Spruch:
Der im Rechtshilfeverfahren AZ 22 Hs 1781/91 des Strafbezirksgerichtes Wien gefällte Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht vom 4.Juni 1997, AZ 13 b Bl 309/97 (= ON 92), verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 52 Abs 1 ARHG, insoweit darin der Standpunkt vertreten wird, daß unter der ausdrücklichen Bedingung der Rückstellung nach Verfahrensbeendigung im Rechtshilfeweg ausgefolgte Beweisgegenstände im Fall eines diese Sachen betreffenden Verfallserkenntnisses des ausländischen Gerichtes zwangsläufig zu der rechtlichen Verfügungsmacht des Rechtshilfegerichtes entzogenen Objekten des (ausländischen) Verfallsverfahrens werden.
Text
Gründe:
Im Verfahren AZ 22 Hs 1781/91 verfügte das Strafbezirksgericht Wien aufgrund eines Rechtshilfeersuchens des Bundesgerichtes I. Instanz der Vereinigten Staaten von Amerika für Rhode Island mit Beschluß vom 10. Februar 1992 die Beschlagnahme der in den Tresorfächern mit den Nummern 349 und 1.005 der Firma S***** Wertfach-VermietungsgesmbH & Co KG befindlichen Objekte, sofern sie als Beweismaterial für das in den USA (u.a.) gegen Stephen A. und Donna S***** wegen des Verdachts der Geldwäsche in bezug auf aus Einkünften kolumbianischer Rauschgifthändler stammende 170 Mio Dollar geführte Strafverfahren von Bedeutung sein könnten (ON 13). In den beiden Schließfächern wurden Wertpapiere und Bargeld sichergestellt (siehe dazu im einzelnen ON 15 ff).
In Entsprechung eines weiteren förmlichen Ersuchens des genannten US-Gerichtes um Übergabe des beschlagnahmten Inhaltes der in Rede stehenden Schließfächer "zur Rückgabe an die Vereinigten Staaten als Beweismittel in einem Strafverfahren" vom 19.August 1992 (ON 48, 49) verfügte das Strafbezirksgericht Wien mit Beschluß vom 10.November 1992 die gewünschte Ausfolgung an einen Vertreter der US-Botschaft in Wien, unter der (akzeptierten) Bedingung, daß die Wertpapiere und das Bargeld "als Beweismittel - in den gegen Stephen A. S***** und andere anhängigen Strafverfahren - verwendet werden dürfen" sowie daß sie "nach Abschluß der Verfahren wieder zur Gänze an das Strafbezirksgericht Wien im Original zurückgestellt werden" (ON 55). Die bedungene Rückstellung wird vom Bundesministerium für Justiz überwacht (ON 67, 83 u.a.).
In dem parallel zum Rechtshilfeverfahren gegen Stephen A. S***** wegen des Verdachtes nach § 164 StGB a.F. beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 5 d E Vr 3856/92 geführten Inlandsverfahren gab die Staatsanwaltschaft am 29.Juli 1996 die Erklärung ab, zur weiteren Verfolgung des Stephen S***** keinen Grund zu finden (§ 90 StPO; siehe ON 212/IV des zitierten Aktes). Unmittelbar danach beantragte der inländische Rechtsanwalt des Genannten die Aufhebung der in Rede stehenden Beschlagnahme und die unverzügliche Ausfolgung der sichergestellten Vermögenswerte zur freien Verfügung, weil angesichts der Rechtskraft des amerikanischen Schuldspruches und der Einstellung des Inlandsverfahrens "jeder Grund für die seinerzeitige Beschlagnahme weggefallen sei" (ON 70).
