Spruch:
Die Wiedereinsetzung wider die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde wird verweigert. Hingegen wird die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Berufung erteilt und der Beschluß des Oberlandesgerichts Wien vom 2.April 1985, AZ. 27 Bs 139/85, mit welchem die Berufung zurückgewiesen worden ist, aufgehoben.
Text
Gründe:
Der am 18.September 1943 geborene Erich S*** wurde mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 20.November 1984, GZ. 6 a Vr 562/84-102, des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 StGB sowie mehrerer Vergehen schuldig erkannt und zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung (§ 268 StPO) erklärte der durch den Wahlverteidiger Dr.Karl Bernhauser vertretene Angeklagte, sich Bedenkzeit vorzubehalten (II. Band, S. 191). Am folgenden Tag, mithin innerhalb der hiefür vorgesehenen Frist (§ 284 Abs. 1 StPO, auch i.V.m. § 294 Abs. 1 StPO) gab der Angeklagte durch seinen genannten Verteidiger einen die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung enthaltenden Schriftsatz zur Post (ON. 104), der Beschwerdepunkte nicht anführte.
Der öffentliche Ankläger ergriff kein Rechtsmittel gegen das einleitend zitierte Urteil.
Am 13.Dezember 1984 langte beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein weiterer Schriftsatz ein, in dem der Wahlverteidiger Dr.Karl Bernhauser die Vollmachtskündigung erklärte (ON. 105). Die am 30.Jänner 1985, also nach Ablauf der Vierzehntagefrist des § 11 Abs. 2 RAO verfügte eigenhändige Zustellung der Abschrift (Ausfertigung) des - wie erwähnt, vom Angeklagten mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angefochtenen - Urteils wurde demgemäß (samt Rechtsbelehrung über die Möglichkeit, die Beigabe eines Verteidigers gemäß § 41 Abs. 2 StPO zu beantragen, und die Rechtsmittel zu gerichtlichem Protokoll zu geben) an den Angeklagten adressiert (II. Band, S. 237), der die Sendung am 11.Februar 1985 übernahm (siehe Rückschein bei ON. 106).
In der Folgezeit unterblieb eine Rechtsmittelausführung, sodaß das Erstgericht mit dem Beschluß vom 1.März 1985 die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 a (Z. 2) StPO zurückwies (ON. 107). Diese Entscheidung wurde dem Verurteilten am 7.März 1985 eigenhändig zugestellt (siehe Rückschein bei ON. 107). Die Berufung wurde mit dem Beschluß des Oberlandesgerichts Wien vom 2.April 1985, AZ. 27 Bs 139/85, gemäß § 294 Abs. 4 StPO zurückgewiesen (ON. 109). Daraufhin wurde die Endverfügung (ON. 110) erlassen, deren die Zustellung der eben zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien enthaltende Anordnung (Punkt 2) aus einem offensichtlichen Versehen der Geschäftsabteilung des Landesgerichts nicht befolgt worden ist (Punkt 2 ist - im Gegensatz zu den anderen Punkten der Endverfügung - nicht abgehakt; kein Rückschein bzw. Fehlbericht zu Punkt 2; siehe dazu auch den Amtsvermerk des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 1.August 1985, II. Band, S. 253). Erst mit der Zustellung (durch Hinterlegung) der Strafantrittsaufforderung (laut Punkt 7 der Endverfügung) am 30. Juli 1985 (siehe Rückschein bei ON. 110 und Parteienvorbringen II. Band, S. 253 oben) wurde dem Verurteilten bewußt, daß Rechtsanwalt Dr.Bernhauser, dessen schon erwähnte Kündigung der Vertretung ihn (wegen Änderung des Wohnorts) nicht erreicht hatte, nicht nur die Nichtigkeitsbeschwerde, sondern auch die Berufung nicht ausgeführt hatte (siehe dazu erneut II. Band, S. 253). Daraufhin begab sich Erich S*** am 1.August 1985 zum Vorsitzenden des Schöffengerichts, erörterte mit diesem den Sachverhalt und erhielt auch eine Rechtsbelehrung über die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bei diesem Gespräch sagte der Verurteilte auch (sinngemäß), er sei - in Unkenntnis der Vollmachtskündigung - der Meinung gewesen, Rechtsanwalt Dr.Bernhauser hätte die Nichtigkeitsbeschwerde aus rechtlichen Gründen nicht ausgeführt, wohl aber die Berufung (siehe abermals II. Band, S. 253).
