Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil werden aufgehoben und es wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 12.Juli 1958 geborene beschäftigungslose Hans Peter S*** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143, zweiter Fall, StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er am 19.April 1985 in Baden dadurch, daß er Erika M*** einen Faustschlag gegen das Kinn versetzte, mit den Worten: "Wenn du schreist, bring ich dich gleich um und hau dir den Schädel ab", ihr die Spitze eines Dolches am Hals ansetzte und sie darnach fesselte, dieser 20.500 S weggenommen.
Die Geschwornen bejahten einstimmig die an sie im Sinn der Raubanklage gestellte Hauptfrage und ließen dementsprechend die in Richtung des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, 131, erster Fall, StGB. gestellte Eventualfrage unbeantwortet. Den Antrag des Verteidigers, eine Zusatzfrage wegen Unzurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt infolge voller Berauschung (§ 11 StGB.) und eine Eventualfrage in Richtung des Vergehens nach § 287 StGB. zu stellen, lehnte der Schwurgerichtshof mit der Begründung ab, diese Fragen seien nicht indiziert (S. 325, 327).
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Schuldspruch wendet sich der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs 1 Z. 5 (richtig Z. 6) StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der er mit Recht bemängelt, daß den Geschwornen mangels Stellung entsprechender Fragen die Möglichkeit genommen wurde, sein Verhalten unter ein wesentlich günstigeres Strafgesetz zu subsumieren.
Gemäß § 313 StPO. ist eine Zusatzfrage nach einem Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund (das in alter Terminologie abgefaßte Gesetz begreift hierunter auch Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe) und gemäß § 314 StPO. ist eine Eventualfrage nach einem milderen Strafgesetz dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die - falls sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben oder eine Verurteilung nach einem anderen (nicht strengeren) Straftatbestand nach sich ziehen würden. Ein "Vorbringen" von Tatsachen im Sinn dieser Gesetzesstellen liegt vor, wenn "in der Hauptverhandlung" - nicht bloß in einem Parteienantrag - konkrete Umstände behauptet werden oder sonst hervorkommen, die einen der vorangeführten Gründe (§ 313 StPO.) oder einen von der Hauptfrage abweichenden milderen Schuldspruch ergeben könnten. Zur Stellung einer Zusatzfrage in Richtung § 11 StGB. ist der Schwurgerichtshof aber nur verpflichtet, wenn die vorgebrachten Tatsachen - ihre Richtigkeit vorausgesetzt - die Schuld des Täters ausschließen würden. Der Schwurgerichtshof hat somit vorweg aus rechtlicher Sicht zu prüfen, ob die behaupteten Tatmodalitäten (soweit § 11 StGB. in Frage kommt) die Bedeutung dieses Entschuldigungsgrunds haben können und für den Fall der rechtlichen Erheblichkeit der vorgebrachten Tatsachen entsprechende Fragen an die Geschwornen zu richten (vgl. etwa Mayerhofer-Rieder 2 E. 26, 27 zu § 313 StPO.; 13 Os 79/77 u.v.a.).
In diesem Strafverfahren war der Angeklagte Hans Peter S*** von allem Anfang geständig, seiner ehemaligen Freundin Erika M*** nach einer durchzechten Nacht gewaltsam die Kellnerbrieftasche mit 20.500 S Inhalt abgenommen zu haben, machte für die Tat aber seine Alkoholisierung verantwortlich (S. 117, 157 ff.). Die erhebenden Gendarmeriebeamten gingen von einer "beträchtlichen Menge" an konsumiertem Alkohol aus, konnten die genossenen Mengen im einzelnen aber nicht erheben (S. 111). Im Hinblick auf die sowohl vom Angeklagten S*** (ON. 7) als auch von seinem zunächst als Raubgenossen mitverfolgten Zechkumpan Herbert L*** gemachten Angaben über Art, Menge und Dauer des Konsums berauschender Getränke in der Nacht vor der Tat (S. 175 ff., ON. 8) wurde schon in der Voruntersuchung ein medizinisches Gutachten über den Alkoholisierungsgrad (auch) des Angeklagten S*** eingeholt (S. 3 q und ON. 40). Zusammenfassend kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, daß der Angeklagte S*** unter Zugrundelegung der von ihm deponierten Trinkmengen zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration in der Größenordnung zwischen 3 und 4 %o gehabt haben müßte, was einer schweren Berauschung oder einer Alkoholvergiftung gleichkäme. Er führte jedoch weiter aus, daß diese hohe Blutalkoholkonzentration mit weiteren Verfahrensergebnissen nicht in Einklang zu bringen sei (S. 216, 217).
