OGH 13Os25/12v

OGH13Os25/12v5.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alexander R***** F***** und Marvin Ru***** wegen Verbrechen der erpresserischen Entführung nach §§ 15, 102 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen beider Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Geschworenengericht vom 9. Dezember 2011, GZ 20 Hv 57/11z-246, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Alexander R***** F***** werden der diesen Angeklagten betreffende Wahrspruch der Geschworenen sowie das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht des Landesgerichts Linz verwiesen.

Mit seiner Berufung wird Alexander R***** F***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Marvin Ru***** wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung dieses Angeklagten werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Marvin Ru***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurden Alexander R***** F***** und Marvin Ru***** jeweils des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach §§ 15, 102 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie sich am 8. September 2010 in P***** in einverständlichem Zusammenwirken dadurch der Elfriede L***** ohne deren Einwilligung mit Gewalt „bemächtigt“, dass Marvin Ru***** mit einer Hand durch den Türspalt griff, ihr den Mund zuhielt und gegen ihren Widerstand die Haustüre weiter aufdrücken und sie ins Haus zurückdrängen wollte, wo beide gemeinsam sie im Badezimmer fesseln und gefangen halten wollten, um ihren Ehegatten Dr. Markus L***** zu einer Handlung, nämlich der Übergabe eines Lösegeldbetrags von 300.000 bis 400.000 Euro zu nötigen, wobei die Tat beim Versuch blieb, weil sich Elfriede L***** heftig wehrte und laut um Hilfe schrie.

Die Geschworenen hatten die bezughabenden Hauptfragen (1 und 2) bejaht und die jeweils auf Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) gerichteten Zusatzfragen verneint.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die Alexander R***** F***** auf Z 6, 8, 10a, 12 und 13, Marvin Ru***** auf Z 6, 8, 9 und 10a, jeweils des § 345 Abs 1 StPO stützen. Nur jene des Alexander R***** F***** ist berechtigt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Alexander R***** F*****:

Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer (der Sache nach aus Z 6 und Z 11 lit a - vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616) auf, dass der (auf unreflektierter Übernahme des insoweit mangelhaft gebliebenen Anklagesatzes beruhende) Wahrspruch der Geschworenen keine Feststellungen zu einer Tathandlung dieses Angeklagten enthält (vgl RIS-Justiz RS0089835; Fabrizy in WK2 § 12 Rz 29), sondern ausschließlich eine Aussage zu dessen Intention trifft. Den Konstatierungen ist nämlich nur zu entnehmen, dass Alexander R***** F***** am Tattag versucht hat, „im bewussten und gewollten Zusammenwirken“ mit Marvin Ru***** (der mit einer Hand durch den Türspalt griff, Elfriede L***** den Mund zuhielt und gegen ihren Widerstand die Haustüre weiter aufdrücken und sie ins Haus zurückdrängen wollte) sich des Tatopfers ohne dessen Einwilligung mit Gewalt zu bemächtigen, indem er es zur Erreichung des Nötigungszwecks im Badezimmer fesseln und gefangen halten wollte.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur erfordert bereits das dargelegte Defizit der im Wahrspruch getroffenen Feststellungen die sofortige Aufhebung des gegen Alexander R***** F***** ergangenen Urteils bei nichtöffentlicher Sitzung (§§ 285e, 344 StPO). Somit war auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen und der Angeklagte mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Im neuen Rechtsgang wird zu beachten sein, dass die Pflicht zu anklagekonformen Hauptfragen keineswegs eine solche zu deren unkritischer Übernahme aus dem Anklagesatz (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) ohne Ergänzung um für die vom Ankläger angestrebte Subsumtion erforderliche Sachverhaltselemente beinhaltet (RIS-Justiz RS0123131; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 47 ff; Fabrizy StPO11 § 312 Rz 2). Bloße Anwesenheit am Tatort trägt im Übrigen weder die Annahme der Mittäterschaft (erneut Fabrizy in WK2 § 12 Rz 29) noch jene einer Täterschaft durch psychischen Beitrag (zu deren Voraussetzungen Fabrizy in WK2 § 12 Rz 89 f).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Marvin Ru*****:

Indem die Fragenrüge (Z 6) die im Anklagesatz enthaltene Aufnahme der Wortfolge „sich heftig wehrte“ in die Hauptfrage bemängelt, ohne darzulegen, aus welchem Grund es - abgesehen von den oben angeführten Ergänzungen - zulässig sein soll, eine vom Anklagesachverhalt abweichende Hauptfrage zu stellen (RIS-Justiz RS0100509), bringt sie den beanspruchten Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform zur Darstellung. Hinzu kommt, dass es den - darüber instruierten (Rechtsbelehrung ON 245 S 4) - Geschworenen gestattet war, die Frage unter Beifügung angenommener Beschränkungen nur teilweise zu bejahen (§ 330 Abs 2 StPO).

