OGH 13Os32/13z

OGH13Os32/13z2.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juli 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kurzthaler als Schriftführer in der Strafsache gegen Mag. (FH) Andreas S***** wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 16. Jänner 2013, GZ 9 Hv 67/12t‑47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. (FH) Andreas S***** der Vergehen des vorsätzlichen umweltgefährdenden Behandelns und Verbringens von Abfällen nach § 181b Abs 1 (Z 4) und Abs 2 (dritter Fall) StGB (1) und der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 1 StGB (2) sowie des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (3/a bis f) schuldig erkannt.

Danach hat er

(1) im September (richtig:) 2008 entgegen Rechtsvorschriften, nämlich den einschlägigen Bestimmungen des AbfallwirtschaftsG 2002 (kurz: AWG) und der Verordnung (EG) über die Verbringung von Abfällen (Nr 1013/2006; ABl L 190 vom 12. Juli 2006, S 1) Abfälle so befördert oder zu befördern versucht, dass dadurch ein 50.000 Euro übersteigender Beseitigungsaufwand bewirkt wurde, indem er im Urteil namentlich genannte Personen bestimmte oder zu bestimmen versuchte, insgesamt 379,5 Tonnen im Sinn der §§ 66 ff AWG notifizierungspflichtigen Abfalls (Kunststofffraktion) ohne die notwendige Notifizierung auf eine ehemals als Uranaufbereitungsanlage verwendete Schlammgrube in der Tschechischen Republik zu verbringen, wobei es hinsichtlich der nicht transportierten Menge von zumindest 150 Tonnen lediglich deshalb beim Versuch blieb, weil die Transporte im Zuge einer Kontrolle durch tschechische Behörden entdeckt wurden;

(2) am 9. Oktober 2008 in W***** ein falsches Beweismittel, nämlich in mehreren (im Urteil einzeln angeführten) Punkten unrichtige CMR‑Frachtbriefe betreffend die in Punkt 1 angeführten Abfalllieferungen hergestellt, wobei er mit dem Vorsatz handelte, dass das Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren, nämlich zur Vorlage bei der behördlichen Überprüfung durch Beamte des Umweltministeriums und des Magistrats Linz, gebraucht werde;

(3) von August 2008 bis 1. Juni 2009 an verschiedenen Orten in Österreich wiederholt mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, durch die (wahrheitswidrige) Vorgabe seiner Zahlungsfähigkeit und ‑willigkeit und der Entfernung der von ihm gelagerten Stoffe nach Ende des jeweiligen Mietverhältnisses, mithin durch Täuschung über Tatsachen, im Urteil namentlich genannte Personen zu diese im 50.000 Euro übersteigenden Gesamtausmaß von 250.057,06 Euro schädigenden Handlungen, nämlich zur Erbringung von Transportleistungen und zur Bereitstellung von Lagerflächen, verleitet.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist im Recht.

Zutreffend wendet der Beschwerdeführer ‑ teils nominell im Rahmen der Verfahrensrüge (Z 4) ‑ der Sache nach offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellung eines 50.000 Euro übersteigenden Beseitigungsaufwands, der durch die zum Schuldspruch 1 inkriminierten Handlungen tatsächlich bewirkt wurde (oder in der Variante des Grundtatbestands zumindest in Form einer abstrakten Gefährdung bestand [vgl Aicher‑Hadler in WK2 StGB §§ 181b, c Rz 15; Manhart, SbgK § 181b § 32 f]), ein. Tragfähige Erwägungen finden sich dazu in den Entscheidungsgründen nicht. Die aus dem Umstand, dass „der gegenständliche Abfall durch die Einbringung in diese Deponie mit Uran angereichert worden ist“ und derzeit „in Österreich keine fachliche Möglichkeit einer Entsorgung derartiger Abfälle“ bestehe, gezogene Schlussfolgerung, ein Aufwand in dieser Höhe sei „offensichtlich“ (US 8 und 11), ist zirkulär (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 446). Die in diesem Zusammenhang ausschließlich als Beleg (zudem falsch) zitierte Fundstelle im Akt enthält bloß eine (im Urteil teils wörtlich übernommene) Mutmaßung der Kriminalpolizei (vgl ON 6 in ON 9b S 35: „ist nach ho Meinung insofern erfüllt“), die sich ihrerseits auf keinerlei Ermittlungsergebnis stützt (vgl demgegenüber die Angaben in der „Anlagenbetriebsordnung“ der bezeichneten Deponie, wonach diese „nicht limitüberschreitend radioaktiv verseucht sei“ [ON 4 in ON 9b S 89]). Auch bei vernetzter Betrachtung der gesamten Entscheidungsgründe lässt sich keine verlässliche Grundlage für die angesprochene Feststellung finden: Den Konstatierungen zum Schuldspruch 3/b zufolge (US 5 f) verleitete der Beschwerdeführer Herbert Sch***** zu Transportleistungen („einschließlich der zu Punkt 1. angeführten Aufträge“) im Wert von insgesamt 36.258,52 Euro. Auch daraus ist nach Maßgabe von Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0118317) keineswegs „eindeutig“ abzuleiten, dass die Kosten für den Rücktransport des inkriminierten Abfalls aus der Tschechischen Republik den vom Tatbestand geforderten Aufwand „sogar konkret übersteigen“ (vgl US 11).

