Spruch:
In der Strafsache gegen unbekannte Täter (zum Nachteil des Klaus D*****) wegen Verdachtes des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB, AZ 34 Vr 661/95 des Landesgerichtes Innsbruck, verletzt der Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 26.April 1995, AZ 6 Bs 162/95, soweit in Stattgebung der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck der Beschluß der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck vom 15.März 1995, GZ 34 Vr 661/95-4, aufgehoben und die Genehmigung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch Anordnung der Erhebung, von welchen Fernsprechstellen aus die Fernsprechanlagen des Klaus D***** (Nr *****) am 25.Februar 1995 zwischen 14 und 17 Uhr und des Ing.Reinhard K***** (Nr *****) am 26.Februar 1995 zwischen 8 und 9 Uhr angewählt worden sind, verweigert wurde, § 149 a Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Beim Landesgericht Innsbruck ist zum AZ 34 Vr 661/95 ein Strafverfahren gegen unbekannte Täter wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB anhängig. Es hat die am 23.Februar 1995 erfolgte Wegnahme eines Computers des Klaus D***** in einem 25.000 S übersteigenden Wert zum Gegenstand.
Die Ratskammer dieses Gerichtes ordnete auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluß vom 15.März 1995 gemäß § 149 a Abs 1 Z 1 StPO die (nachträgliche) Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch Erhebung, von welchen Fernmeldeanlagen aus am 25.Februar 1995 zwischen 14 und 17 Uhr jene des Klaus D***** und am 26.Februar 1995 zwischen 8 und 9 Uhr jene des Ing.Reinhard K***** (Rufnummern siehe Spruch) angewählt wurde (ON 4). Die genannten Fernmeldeanlageninhaber hatten der Überwachung des Fernmeldeverkehrs ausdrücklich zugestimmt (AS 15, 17). Sie waren in den angeführten Zeiträumen an den bezeichneten Anschlüssen jeweils von einem Unbekannten angerufen worden, der sich als Gendarmeriebeamter ausgab und nach dem Paßwort des gestohlenen Gerätes fragte.
Die Ratskammer erachtete die Maßnahme als zur Ausforschung der Täter geeignet. Sie sah die zur allfälligen Ermittlung der (nach ihrer Annahme mit den Tätern identen oder zu diesen zumindest in einem Naheverhältnis stehenden) unbekannten Gesprächsteilnehmern erforderliche Überprüfung durch elektronische Abstimmung der von der Fernmeldebehörde (zwecks Gebührenverrechnung) gespeicherten Telefonnummern jener Fernsprechstellen, von welchen aus mit den angeführten Sprechstellen im fraglichen Zeitraum eine Verbindung hergestellt wurde, auch in bezug auf die mit dieser Vorgangsweise verbundene Überprüfung einer Vielzahl unbeteiligter Personen (die im Überwachungszeitraum mit Klaus D***** bzw Ing.Reinhard K***** zwar fernmündlich Kontakt aufgenommen hatten, ohne jedoch mit dem Straffall in Verbindung zu stehen) als zulässig im Sinn des § 149 a StPO an.
Mit dem im Spruch näher bezeichneten Beschluß gab das Oberlandesgericht Innsbruck der dagegen von der Staatsanwaltschaft erhobenen Beschwerde dahin Folge, daß die Überwachung auf die Überprüfung der Anschlüsse zweier namentlich genannter Tatverdächtiger eingeschränkt wurde. Im übrigen wurde das Vorliegen der Voraussetzungen für die von der Ratskammer angeordnete Maßnahme verneint, weil das Gesetz die damit verbundene elektronische Erfassung einer unüberschaubaren Anzahl von Fernsprechstellen völlig unbeteiligter Personen, und zwar auch der in die Überprüfung einbezogenen, digital erfaßten Anlagen, von denen aus in den aktuellen Zeiträumen gar keine Verbindung zu den betroffenen Fernsprechstellen aufgenommen worden war, nicht zulasse.
Zwischenzeitig konnte die Identität der zunächst anonymen Fernsprechteilnehmer, deren Ausforschung die von der Ratskammer bewilligte Überwachung dienen sollte, geklärt werden (ON 8). Sie stehen nach dem bisherigen Verfahrensverlauf allerdings mit der gegenständlichen Straftat nicht im Zusammenhang.