Die weitere Beschwerde kritisiert - ohne Nennung der Fundstelle in den umfangreichen Akten (RIS-Justiz RS0124172; die Fundstellenangaben im Rechtsmittel beinhalten keine inhaltlichen Aussagen des Angeklagten) - mit dem Hinweis auf eine angeblich „immer“ getroffene Einschätzung des Angeklagten, wonach er „die Lage, und somit auch die Person Frau L*****, völlig unter Kontrolle gehabt habe“ und er „freiwillig davon abgelassen habe“, die unterbliebene Stellung einer Eventualfrage in Richtung Tatvollendung des § 102 Abs 1 StGB samt Zusatzfrage nach der Privilegierung des § 102 Abs 4 StGB. Wie aber die Beschwerde teilweise selbst zugesteht, führte Marvin Ru***** im Wesentlichen dazu aus, dass er seine Hand für maximal zwei Sekunden auf den Mund des Opfers gehalten, dann seine Hand weggetan und nicht gegen die Tür gedrückt habe, um nur wegen eines Angriffs, nicht aber wegen einer Entführung verurteilt zu werden (ON 221 S 29 ff). Mit solcherart eigenständiger Interpretation von eine Tatvollendung gerade nicht indizierenden Verfahrensergebnissen wird aber ein Sachverhalt, der die (eine solche Entwicklungsstufe aber voraussetzende - Schwaighofer in WK2 § 102 Rz 34; Schmoller, SbgK § 102 Rz 92) Privilegierung nach § 102 Abs 4 StGB nahelegen würde, nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23).

Indem die weitere Beschwerde (zudem aktenwidrig) den die begehrte Fragestellung in Richtung § 102 Abs 4 StGB ablehnenden Beschluss des Schwurgerichtshofs (der von einer Hauptfrage in Richtung § 102 Abs 2 Z 2 StGB gerade nicht ausging - vgl ON 245 S 21: „ausgenommen“) als mangelhaft kritisiert, verlässt sie neuerlich den Anfechtungsrahmen des beanspruchten Nichtigkeitsgrundes (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 22).

Bezugspunkt der Instruktionsrüge (Z 8) ist die vom Vorsitzenden (nach Beratung mit den übrigen Mitgliedern des Schwurgerichtshofs) schriftlich abzufassende Rechtsbelehrung (§ 321 StPO) und die den Geschworenen dazu erteilte Unterrichtung (§§ 323, 327 StPO) betreffend die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt- oder Eventualfrage gerichtet ist, die Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage (Schuldspruch, Freispruch und Subsumtion, nicht aber die Sanktionsfrage; zum Ganzen RIS-Justiz RS0119549; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 53). Diesen verfehlt die Beschwerde grundlegend, soweit sie den Inhalt der Niederschrift der Geschworenen (§ 331 Abs 2 StPO; zu deren Bekämpfung vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 71) als mit der Rechtsbelehrung nicht im Einklang stehend kritisiert. Aus welchem Grund beim Versuch einer nach § 102 Abs 1 StGB subsumierten Tat die Privilegierung nach § 102 Abs 4 StGB (zur Tatvollendung als deren Voraussetzung bereits oben) „lex spezialis“ zu § 16 StGB sein soll, legt die Beschwerde nicht dar. Auch die dazu angeführte Literaturstelle (Schmoller, SbgK § 102 Rz 80, 89) trifft keine derartige Aussage. Ebenso bleibt die Forderung nach einer Belehrung über die strafaufhebende Wirkung eines Rücktritts vom (ohnedies nicht strafbaren - § 15 Abs 3 StGB) absolut untauglichen Versuch ohne Ableitung aus dem Gesetz. Die vom Beschwerdeführer vermisste Instruktion zur Unterscheidung zwischen tauglichem, untauglichem und absolut untauglichem Versuch findet sich auf S 18 f der Rechtsbelehrung (ON 245).

Mit dem Vorbringen (Z 9), die Erwägungen der Geschworenen „schuldig, eigenes Geständnis, Planung und Auskundschaftung der Örtlichkeiten und Tatausführung“ ließen sich nicht mit jenen betreffend den Angeklagten Alexander R***** F*****, den Wahrsprüchen zu beiden Angeklagten und der erteilten Rechtsbelehrung in Einklang bringen, bezieht sich der Beschwerdeführer der Sache nach gar nicht auf den Wahrspruch (§§ 317 Abs 1, 330 Abs 2 StPO; also die tatsächlich mit ja oder nein beantworteten Fragen) der Geschworenen, sondern auf den Inhalt der Niederschrift, die aber ohne - hier zu Recht nicht behaupteten (ON 245 S 24) - Verbesserungsauftrag unter Nichtigkeitsaspekten bedeutungslos ist (RIS-Justiz RS0100846).

Der Nichtigkeitsgrund der Z 10a des § 345 Abs 1 StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen konstatierten Tatsachen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt - wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583). Diesen Anfechtungsrahmen überschreitet der Beschwerdeführer, indem er unter Hinweis auf die ihm offen gestandene Möglichkeit zur Tatvollendung seiner - freiwilligen Rücktritt vom Versuch behauptenden - Einlassung zum Durchbruch zu verhelfen sucht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ru***** war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über dessen Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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