Vor Erledigung dieses Antrages langte beim Strafbezirksgericht Wien ein neuerliches ergänzendes Rechtshilfeersuchen des eingangs genannten US-Gerichtes vom 14.Februar 1997 ein, in welchem um Zustellung angeschlossener Mitteilungen über die erfolgte Vermögenseinziehung an konkret bezeichnete österreichische Institute ersucht wurde. In diesem Zusammenhang wurde ausgeführt, daß Stephen A. S***** - nach bestätigenden Entscheidungen des US-Court of Appeals als Berufungsgericht und letztlich am 25.März 1996 Ablehnung des US-Supreme Court als Höchstgericht diese Entscheidungen zu überprüfen - rechtskräftig der Erpressung, Geldwäscherei etc schuldig erkannt und zu einer Haftstrafe von 660 Jahren verurteilt worden wäre; ferner sei entschieden worden, daß S***** das der Geldwäsche unterzogene, in Höhe von insgesamt 136,344.231,86 Dollar bezifferte Geld "einbüßen" solle, zu welchem Zweck (auch) die in Österreich sichergestellten und als Beweismittel zur Verfügung gestellten Werte einzuziehen wären. Damit diese "Verfügung der Einziehung durchführbar und endgültig" werde, sei nach US-Prozeßrecht eine entsprechende - mit diesem Rechtshilfeersuchen in die Wege geleitete - Information der involvierten Geldinstitute erforderlich, denen hiedurch die fristgebundene Geltendmachung von Ansprüchen eröffnet werde. Mit der "Endgültigkeit" der Einziehungsverfügung wären dann alle Verfahren in den Vereinigten Staaten abgeschlossen, weshalb "anzunehmen" sei, daß sodann "alle von Österreich erhaltenen Beweise nicht mehr länger in den USA benötigt und diese mit der endgültigen Verfügung der Einziehung nach Österreich retourniert werden" (ON 85).
Diesem Rechtshilfeersuchen war mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß der vom Bundesgericht I. Instanz der Vereinigten Staaten von Amerika für Rhode Island verfügte Verfall der Vermögenswerte zwar vom Betroffenen nicht mehr angefochten werden konnte, die für den endgültigen Verfahrensabschluß (als maßgebliches Kriterium der ausbedungenen Beweismittelrückstellung) erforderliche Effektuierbarkeit dieser Anordnung aber noch nicht eingetreten ist. Dessen ungeachtet verfügte das Strafbezirksgericht Wien mit Beschluß vom 19.März 1997 in Stattgebung des Antrages des Stephen A. S***** die Aufhebung der Beschlagnahme der in Tresorfächern sichergestellten - detailliert aufgezählten - "Bargelder, Obligationen und anderen finanziellen Mittel" (ON 86).
Dieser Beschluß wurde, "insoweit er inhaltlich auch die Verwahrung der dort genannten Depositen nach § 1425 ABGB ablehnt", vom Landesgericht für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht mit Beschluß vom 4.Juni 1997, AZ 13 b Bl 309/97, in teilweiser Stattgebung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wien "derzeit ersatzlos aufgehoben". Die Anklagebehörde hatte in der Beschwerde die sofortige gerichtliche Hinterlegung der Depositen begehrt (ON 88), was vom Beschwerdegericht mangels Zugriffsmöglichkeit auf die nach wie vor im Gewahrsam der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden befindlichen Gegenstände für nicht "aktualisierbar" erachtet wurde. Angesichts der dem Ausfolgungsantrag des Stephen A. S***** widerstreitenden amerikanischen Einziehungsverfügung wurde die Verwahrung gemäß § 1425 ABGB deshalb (nur) "für zulässig" erklärt (ON 92).
In rechtlicher Sicht vertrat das Beschwerdegericht den Standpunkt, daß dem Strafbezirksgericht Wien zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits die Kompetenz zur Aufhebung der in Rede stehenden Beschlagnahme gefehlt habe; durch die in Rechtskraft erwachsene Einziehungsverfügung des in den USA im Strafverfahren gegen Stephen A. S***** entscheidenden Gerichtes hätten die im Rechtshilfeweg ausgefolgten Vermögenswerte ihre Funktion als Beweismittel verloren und wären zu Objekten des dem Rechtshilfegericht nicht obliegenden Strafvollzuges geworden. Die rechtliche Verfügungsmacht sei "mit der meritorisch verurteilenden und die Einziehung verfügenden Sachentscheidung dem Strafbezirksgericht Wien entzogen worden und auf das amerikanische Erkenntnisgericht übergegangen".
