OGH 13Os187/86

OGH13Os187/8619.2.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Februar 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schopper als Schriftführers in der Strafsache gegen Franz H*** wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Kreisgericht Korneuburg vom 7. Oktober 1986, GZ. 10 b Vr 23/86-65, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Mack, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die beiderseitigen Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen. Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Strafe auf 9 (neun) Jahre erhöht.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung hierauf verwiesen. Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 22. April 1949 geborene Eisenbahnbedienstete Franz H*** ist auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB. (1), des Vergehens der Untreue nach § 153 Abs. 1 und 2, erster Fall, StGB. (2) und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit. a WaffG. (3) schuldig erkannt worden. Darnach hat er am 11. Jänner 1986 in Langenzersdorl sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung, die aus den Beschimpfungen und Vorhalten des Opfers wegen fälliger Zahlungen resultierte, dazu hinreißen lassen, die auf dem Boden liegende sechzigjährige Maria G*** durch mehrere Fußtritte, insbesondere gegen die Scheitel- und Hinterhauptgegend, vorsätzlich zu töten (1), am 19. September 1985 in Korneuburg dadurch, daß er entgegen der von Maria G*** erteilten Ermächtigung von ihrem Sparbuch bei der S*** K*** 5.000 S zu beheben, tatsächlich einen Betrag von 25.000 S abhob und 20.000 S für sich behielt, die ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich mißbraucht und dadurch Maria G*** (die des Lesens und Schreibens unkundig war) einen Vermögensnachteil von 20.000 S zugefügt (2) und von Februar 1985 bis 16. Jänner 1986 in Korneuburg eine Pistole, deren Lauf aufgebohrt war, sohin eine Faustfeuerwaffe, zumindest fahrlässig unbefugt besessen (3). Die Geschwornen hatten die anklagekonform auf das Verbrechen des Mords (§ 75 StGB.) lautende Hauptfrage 1 stimmeneinhellig verneint, die auf das Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB.) gerichtete Eventualfrage 2 aber im Stimmenverhältnis 7 : 1 bejaht. Weitere Eventualfragen (3 und 4) nach den Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung mit Todesfolge (§ 87 Abs. 2 StGB.) und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs. 1, 86 StGB.) blieben folgerichtig unbeantwortet. Die die Schuldsprüche 2 und 3 betreffenden Hauptfragen 5 und 6 wurden von den Geschwornen jeweils stimmeneinhellig bejaht.

Den Schuldspruch wegen Totschlags (1) bekämpft die Anklagebehörde mit ihrer auf § 345 Abs. 1 Z. 12 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; diejenige des Angeklagten wendet sich gegen alle Schuldsprüche aus den Gründen des § 345 Abs. 1 Z. 9 und 10 StPO.

Zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft:

Rechtliche Beurteilung

Die Anklagebehörde erachtet die dem Angeklagten von den Geschwornen beim Tötungsdelikt zugebilligte allgemeine Begreiflichkeit der heftigen Gemütsbewegung als rechtlich verfehlt. Auf ihre an sich zutreffenden Beschwerdeausführungen kann jedoch aus prozessualen Gründen nicht eingegangen werden: Hat sich nämlich der Staatsanwalt - wie vorliegend - einer Eventualfrage nach § 76 StGB., obwohl sie nach der nun vertretenen Rechtsauffassung gar nicht indiziert war, nicht widersetzt, die Entscheidung des Schwurgerichtshofs folglich nicht begehrt und sich die Nichtigkeitsbeschwerde nicht vorbehalten (§ 345 Abs. 4 StPO.), so kann auch eine im Ergebnis fehlerhafte Subsumtion unter § 76 StGB. statt unter § 75 StGB. im Rechtsmittelverfahren (i.d.R.) nicht mehr geändert werden. Bei der Ausführung eines materiellen Nichtigkeitsgrunds wie jenem des § 345 Abs. 1 Z. 12 StPO. ist nämlich vom Wahrspruch der Geschwornen auszugehen (Mayerhofer-Rieder, StGB. 2 Anm. zu ENr. 2 bei § 76; StPO. 2 ENr. 38 bei § 314).

Mithin ist lediglich zu prüfen, ob die Individualisierung der Tat im Wahrspruch und (oder) im Urteil eine unrichtige gesetzliche Unterstellung erkennen läßt (Mayerhofer-Rieder, StPO. 2 ENr. 19 zu § 345 Z. 12). Soweit in der Frage der Sachverhalt, der die Gemütsbewegung des Angeklagten allgemein begreiflich erscheinen ließ, überhaupt individualisiert erscheint, ist allein daraus ein Rechtsirrtum nicht abzuleiten. Betreffend die Anforderungen an eine Schuldfrage nach Totschlag, die abermals nur mittels Bekämpfung der Fragestellung gemäß § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. releviert werden könnten, sei auf EvBl. 1985 Nr. 134 verwiesen.