In der Hauptverhandlung hielt der Sachverständige dieses (verlesene) Gutachten vollinhaltlich aufrecht und erläuterte ergänzend, daß er äußerstenfalls eine mittelstarke bis starke Alkoholisierung als erwiesen annehmen könne, weil der Angeklagte bei der Tatausführung durchaus zielgerecht gehandelt habe, keine wesentlichen Erinnerungslücken aufweise und trotz mangelnder Fahrpraxis nach der Tat ein Kraftfahrzeug bis nach Mödling gelenkt habe (S. 285 bis S. 290). Nachdem sich der Sachverständige bereits entfernt hatte, wurden weitere Zeugen vernommen, die auch über deutliche Merkmale einer schweren Alkoholisierung des Hans Peter S*** zum Tatzeitpunkt berichteten (Eva S***, S. 293, 294, Erika M***, S. 297, 298, 304 bis 306).
Die skizzierten Beweisergebnisse, die mit der in Richtung Volltrunkenheit tendierenden Verantwortung des Angeklagten zwar nicht voll übereinstimmen, weisen jedenfalls auf eine beträchtliche Alkoholisierung zur Tatzeit hin und lassen somit die Möglichkeit offen, daß sich der Angeklagte S*** zum Tatzeitpunkt in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand (§ 11 StGB.) befunden haben könnte. Der Entscheidung der Rechtsfrage ist aber bei der gegebenen Beweislage, wo die Trinkmengen und Trinkzeiten nicht mehr objektivierbar sind und zur Beurteilung der Dispositions- und Diskretionsfähigkeit das gesamte Verhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat mitberücksichtigt werden muß, die Beweisfrage vorgelagert, ob und in welchem Umfang der Angeklagte zum Tatzeitpunkt psychisch beeinträchtigt war. Die Entscheidung dieser Beweisfrage ist jedoch ausschließlich Aufgabe der Geschwornen, weshalb es dem Schwurgerichtshof verwehrt war, durch vorgreifende Würdigung des Gutachtens (S. 327) die Fragestellung an die Geschwornen zu verweigern. Er hätte es vielmehr den Laienrichtern überlassen müssen, die ihnen vorliegenden, teilweise auch gegen eine volle Berauschung des Angeklagten zur Tatzeit sprechenden Verhandlungsergebnisse auf Grund einer entsprechenden Rechtsbelehrung autonom zu würdigen.
Es wäre daher, wie dies in Judikatur und Literatur bereits zu wiederholten Malen hervorgehoben wurde (SSt. 51/59), in diesem Fall - da auch die Einnahme von Medikamenten behauptet wurde - das Dreifragenschema anzuwenden und für den Fall der Bejahung der Hauptfrage nach schwerem Raub (oder der Eventualfrage nach räuberischem Diebstahl) eine Zusatzfrage nach alkoholisierungsbedingter Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB.) und für den Fall auch deren Bejahung außerdem eine Eventualfrage in der Richtung des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 StGB. zu stellen gewesen. Dieser Beurteilung steht auch der Umstand nicht entgegen, daß die Geschwornen in ihrer gemäß § 331 Abs 3 StPO. verfaßten Niederschrift (S. 349) ausdrücklich begründeten, weshalb sie Unzurechnungsfähigkeit infolge Volltrunkenheit ausschließen, weil diese Niederschrift weder eine Ergänzung noch ein Ersatz des Wahrspruchs ist und daher im Urteil nicht verwendet werden darf (§ 342 StPO.). In der Weigerung des Schwurgerichtshofs, trotz eines sachgerechten Antrags der Verteidigung die genannten Fragen zu stellen, liegt der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z. 6 StPO. Somit stand bereits im Zug der nichtöffentlichen Beratung fest, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unumgänglich ist, weshalb der Wahrspruch der Geschwornen und der darauf beruhende Schuldspruch des Angeklagten S*** aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen war (§§ 344, 285 e StPO.). Auf diese kassatorische Entscheidung war der Angeklagte mit seiner ebenfalls erhobenen Berufung zu verweisen.
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