OGH 13Os171/87

OGH13Os171/8717.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Dezember 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Mitterhöfer als Schriftführers in der Strafsache gegen Raimund W*** wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 21.August 1987, GZ. 9 Vr 2945/86-124, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben. Der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil, die im übrigen unberührt bleiben, werden jeweils im Faktum II sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte hierauf verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 11.Juni 1951 geborene Raimund W*** wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB. (I) und des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB. (II) schuldig erkannt. Nach dem Schuldspruch hat der Angeklagte in Kaindorf an der Sulm am 5.August 1986 seine Ehefrau Monika durch Versetzen von Schlägen am Körper verletzt (I) sowie am 29. August 1986 sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, seine Gattin durch die Abgabe von 6 Schüssen aus einem Gewehr zu töten (II).

Die Geschwornen hatten die Hauptfragen I und III (jeweils nach dem Vergehen der gefährlichen Drohung - § 107 Abs. 1 und 2 StGB.) einstimmig verneint, die Hauptfrage II (nach dem Vergehen der Körperverletzung - § 83 Abs. 1 StGB.) einhellig bejaht, die Hauptfrage IV (nach dem Verbrechen des Mordes - § 75 StGB.) mit vier ja und vier nein Stimmen sowie die Eventualfrage V (nach dem Verbrechen des Totschlags - § 76 StGB.) mit acht ja Stimmen beantwortet. Die Eventualfragen VI und VII (nach fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen - § 81 StGB. - sowie nach fahrlässiger Tötung - § 80 StGB.) blieben demnach unbeantwortet. Weitere Fragen wurden den Geschwornen nicht gestellt. Den Schuldspruch wegen Totschlags ficht der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde an, die auf § 345 Abs. 1 Z. 5, 6 und 8 StPO. gestützt wird.

Rechtliche Beurteilung

Berechtigt ist das Beschwerdevorbringen zu Z. 6, mit welchem das Unterbleiben der Stellung einer Zusatzfrage nach Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB.) gerügt wird. Eine Zusatzfrage im Sinn des § 313 StPO. ist nämlich dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden.

Umstände dieser Art wurden vom Angeklagten der Sache nach aber vorgebracht. In der Hauptverhandlung am 18.August 1987 (Band III Seite 37 f.) verantwortete er sich unter anderem wörtlich wie folgt:

"Ich riß mich dann von Monika los und rannte in das uneingerichtete Zimmer. Als ich das Gewehr dort sah, dann weiß ich nichts mehr. Ich habe es plötzlich in der Hand gehabt. Wir haben dann mit dem Gewehr herumgerauft. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Monika schrie immer weiter, daß sie mich in den Feldhof bringt, ich sei ein Versager, eine Sau usw. Ich sagte immer, daß ich ihr nichts getan habe. Im Zuge dieser Rauferei waren wir dann wieder im Zimmer und auf einmal hat es gekracht, vollkommen unabsichtlich. Ich weiß nicht, wie der Schuß losgegangen ist. Wir haben mit dem Gewehr gerauft. Ich habe zu schreien begonnen und zwar Monika, Monika und dann habe ich geweint. Ich lief dann die Stiege auf und ab. Ich weiß nicht, daß ich fünf weitere Schüsse abgegeben habe. Ich bin ganz aufgeregt auf und nieder gelaufen. Ich weiß auch nicht, warum ich so gelaufen bin" sowie über Vorhalt der wahrheitswidrigen (?) Angaben AS. 19 ff., ON. 3 sowie ON. 5, AS. 33 ff.: "Ich weiß nicht mehr, wie das war" (Band III Seite 39).

Angesichts dieser Deponierungen (in ihrem Zusammenhalt) kann nicht davon ausgegangen werden, der Angeklagte habe lediglich behauptet, sich an den genauen Tathergang nicht mehr zu erinnern und die Gründe für sein (ihm bewußtes) Tun nicht erklären zu können. Der Sache nach brachte er vielmehr zum Ausdruck, zur Tatzeit nicht einmal die faktische Bedeutung seines Verhaltens erkannt zu haben und somit nicht diskretionsfähig gewesen zu sein.

Es war daher die Stellung einer Zusatzfrage in der Richtung des § 11 StGB., die der Angeklagte sogar beantragt hatte (Band III, Seite 276), entgegen der Ansicht des Schwurgerichtshofs indiziert, weil § 11 StGB. ausdrücklich die tiefgreifende Bewußtseinsstörung oder eine andere schwere, gleichwertige seelische Störung als einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand anführt, deren Abgrenzung im Einzelfall (vgl. Leukauf-Steininger, Komm.2, RN. 11 zu § 11 StGB.) als gemischte Tat- und Rechtsfrage den Geschwornen überlassen werden muß. Darauf, daß der Angeklagte sich nicht gleichsam mit den verba legalia auf Zurechnungsunfähigkeit berief, kommt es dabei nicht an. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens hingegen obliegt wiederum ausschließlich den Geschwornen. Schon aus den angeführten Gründen war eine Kassation des angefochtenen Urteils unumgänglich, ohne daß es notwendig gewesen wäre, auf die weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe einzugehen, zumal das Beschwerdevorbringen zur Z. 5 nicht substantiiert, jenes zur Z. 8 aber deswegen unbeachtlich ist, weil eine Rechtsbelehrung lediglich die in den Fragen aufscheinenden Rechtsbegriffe zu erläutern hat (siehe § 321 Abs. 2 StPO.), eine Frage in der Richtung des § 11 StGB. den Geschwornen aber nicht unterbreitet wurde.

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