Zur Beschwerde des Angeklagten:

Franz H*** hält eine Nichtigkeit nach § 345 Abs. 1 Z. 9 und 10 StPO. für gegeben, weil der Schwurgerichtshof das Verbesserungsverfahren nach §§ 332, 333 StPO. nicht eingeleitet habe (Z. 10), obwohl zwischen dem Wahrspruch der Geschwornen und dem Inhalt der gemäß § 331 Abs. 3 StPO. verfaßten Niederschrift erhebliche Widersprüche bestünden. Auch erscheine die Niederschrift als solche unvollständig, was erhebliche Bedenken zulasse, ob sich die Geschwornen bei ihrem Ausspruch über die Hauptsache etwa geirrt haben. Damit wird jedoch weder der angerufene noch ein anderer Nichtigkeitsgrund aufgezeigt. Nach dem klaren Wortlaut des § 345 Abs. 1 Z. 10, zweiter Halbsatz, StPO. steht die Unterlassung eines Verbesserungsauftrags nur bei einem von einem oder mehreren Geschwornen behaupteten, bei der Abstimmung unterlaufenen Mißverständnis unter Nichtigkeitssanktion, nicht aber bei einem Widerspruch zwischen Niederschrift und Wahrspruch. Außerdem hat sich der Hinweis der Geschwornen in der Niederschrift offenkundig auf den Augenschein in der Voruntersuchung bezogen, bei dem der Angeklagte Fußtritte gegen den Kopf der Maria G*** gestanden hat. Aber darauf muß gar nicht mehr eingegangen werden.

Die auch bei der Bejahung der Hauptfragen 5 und 6 angeblich unterlaufene Unvollständigkeit der Niederschrift verwirklicht ebensowenig eine Nichtigkeit. Mit dem schlichten Vorbringen, die Geschwornen seien bei der Beantwortung der Eventualfrage 2 "offensichtlich äußerst undeutlich" vorgegangen, weil sie in der Niederschrift darauf nicht Bezug genommen hätten, wird der Nichtigkeitsgrund der Z. 9 nur unzulänglich, weil sein Wesen verkennend, dargestellt. Richtiger Auslegung zufolge können nur Mängel des Wahrspruchs selbst diese Nichtigkeit herstellen (Mayerhofer-Rieder, StPO. 2 ENr. 6 und 7 zu § 345 Z. 9). Beide Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen.

Zu den Berufungen:

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 28, 76 StGB. eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Dabei waren erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen sowie die Ausnützung der Wehr- und Hilflosigkeit des am Boden liegenden Opfers beim Totschlag, mildernd hingegen das vor der Gendarmerie und vor dem Untersuchungsrichter abgelegte Geständnis, welches zur Wahrheitsfindung wesentlich beigetragen hat, und der bisher ordentliche Wandel des Angeklagten.

Die Staatsanwaltschaft begehrt mit ihrer Berufung im Hinblick auf die Heimtücke und die Grausamkeit beim Totschlag eine Erhöhung der Freiheitsstrafe unter weitestgehender Ausschöpfung des gesetzlichen Strafrahmens. Der Angeklagte strebt hingegen mit seiner Berufung eine Herabsetzung des Strafmaßes unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung an (§ 41 StGB.).

Nur der Berufung der Anklagebehörde kommt Berechtigung zu. Im Konnex mit dem von ihr herangezogenen Argument (siehe oben) muß man auch das mehrtätige Zusammentreffen sehen, nämlich die skrupellose Verübung des Vermögensdelikts (2), das die in ärmlichen Verhältnissen lebende alte Frau naturgemäß sehr hart getroffen hat und das in weiterer Folge zu der für sie tödlichen Auseinandersetzung mit dem Angeklagten führte (1). Dieser Konkurrenz kommt bei der besonderen Lage des Falls eine so gravierende Bedeutung zu, daß nur eine im oberen Bereich des Strafrahmens geschöpfte Sanktion dem im überdurchschnittlichen Unrechtsgehalt manifest gewordenen schweren Verschulden des Angeklagten gerecht zu werden vermag: Hat dieser doch eine hilflose, gehbehinderte, sechzigjährige Frau zu Tod getreten, nachdem er sie, eine Analphabetin, durch einen Vertrauensmißbrauch um den Großteil ihrer Ersparnisse gebracht hatte. Die Freiheitsstrafe wurde daher spruchgemäß erhöht.

Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf das erfolgreiche Rechtsmittel seiner Prozeßgegnerin zu verweisen.

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