OGH 13Os35/14t

OGH13Os35/14t5.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juni 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kotanko als Schriftführerin in der Strafsache gegen Elisabeta P***** und einen Angeklagten wegen Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Elisabeta P***** und Robert S***** gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 19. Dezember 2013, GZ 36 Hv 87/13w‑38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen gegen die Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten jeweils mehrerer Verbrechen des Raubes, nämlich Elisabeta P***** nach §§ 15, 142 Abs 1 und 2 StGB (I/1) und nach § 142 Abs 1 StGB (II), Robert S***** nach §§ 12 dritter Fall, 15, 142 Abs 1 und 2 StGB (I/2) und nach § 142 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach haben am 9. Oktober 2013, jeweils mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz,

(I) in S*****

1) Elisabeta P***** mit Gewalt gegen eine Person, aber ohne Anwendung erheblicher Gewalt, Elke B***** deren Halskette geringen Wertes wegzunehmen versucht, indem sie ‑ in einem Pkw sitzend ‑ die Genannte an ihrem Halstuch erfasste, jedoch aufgrund der Drohung der Elke B*****, die Polizei zu verständigen, wieder losließ, und

2) Robert S***** zu der unter I/1 beschriebenen strafbaren Handlung dadurch beigetragen, dass er in Kenntnis des Tatplans als Fahrzeuglenker fungierte, weiters

(II) Elisabeta P***** und Robert S***** in A***** im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) mit Gewalt gegen eine Person Adele L***** eine Halskette im Wert von zumindest 500 Euro weggenommen, indem Robert S***** die Genannte veranlasste, sich in den Pkw der Täter zu beugen, Elisabeta P***** ihr die Kette vom Hals riss und das Festgehaltenwerden durch Adele L***** dadurch unterband, dass sie die Seitenscheibe hochkurbelte, worauf Robert S***** den Pkw in Bewegung setzte und hiedurch Adele L*****, die den Türgriff festhielt, zu Sturz brachte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von Elisabeta P***** aus Z 5, 10 und 11, von Robert S***** aus (richtig) Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden gehen fehl.

Vorweg wird festgehalten, dass die unmittelbar nach der Urteilsverkündung abgegebene Erklärung beider Angeklagter, gegen das Urteil „volle Berufung“ anzumelden (ON 37 S 44), einen umfassenden Anfechtungswillen zum Ausdruck bringt und solcherart der Anforderung deutlicher und bestimmter Anmeldung (auch) der Nichtigkeitsbeschwerde genügt (13 Os 136/11s, SSt 2011/68; RIS‑Justiz RS0100007 [insbesondere T4 und T6]), womit beide Beschwerden als im Sinn des § 284 Abs 1 erster Satz StPO rechtzeitig angemeldet zu betrachten sind.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Elisabeta P*****:

Indem die Mängelrüge (Z 5) aus dem objektiven Tathergang anhand eigener Beweiswerterwägungen in Bezug auf die subjektive Tatseite andere Schlüsse zieht als die Tatrichter, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen deren Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) entwickelt ihre Argumentation zur objektiven Tatseite hinsichtlich des Schuldspruchs II nicht aus dem Urteilssachverhalt und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei festgehalten, dass die Gesamtheit der insoweit festgestellten Tathandlungen, nämlich das Durchreißen einer goldenen Panzerhalskette, das Verschließen des Pkw‑Fensters, durch dessen Öffnung der Arm des Opfers gestreckt war, das ruckartige Zuziehen der Pkw‑Tür, die das Opfer festhielt, und das in Bewegung Setzen des von den Tätern verwendeten Pkw, das zum Sturz des (die Pkw‑Tür weiterhin festhaltenden) Opfers führte (US 7 f), dem Gewaltbegriff des § 142 Abs 1 StGB jedenfalls entspricht (vgl Eder‑Rieder in WK² StGB § 142 Rz 20 sowie Hintersteininger SbgK § 142 Rz 15, jeweils mwN).

Die beschriebenen Tathandlungen waren der Prüfung der Verwirklichung des Tatbestandselements der „Gewalt“ in ihrer Gesamtheit zu Grunde zu legen, weil Adele L***** nach den Feststellungen des Erstgerichts (deren inneren Zusammenhang die Beschwerde insoweit übergeht [vgl demgegenüber erneut RIS‑Justiz RS0099810]) sofort nach dem Durchreißen ihrer Halskette durch das geöffnete Pkw‑Fenster langte und die Beschwerdeführerin an der Schulter festhielt und sogleich nach dem Schließen des Fensters die Türschnalle des Fahrzeugs ergriff (US 8). Ausgehend von der unter dem Aspekt des Raub‑Tatbestands vorzunehmenden Gesamtwertung der Tat anhand der konkreten Bedrohungs‑, Abwehr‑ und Verteidigungssituation (RIS‑Justiz RS0094231 und RS0094252; Eder‑Rieder in WK² StGB § 142 Rz 7; Hintersteininger SbgK § 142 Rz 55) war das Tatobjekt dem unmittelbaren Zugriff des Opfers hier mit dessen Sturz entzogen, die Tat also ‑ entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin (nominell Z 10, der Sache nach Z 11 erster Fall) ‑ (erst) in diesem Moment vollendet.

Zur subjektiven Tatseite erschöpft sich die Beschwerde in der substratlosen Bestreitung der diesbezüglichen Urteilskonstatierungen (vgl demgegenüber einmal mehr RIS‑Justiz RS0099810).

Die Ausführungen der Subsumtionsrüge zum Schuldspruch I/1 lassen keinen Konnex zu den Kriterien der Nichtigkeitsgründe erkennen.

Aus welchem Grund der ‑ vom Gesetz ausdrücklich als besonderer Erschwerungsgrund genannte (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) ‑ Umstand, dass die Beschwerdeführerin mehrere strafbare Handlungen begangen hat, hier die Strafdrohung bestimmen und demgemäß dessen aggravierende Wertung (US 18) gegen das Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 erster Satz StGB verstoßen soll, vermag die Sanktionsrüge (Z 11) nicht darzulegen.

Die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit erhöht nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre den Schuldgehalt (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB [11 Os 4/01, EvBl 2001/151, 650; RIS‑Justiz RS0090597 und RS0090954; Ebner in WK² StGB § 33 Rz 10; Leukauf/Steininger Komm3 § 33 RN 8]), womit auch die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Strafbemessung nicht zu beanstanden ist.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Robert S*****:

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) beschränkt sich darauf, ohne Aktenbezug aus behaupteten Detailergebnissen des Beweisverfahrens anhand spekulativer Überlegungen für den Beschwerdeführer günstige Schlussfolgerungen anzustellen und verfehlt solcherart zur Gänze den Anfechtungsrahmen der Nichtigkeitsbeschwerde.

Beide Beschwerden waren somit gemäß § 285d Abs 1 StPO ‑ ebenso wie die von der Erklärung, „volle Berufung“ zu erheben (ON 37 S 44), umfassten, im kollegialgerichtlichen Verfahren aber nicht vorgesehenen (siehe § 283 Abs 1 StPO) Berufungen wegen des Ausspruchs über die Schuld ‑ schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen gegen die Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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