Diesem eine geradezu zwangsläufige Kompetenzübertragung an das ausländische Gericht statuierenden Rechtsstandpunkt fehlt - wie der Generalprokurator zutreffend aufzeigt - jede gesetzliche Grundlage.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 52 Abs 1 ARHG dürfen Gegenstände (oder Akten) dem ersuchenden ausländischen Gericht nur übersendet werden, wenn - abgesehen von dem im § 52 Abs 1 zweiter Satz ARHG vorgesehenen Verzicht - gewährleistet ist, daß sie so bald wie möglich zurückgegeben werden.
Der die Ausfolgung der Depositen anordnende Beschluß des Strafbezirksgerichtes Wien (ON 55) hat ausdrücklich die Bedingung enthalten, daß die vom ersuchenden Gericht als Beweismittel benötigten Objekte nach Verfahrensbeendigung "wieder zur Gänze im Original" zurückzustellen sind. Diese vom ersuchenden Gericht akzeptierte Rückstellungsverpflichtung verdeutlicht unmißverständlich, daß das Strafbezirksgericht Wien mit seinem Beschluß nur die faktische Verfügungsmacht über die Depositen für einen, wenngleich nicht kalendermäßig bestimmbaren Zeitraum abgegeben hat, ohne sich seiner rechtlichen Verfügungskompetenz zu entledigen. Konsequenz der Verfahrensbeendigung in den USA kann in Ansehung dieser Depositen somit nur deren Rückstellung nach Österreich sein, die allenfalls mit einem neuerlichen Rechtshilfeersuchen, diesmal um Vollstreckung der vermögensrechtlichen Anordnung, verbunden werden kann. Über dieses (allfällige) Ersuchen wird das zuständige österreichische Gericht eigenständig nach den hiefür maßgeblichen Rechtsvorschriften zu entscheiden haben.
Jedenfalls steht es - wie das Beschwerdegericht meinte - dem ersuchenden Staat gemäß § 52 Abs 1 erster Satz ARHG nicht frei, sich über die vereinbarte Rückstellungsbedingung einseitig - somit ohne eine gemäß § 52 Abs 1 zweiter Satz ARHG abgegebenen Verzichtserklärung - hinwegzusetzen.
Soweit sich die Äußerung des vom Rechtshilfeverfahren Betroffenen mit dem Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde befaßt, wird dieser daher auch (zu Recht) voll beigetreten (sh deren S 2, Allgemeine Ausführungen Pkt. 3).
Die Generalprokuratur führte über das Beschwerdevorbringen hinaus zusätzlich ins Treffen:
Festzuhalten wäre in diesem Zusammenhang daß der die Verwahrung gemäß § 1425 ABGB für zulässig erklärende Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (ON 92) ohne praktische Bedeutung geblieben ist. Sollte nämlich das amerikanische Gericht seinerzeit tatsächlich die Rückstellung der Depositen mit dem Ersuchen um Vollstreckung der nach US-Recht wirksamen Verfallsanordnung verknüpfen, wird die Berechtigung dieses Ersuchens Grundlage der die Depositen betreffenden gerichtlichen Verfügung sein. Wird ein derartiges Ersuchen nicht gestellt, wird die zuständige Anklagebehörde das Vorliegen der Voraussetzungen des selbstständigen Verfahrens nach § 445 StPO zu prüfen haben; verneinendenfalls werden die Depositen dem von der Beschlagnahme Betroffenen zur freien Verfügung auszuhändigen sein".
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)