In einem anderen Strafverfahren (AZ 28 Vr 493/95 des Landesgerichtes Innsbruck, gegen Hans N***** wegen § 107 Abs 1 und 2 StGB) hat das Oberlandesgericht Innsbruck bei ähnlicher Sachverhaltskonstellation und Verweigerung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch die Ratskammer über Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit Beschluß vom 14. März 1995, AZ 7 Bs 117/95, uneingeschränkt Überwachungsmaßnahmen zur Ausforschung passiver Rufdaten in bezug auf einen bestimmten Fernsprechanschluß genehmigt (ON 15 des bezeichneten erstgerichtlichen Aktes).
Rechtliche Beurteilung
Durch die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 26.April 1995, AZ 6 Bs 162/95, wurde, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht geltend macht, das Gesetz verletzt.
Die nachträgliche Rufdatenerfassung im Rahmen eines rechenunterstützten Abfrage- und Suchvorgangs ist (mit entsprechendem Aufwand) technisch möglich. Im Fall der Überprüfung von Rufdatenaufzeichnungen über einen Zeitraum von Stunden werden zwangsläufig auch Rufnummern jener Fernsprechstellen erfaßt, von welchen aus die betreffenden Anlagen angewählt worden sind, ohne daß diese mit den von den gesuchten Mitteilungsgebern benützten Anlagen ident sind.
Die hier relevanten Vermittlungsdaten (§§ 28 Z 3, 32 FG) betreffen die von der Post- und Telegraphenverwaltung als Betreiber des Fernmeldedienstes (§ 28 Z 1 FG) auf einem Datenträger (grundsätzlich nur zu Verrechnungszwecken für maximal drei Jahre) festgehaltenen Angaben über personenbezogene Daten (im Sinne des § 3 Z 1 DSG), die verfassungsrechtlichen Schutz des Fernmeldegeheimnisses (Art 10 a StGG 1867, RGBGl 142 idF BGBl 1974/8), des Schutzes des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK; vgl swN Mayer B-VG MKK Art 8 MRK Erl II. 4.; Art 10 a StGG Erl I) sowie des Grundrechtes auf Datenschutz (§ 1 DSG) genießen (siehe auch Kratzer-Stratil, FernmeldeG, MSA Anm 1 zu § 32).
Ein Eingriff in den Schutz des Fernmeldegeheimnisses bedarf gemäß § 10 a StGG eines auf Grund innerstaatlicher Rechtsvorschriften erlassenen gerichtlichen Befehls. Darüber hinaus muß die Maßnahme einem anerkannten (legitimen) Ziel sowie einem zwingenden sozialen Bedürfnis entsprechen und verhältnismäßig sein (vgl swN Mayer aaO, Art 8 MRK Erl III. 2 bis 5).
Die entsprechende gesetzliche Ausnahmeregelung wurde durch § 149 a ff StPO geschaffen. Gemäß § 149 a Abs 1 leg cit ist die Überwachung eines Fernmeldeverkehrs (im Dienste der Strafrechtspflege und nur zur Aufklärung schwerer oder mittelschwerer Straftaten) zulässig, wenn der Inhaber der Anlage der Überwachung ausdrücklich zustimmt (Z 1), selbst in dringendem Tatverdacht steht (Z 2 lit a) oder Gründe für die Annahme vorliegen, daß eine der Tat dringend verdächtige Person die Anlage benützen oder eine Verbindung mit ihr herstellen werde (Z 2 lit b).
Der Begriff der Überwachung umfaßt neben dem Abhören im eigentlichen Sinn aber auch solche Erhebungen, die sich nicht auf die Gesprächsinhalte selbst beziehen, wie zB über Frequenz und Dauer des Fernsprechverkehrs oder die Feststellung der Fernsprechstelle, von der aus mit dem überwachten Anschluß Kontakt aufgenommen wurde (RV 924 BlgNR XVIII.GP, 23).
Vorliegendenfalls wurde der auf bestimmte Tatsachen gegründete hinlängliche Verdacht der Mitwirkung am verfahrensgegenständlichen Diebstahl gegen (zunächst) anonym gebliebene Anrufer (wie er für die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen vorausgesetzt wird, vgl auch Mayerhofer/Rieder, StPO3, § 149 a E 2) auch vom Oberlandesgericht zutreffend bejaht. Ebenso wurde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten, weil andere Ermittlungen zur Ausforschung der Fernsprechstelle, von der aus die relevante Verbindung erfolgte, nicht zur Verfügung standen.
