalb Angst und Scham als Beweggrund für die späte Offenbarung dieser Missbräuche ab dem Zeitpunkt der Scheidung der Ehe zwischen Michaela W***** und Manfred G***** nicht mehr wirksam gewesen sein sollten, wird in der insoweit bloß mit Behauptungen agierenden Beschwerde nicht ausgeführt. Dass das Tatopfer die dem Schuldspruch A. 1. zugrunde liegende Vergewaltigung darüber hinaus erst bei der zweiten kontradiktorischen Vernehmung geschildert hatte, wurde vom Schöffensenat unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. L***** erwogen (US 26); die demgegenüber angestellten Überlegungen des Nichtigkeitswerbers bekämpfen wiederum lediglich die zu seinen Lasten ausgefallene Beweiswürdigung des Kollegialgerichtes. Soweit der Rechtsmittelwerber mit sinnverzerrenden Zitaten einzelner Passagen aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L***** dessen Schlussfolgerungen in Zweifel zieht und im Zusammenhang damit eine ungenügende Berücksichtigung der keine posttraumatische Belastungsstörung bei der Unmündigen aufweisenden Befundungen des Prim. Dr. G***** iS einer Unvollständigkeit vorbringt, übergeht er die eingehende Auseinandersetzung des erkennenden Gerichtes mit den Erhebungen dieses Arztes (US 24).

Gleiches gilt für die Behauptungen des Beschwerdeführers über bloß erdichtete Anschuldigungen durch Michaela W*****, um Herta S***** und dem Angeklagten Nachteile zuzufügen, mit denen sich das Erstgericht unter verschiedensten Aspekten befasste (US 17 f; 20; 26). Dies gilt insbesondere für die bloß spekulativen - vom Erstgericht gleichwohl erwogenen (US 26) - Überlegungen zu erfundenen Anschuldigungen, um finanzielle Forderungen durchsetzen zu können. Der in diesem Zusammenhang vom Verteidiger erhobene Vorwurf, die Berufsrichter hätten „mit bewusst falschen Argumenten" die Laienrichter „möglicherweise ... in unzulässiger Weise ... beeinflusst", bewegt sich im Grenzbereich der Ehrverletzung bzw Verleumdung und steht mit einem unumwundenen Vorbringen iSd § 9 Abs 1 RAO nicht mehr im Einklang.

Die vorgebrachte Aktenwidrigkeit bei der Feststellung der gegenüber Melanie W***** geäußerten (nicht eigens inkriminierten) Drohung anlässlich des sexuellen Übergriffs bei der Zugfahrt (US 7) übergeht, dass die Urteilsannahmen zwar auf der Basis der Aussagen von Melanie W***** aber ohne wörtliche Zitierung dieser Zeugin getroffen wurden. Im Übrigen wurde der vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, dass auch Jacqueline W***** bei dieser Zugfahrt dabei und nach den Angaben des Tatopfers in die Drohung miteinbezogen war, vom Erstgericht mitbedacht (US 15), sodass auch der Vorwurf einer Unvollständigkeit ins Leere geht.

In weiterer Folge setzt der Beschwerdeführer den beweiswürdigenden Überlegungen des erkennenden Gerichtes eigene Beweiswerterwägungen gegenüber, indem er Passagen von Zeugenaussagen ohne Kontext zitiert und vor allem die Erinnerungsfähigkeit der Melanie W***** - anders als die Tatrichter (vgl US 15 f und 27) - bewertet; damit zeigt er aber keinen Begründungsmangel auf.

Der Vorwurf einer undeutlichen bzw widersprüchlichen Feststellung zum Beginn des Tatzeitraumes stützt sich allein darauf, dass nach Ansicht des Angeklagten die Schilderungen der Melanie W***** dem Erlebnishorizont eines 7- oder 8-jährigen Kindes entsprechen, ohne aber darzulegen, aus welchen Verfahrensergebnissen sich eine derartige Schlussfolgerung ableiten ließe.