Am 13.August 1985 langte beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein Antrag des Verurteilten auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein, in dem im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen über die Unkenntnis der Vertretungskündigung (bis zum 31.Juli 1985) und Nichtzustellung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 2.April 1985, mit welcher die Berufung zurückgewiesen worden war, wiederholt wird (ON. 115).
In ihrer Äußerung gemäß § 364 Abs. 2 StPO trat die Staatsanwaltschaft diesem Antrag entgegen.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag des Verurteilten ist, soweit er sich auf die Nichtigkeitsbeschwerde bezieht, nicht berechtigt. Wie bereits dargelegt, erfuhr Erich S*** bereits am 7.März 1985 von der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde wegen der Unterlassung der schriftlichen Ausführung. Demgemäß begann der Lauf der im § 364 Abs. 1 Z. 2 StPO vorgesehenen Vierzehntagefrist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags mit dem 8.März 1985. Die Antragstellung erst am 13.August 1985 (siehe oben) ist daher verspätet. Anders verhält es sich mit dem das Rechtsmittel der Berufung betreffenden Begehren. Nach dem Akteninhalt muß davon ausgegangen werden, daß der Verurteilte tatsächlich erst mit der Zustellung der Strafantrittsaufforderung am 30.Juli 1985 und der am folgenden Tag gepflogenen Nachfrage bei Rechtsanwalt Dr. Bernhauser von der Unterlassung (auch) der Berufungsausführung erfahren hat. Die Antragstellung in Ansehung der (versäumten) Berufungsausführung ist daher fristgerecht (§ 364 Abs. 1 Z. 2 StPO). Sie ist aber auch berechtigt.
Mit Rücksicht auf die (aus dem Versehen des Gerichts) unterbliebene Zustellung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien über die Zurückweisung der Berufung und die vom Verteidiger erklärte, dem Angeklagten jedoch nicht zugekommene Vertretungskündigung liegen für diesen von ihm nicht verschuldete unabwendbare Umstände vor (§ 364 Abs. 1 Z. 1 StPO), die es ihm unmöglich machten, die gesetzliche Frist zur Berufungsausführung wahrzunehmen. Es kann aber nach der Fallgestaltung auch nicht von einem nach der Vorschrift des § 364 Abs. 1 Z. 1 StPO den früheren Vertreter Rechtsanwalt Dr.Bernhauser treffenden Verschulden gesprochen werden, weil dieser über die Anschriftenänderung des Angeklagten nicht informiert worden war. Die Unterlassung der Bekanntgabe dieser Anschriftenänderung an Dr.Bernhauser (wie sie etwa § 8 ZustellG für das Verhältnis einer Partei zu einer Behörde regelt) kann andererseits dem Verurteilten wieder deshalb nicht als Verschulden im Sinn des § 364 Abs. 1 Z. 1 StPO vorgeworfen werden, weil dieser keinen - aus den Akten ersichtlichen - Grund zur Annahme hatte, daß sein Wahlverteidiger die Vertretung kündigen werde. Die Ausführung der Berufung (§ 364 Abs. 1 Z. 3 StPO) kann insolang nicht gefordert werden, als über den zugleich mit dem Wiedereinsetzungsbegehren gestellten Antrag auf Beigebung eines Verteidigers (§ 41 Abs. 2 StPO) nicht entschieden ist. Aus den dargelegten Gründen war dem Wiedereinsetzungsbegehren in der aus dem Spruch der Entscheidung ersichtlichen Weise teilweise Folge zu geben. Im übrigen war die Wiedereinsetzung, nämlich in Ansehung der Nichtigkeitsbeschwerde, zu verweigern. Das Landesgericht für Strafsachen Wien wird nun über den Antrag auf Beigebung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs. 2 StPO zu entscheiden haben. Nach Bewilligung wird dem Verteidiger eine Urteilsabschrift zur Berufungsausführung zuzustellen und sodann weiter gemäß § 294 Abs. 2 und 3 StPO vorzugehen sein. Im Falle des - aktenmäßig wohl nicht indizierten - Abweisung des in Rede stehenden Antrags wären die Akten dem Oberlandesgericht zur (Formal-)Entscheidung über die Berufung vorzulegen. Bezüglich der Frage der Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs zur Entscheidung über den vorliegenden Restitutionsantrag genügt ein Hinweis auf die bei Mayerhofer-Rieder 2 unter Nr. 17 und 18 zu § 364 StPO zitierten Entscheidungen.
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