Zwar enthalten die Vorschriften der §§ 149 a ff StPO (anders als § 34 Abs 3 FG, wonach die Einrichtung der sogenannten Fangschaltung auf zukünftige Anrufe eingeschränkt ist) keine ausdrückliche Regelung in bezug auf die elektronische Erfassung von gespeicherten Ermittlungsdaten. In Übereinstimmung mit der Auffassung der befaßten Gerichte ist die Offenlegung derartiger Rufdaten zur Ausforschung des Täters als Überwachung des Fernmeldeverkehrs im Sinn des § 149 a StPO zu beurteilen. Eine derartige Maßnahme stellt jedenfalls einen geringeren Eingriff als das (nach dieser Gesetzesstelle unter den entsprechenden Voraussetzungen zulässige) Abhören aktueller Gesprächsinhalte dar, weil lediglich schon aufgezeichnete Daten zur Feststellung bestimmter Teilnehmernummern überprüft werden.
Die von der Ratskammer bewilligte Überwachung zielte auf die Offenlegung jener Anlagen, von denen aus mit den Fernmeldeanlagen des Klaus D***** und des Ing.Reinhard K***** im Überwachungszeitraum Kontakt aufgenommen wurde. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichtes trifft es jedoch nicht zu, daß neben jenen Anlagen, von denen aus im genannten Zeitraum die betroffenen Fernsprechstellen tatsächlich kontaktiert wurden, eine Unzahl von Fernmeldeanlagen, deren Inhaber in keiner Beziehung zum jeweiligen Mitteilungsempfänger standen, auf ihre angewählten Nummern kontrolliert worden wäre, hätte die Aufzeichnung doch nur solche Anlagen erfaßt, von denen aus im Überwachungszeitraum tatsächlich eine Verbindung zur Fernsprechstelle der überwachten Mitteilungsempfänger hergestellt worden ist.
Aber auch in bezug auf mit dem Straffall in keinem Zusammenhang stehende Anrufer, deren Sprechstellen lediglich auf Grund der Aufnahme einer Verbindung mit den betroffenen Anlagen im fraglichen Zeitraum erfaßt worden wären, prävaliert bei wohlerwogener Interessenabwägung jenes der Strafverfolgung. Im Hinblick auf die im § 149 c StPO normierten Kautelen, wonach nur für die Untersuchung bedeutsame Daten, deren Verwendung als Beweismittel zulässig ist, aufzuzeichnen und zum Akt zu nehmen sind (RV 924 BGBl NR XVIII.GP, 24), im aktuellen Fall sogenannte "Zufallsbefunde" (im Sinne des § 149 c Abs 2 StPO) außer Betracht bleiben können und davon abgesehen allfällige ausgeforschte nicht tatverdächtige Anrufer durch die Vorschriften des § 149 c Abs 3 bis 7 StPO geschützt sind, wäre die vorliegende, auf die Abstimmung der Telefonanschlüsse des Klaus D***** und des Ing.Reinhard K***** mit einer von vornherein nicht bekannten Anzahl erst auszuforschender Fernmeldestellen abzielende Überwachung (unabhängig vom Umfang des technischen Aufwandes zur Durchführung eines derartigen Suchvorganges) unter den Voraussetzungen richterlicher Genehmigung im Sinne der §§ 149 a ff StPO zulässig gewesen.
Nach Lage des Falles kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Maßnahme wegen des (zwangsläufigen) Fehlens des Einverständnisses zur Überwachung jener Anlageninhaber, deren Sprechstellen von den unbekannten Mitteilungsgebern benützt wurden, allenfalls auch auf § 149 a Abs 1 Z 2 lit b StPO zu stützen gewesen wäre. Der Gesetzgeber hat im § 149 a Abs 1 Z 1 StPO auch die mangelnde Zustimmung unbeteiligter Mitteilungsgeber (die sich mit dem mit der Überwachung seiner Anlage einverstandenen Dritten) in Verbindung setzen, ersichtlich in Kauf genommen.
Wegen zwischenzeitiger Ausforschung der gesuchten Anrufer hat sich der Oberste Gerichtshof auf die Feststellung der dem Oberlandesgericht Innsbruck unterlaufenen Gesetzesverletzung zu beschränken. Mit Rücksicht auf die (über den konkreten Anlaßfall hinausgehende, aus den oben bezeichneten, differierenden Entscheidungen des Oberlandesgerichtes hervorleuchtende grundsätzliche) Bedeutung der aufgezeigten Problematik für die Strafrechtspraxis war die Feststellung der Gesetzesverletzung jedoch bereits aus Gründen der Rechtssicherheit geboten.
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