Zum Einwand einer suggestiven Befragung der Melanie W***** anlässlich ihrer zweiten kontradiktorischen Einvernahme ist darauf zu verweisen, dass bei dieser lediglich ergänzenden Vernehmung auf die Ergebnisse der vorangegangenen Befragungen durch das Bezirksgericht Leonfelden (S 9 ff/I) und durch die Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Linz (S 187 ff/I) zurückgegriffen wurde, sodass dieser Vorwurf von vornherein ins Leere geht.

Die im Verfahren immer wieder vorgebrachte Möglichkeit einer Beeinflussung der Belastungszeugin Melanie W***** durch ihre Mutter wurde von den Tatrichtern entgegen dem Rechtsmittelvorbringen geradezu akribisch beleuchtet, im Ergebnis aber ausgeschlossen (vgl US 16 ff). Gleiches gilt für die Problematik der erst sehr späten Anzeigeerstattung (vgl US 18; 26); dass die dazu angestellten Überlegungen für den Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar erscheinen, bewirkt keinen Begründungsmangel.

Dass der Angeklagte im Jahr 1995 in Linz nicht gemeldet war, betrifft keinen entscheidungswesentlichen Umstand, zumal daraus nicht abgeleitet werden kann, dass er in diesem Jahr nie in Linz und damit im Tatortbereich gewesen sei.

Die Prostataerkrankung des Rechtsmittelwerbers wurde vom erkennenden Gericht auf der Basis des eingeholten Gutachtens bedacht (US 23 f); entgegen dem Beschwerdevorbringen haben die Tatrichter die vom Sachverständigen erwähnte (entgegen dem von einem gesicherten Potenzverlust ausgehenden Vorbringen) bloße Möglichkeit einer Potenzbeeinträchtigung ab Beginn der Behandlung des Prostataleidens (vgl S 59/III) ausdrücklich berücksichtigt (US 23), aber auf der Basis von anderen Beweisergebnissen die Potenz und Erektionsfähigkeit des Nichtigkeitswerbers bejaht. Weshalb diese Schlussfolgerung mit den Gesetzen der Logik im Widerspruch stünde, wird im Rechtsmittel ebenso wenig dargetan wie der inhaltlich gleiche Einwand zur Zahl der Missbräuche betreffend Schuldspruch C., zu dem lediglich auf die aus dem Kontext gerissene Aussagenpassage der Zeugin Melanie W***** verwiesen wurde, wonach der Angeklagte „ab und zu" in die Wohnung der Stiefgroßmutter dieses Mädchens gekommen sei, wo auch die sexuellen Missbräuche stattgefunden haben (S 235/I).

Weshalb das physische Erscheinungsbild des Angeklagten entscheidend iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO und damit erörterungsbedürftig gewesen wäre, wird in der Beschwerde nicht dargelegt.

Die zu den Schuldsprüchen A. 1. und 2. vorgebrachten Bedenken beinhalten nur eigene Schlussfolgerungen aus den Beweisergebnissen, ohne aber eine den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder allgemeiner Lebenserfahrung widersprechende Argumentation des Erstgerichtes aufzuzeigen.

In der Tatsachenrüge (Z 5a) versucht der Beschwerdeführer abermals mit spekulativen Überlegungen zu angeblich geplanten Falschbeschuldigungen durch die Belastungszeugin die Glaubwürdigkeit der Melanie W***** in Frage zu stellen, ohne damit erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a - inhaltlich Z 10) behauptet eine Scheinkonkurenz des Schuldspruches C. 3. zum Schuldspruch A. 1. Abgesehen davon, dass das Vorbringen einer insoweit straflosen Vorbereitungshandlung eine methodengerechte Ableitung des behaupteten Scheinkonkurrenzverhältnisses vermissen lässt, übergeht der Rechtsmittelwerber, dass diese beiden Straftaten nach den von ihm außer Acht gelassenen Urteilsannahmen sowohl zeitlich als auch handlungsmäßig völlig getrennte Geschehnisse erfassten (US 10). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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