OGH 13Os20/06z

OGH13Os20/06z5.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mohamed M***** wegen des Verbrechens der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 14. Dezember 2005, GZ 35 Hv 150/05m-133, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mohamed M***** wurde des Verbrechens der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (1), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2) und des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (3) schuldig erkannt.

Danach hat er in Innsbruck

1. am 10. September 2004 Murat Y*****, indem er ihm ein Messer mit 20 cm langer Klinge gegen das Gesicht zu stoßen versuchte, wobei er aufgrund von Abwehrbewegungen diesen nur an der Schulter traf (weshalb dieser eine blutende Wunde an der linken Schulter erlitt), eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht;

2. am 6. November 2004 Georg S***** durch einen Faustschlag ins Gesicht, wodurch dieser eine Rissquetschwunde an der linken Augenbraue und ein direktes Augentrauma erlitt, am Körper verletzt;

3. am 5. Dezember 2004 Samir B***** durch zwei mit großer Wucht geführte Stiche mit einem stählernen Küchenmesser mit einer 20 cm langen und 4 cm breiten Klinge, wodurch dieser zwei perforierende Messerstichverletzungen erlitt, welche eine Öffnung der Bauchhöhle und den Austritt von Anteilen des Dünndarms bewirkten, zu töten versucht.

Rechtliche Beurteilung

Der aus Z 5, 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu. Offenbar unbegründet (§§ 344 letzter Satz, 285d Abs 1 Z 2 StPO) ist die auf die Abweisung des Antrages auf „Erörterung der Ergebnisse" des von Mag. G***** durchgeführten und ausgewerteten sog Rohrschachtests „zum Beweis dafür, dass kein erhöhtes Aggressionspotential beim Angeklagten vorliegt" (S 127/IV) gestützte Verfahrensrüge. Zwar hat der Angeklagte ein durch Z 5 geschütztes Recht, Fragen nicht nur an den gerichtlich bestellten Sachverständigen, sondern auch an jene Person zu stellen, welche in dessen Auftrag eine testpsychologische Begutachtung des Angeklagten durchgeführt hat, die in das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen eingeflossen ist (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 365). Ob das vorliegend erzielte Testergebnis jedoch auf ein erhöhtes Aggressionspotential des Angeklagten hinwies, ist nur für die nach § 21 Abs 2 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose von Bedeutung. Dagegen ist unzweifelhaft erkennbar, dass die testpsychologische Beurteilung dieser Frage auf die Entscheidung über die Begehung der die Schuldsprüche begründenden Taten und allfällige Strafausschließungsgründe (iwS) keinen dem Beschwerdeführer nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 345 Abs 3 StPO). Die Fragenrüge (Z 6) unterlässt den erforderlichen Bezug zu einem konkreten in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweisergebnis, welches darauf hingewiesen hätte, dass der Angeklagte sein Opfer bloß bedingt vorsätzlich, wenngleich mit einem solchen Mittel und auf solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist (§ 84 Abs 2 Z 1 StGB), nicht aber absichtlich schwer (§ 87 Abs 1 StGB) zu verletzen versuchte. Bloß abstrakt mögliche Intentionen beim „Führen eines Messerstichs gegen den Kopf des Murat Y*****" sind nicht Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes.

Unter Berufung auf die Aussage des Angeklagten, er habe Samir B***** nicht töten wollen „und dass er das Messer aufheben und weiter auf ihn hätte einstechen können, das aber nicht wollte und dass er, als er Blut sah, weggelaufen ist", während „B***** vor Schmerzen geschrien" habe, rügt die Beschwerde das Unterlassen einer Frage nach „Putativrücktritt vom unbeendeten Versuch, weil das rasche Beenden der - und das Unterlassen weiterer Tätlichkeiten in Kenntnis dessen, dass B***** vor Schmerzen schreit, das Herbeieilen von Helfern - es standen ja zahlreiche Zeugen die in der Lage waren, Hilfe herbeizuholen, in unmittelbarer Nähe des Geschehens, - erleichterte" (zu 3.). Dabei wird nicht klar, nach welchem dem Gesetz bekannten Strafausschließungsgrund (iwS) konkret hätte gefragt werden sollen. Die Worte „Putativrücktritt vom unbeendeten Versuch" sind dem StGB fremd. Im Schrifttum wird unter „Putativrücktritt" gemeinhin die Straflosigkeitsregel des § 16 Abs 2 StGB verstanden, welche indes beim „unbeendeten Versuch" freiwilliges und ernstliches Bemühen verlangt, die Ausführung durch andere an der Tat Beteiligte zu verhindern (vgl Hager/Massauer in WK2 §§ 15, 16 Rz 173, 178). Insoweit wird aber weder ein entsprechendes Tatsachensubstrat noch eine gesetzliche Ausnahmelücke auch nur behauptet. Nach Rücktritt vom Versuch im Sinn des tatsächlichen Beschwerdevorbringens wurde schließlich ohnehin gefragt.

Unvollständige Rechtsbelehrung hinsichtlich einer gar nicht gestellten Frage (nach „Putativrücktritt vom unbeendeten Versuch"; gemeint offenbar zu 3.) kann aus Z 8 nicht erfolgversprechend gerügt werden (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63; vgl auch Philipp, WK-StPO § 321 Rz 19).

Schließlich werden erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen (zu 3.) durch die - nicht weiter begründeten - Hinweise auf die Aussagen „der Erika N***** und der Nina Sch*****, das Gutachten Dr. A*****, wonach beim Kampf zwischen B***** und dem Angeklagten dieser einen Stich am Bein erlitt, die Aussage des Angeklagten, dass er von B*****, als er blutete und schrie, freiwillig abließ" und die - zudem nicht auf ein konkret bezeichnetes, in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismittel gestützte - „Tatsache, dass der Angeklagte B***** einen für Verhältnisse am Drogenmarkt relativ geringen Betrag, nämlich 300 Euro, schuldete", nicht geweckt (Z 10a). Die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 344, 285d Abs 1 Z 1 und 2 StPO) hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen zur Folge (§§ 344, 285i StPO).

Den aus Z 13 erster und zweiter Fall ungerügt gebliebenen Rechtsfehlern bei der Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB kann es dabei ohne Aufhebung dieses Sanktionsausspruches Rechnung tragen. Das Geschworenengericht hat in den Entscheidungsgründen nämlich weder Feststellungen zu dem auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand und dessen Einfluss auf - als solche ebenfalls unerwähnt gebliebene - Anlasstaten noch zu den gesetzlichen Kriterien der Gefährlichkeitsprognose noch zu der Art der zu befürchtenden Taten getroffen (Ratz in WK2 § 21 Rz 9, 24 und WK-StPO § 281 Rz 684 f, 715 bis 721, § 283 Rz 1, 290 Rz 29, § 345 Rz 18; vgl auch Medigovic, WK-StPO § 433 Rz 16 f). Der bloß pauschale - und damit undeutliche (vgl WK-StPO § 281 Rz 396) - Verweis auf das als „klar und deutlich bzw frei von Widersprüchen und nachvollziehbar" bezeichnete Sachverständigengutachten vermag derartige Feststellungen nicht zu ersetzen.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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