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass ‑ vom aufgezeigten Begründungsmangel abgesehen ‑ bereits unmissverständliche Feststellungen zu einem von § 181b Abs 2 StGB vorausgesetzten tatsächlichen Erfolgseintritt (Aicher‑Hadler in WK2 StGB §§ 181b, c Rz 16; Manhart, SbgK § 181b Rz 34) fehlen (vgl US 4 f).

Zum Schuldspruch 3 macht die Rechtsrüge (Z 9 lit a) deutlich genug erkennbar einen (sämtliche Vorwürfe betreffenden) Rechtsfehler mangels Feststellungen zu einem auf Täuschung und auf Schädigung der Opfer (in einem 50.000 Euro übersteigenden Ausmaß) gerichteten Vorsatz des Beschwerdeführers geltend (vgl US 6, 8 und 12).

Die aufgezeigten Urteilsfehler erfordern eine Aufhebung der Schuldsprüche 1 und 3. Ohne diese fehlt es aber an Feststellungen zu die Verjährung der zu 2 angelasteten Tat hemmenden Umständen (§ 58 Abs 2 StGB; vgl auch § 58 Abs 3 Z 2 StGB). Die (rechtliche) Annahme einer Beseitigung des (in tatsächlicher Hinsicht implizit festgestellten) Ausnahmesatzes ist demnach unschlüssig (Z 9 lit b; RIS‑Justiz RS0122332; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 602), weshalb auch der Schuldspruch 2 schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) aufzuheben war.

Eine weitere Erörterung des Beschwerdevorbringens erübrigt sich daher.

Ohne Schuldspruch konnte der Ausspruch über die Strafe ebenso wenig Bestand haben wie jener über privatrechtliche Ansprüche (RIS‑Justiz RS0101303).

Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht im Zusammenhang mit dem zu Punkt 1 der Anklage (des Schuldspruchs) erhobenen Vorwurf zu prüfen haben, ob das Verfolgungshindernis des ne bis in idem nach Art 4 des 7. ZPMRK vorliegt (vgl den vom Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung vorgelegten Bescheid des UVS Steiermark vom 24. Oktober 2010 [ON 36 S 79 und 95 ff]). Eine Fortsetzung des Verfahrens in diesem Umfang wäre im Fall eines ‑ gegen Subsidiaritätsbestimmungen (vgl § 79 Abs 2 AWG) verstoßenden ‑ Verfolgungshindernisses nur nach dessen Beseitigung durch die Verwaltungsbehörde möglich (zur Vorgangsweise 15 Os 18/02; zum Ganzen Nordmeyer, WK‑StPO § 190 Rz 28 ff und § 197 Rz 5 und 10). Dann wird das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals eines 50.000 Euro übersteigenden Beseitigungsaufwands (§ 181b Abs 1 Z 4, Abs 2 dritter Fall StGB) durch geeignete Beweisaufnahme, allenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen, zu klären sein. Davon abgesehen werden im Fall neuerlicher Schuldsprüche (mängelfrei begründete) Feststellungen zu sämtlichen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen zu treffen sein.

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