OGH 13Os147/93

OGH13Os147/9324.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.November 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Markel, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Mazzolini als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian Karl N* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 22.Juli 1993, GZ 28 Vr 1496/93‑32, sowie über eine Beschwerde des Angeklagten (§ 494 a Abs. 4 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0130OS00147.9300000.1124.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und es werden

1. das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch laut Punkt 1/c des Urteilssatzes und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung) sowie

2. der Beschluß auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit

aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren verbleibenden Rechtsmitteln werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

 

 

Gründe:

 

Christian Karl N* wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 StGB sowie der Vergehen der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB, der gefährlichen Drohung nach dem § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB und nach dem § 16 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 SGG schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last in Innsbruck

(lt. Punkt 1 des Urteilsspruches) die Karoline V* außer dem Fall des § 201 Abs. 1 StGB mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben wiederholt zur Duldung des Beischlafes und der Vornahme eines Oralverkehrs genötigt zu haben, indem er sie (a) im Dezember 1992 in ein Zimmer einsperrte, gewaltsam auszog, an den Haaren riß und ihr einen Analverkehr sowie das Einschlagen der Zähne androhte, wenn sie schreie; (b) am 10. oder 11.März 1993 in ein Zimmer einsperrte, wiederholt drohte, ihr eine mitgeführte Spritze "hineinzurennen", einen Analverkehr vorzunehmen und ‑ nachdem sie Stefan J* um Hilfe ersucht hatte ‑ äußerte, sie solle aufpassen, was sie tue und es nicht noch einmal versuchen, wobei er ihr mit der Faust drohte; (c) Anfang April 1993 durch die Drohung, ihr die Haare abzuschneiden; (d) am 19.April 1993 durch Herunterreißen der Unterwäsche, Würgen am Hals und die Drohung, ihr eine mitgeführte, mit einer Flüssigkeit gefüllte Spritze "hineinzurennen" sowie einen Analverkehr durchzuführen und (e) am 28.Mai 1993 durch Einsperren in ein Zimmer und Bedrohen mit einer Spritze.

Weiters wird ihm angelastet, die Karoline V* (2.) im Dezember 1992 durch die Drohung, er werde sie fertigmachen, wenn sie ihn anzeige, zur Abstandnahme von einer Anzeigenerstattung genötigt und (3) am 28.Mai 1993 durch die Äußerung, er werde sie umbringen, wenn er aus dem "Häfen" komme, gefährlich mit dem Tode bedroht zu haben, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen sowie (4) ihr zwischen Februar und Dezember 1992 außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG den bestehenden Vorschriften zuwider wiederholt Haschisch überlassen zu haben, wobei er als Volljähriger der damals Minderjährigen den Gebrauch des Suchtgiftes (durch Mitrauchenlassen) ermöglichte.

 

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5 a und 9 lit a des § 281 Abs. 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft lediglich die Punkte 1/b und c sowie 2 des Schuldspruches; sie ist nur teilweise im Recht.

Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die der Sache nach mit Verschleppungsabsicht (S 216) begründete Abweisung des Antrages auf Vernehmung der Zeugen Johann M* und Markus S* (S 215). Nach dem Antragsvorbringen hätten diese Zeugen am 11., 12. und 13.März 1993 dem Angeklagten beim Übersiedeln geholfen und insbesondere den gesamten 11.März 1993 mit ihm verbracht, sodaß er Karoline V* an diesem Tag nicht vor dem Stiftskeller (ihrem Arbeitsplatz) habe aufsuchen können, um sie sodann in die Wohnung zu locken und dort zu vergewaltigen (1/b).

Dieser Antrag wurde erst in der am 22.Juli 1993 fortgesetzten Hauptverhandlung gestellt, nachdem auf Grund der Aussage der Zeugin Sieglinde M* der vom Angeklagten zunächst (S 209, 210) angestrebte Nachweis, sowohl am 10. als auch am 11.März 1993 ganztägig (nur mit einstündiger Mittagspause) auf einer Baustelle der Firma R* tätig gewesen zu sein, bezüglich des 11.März (an welchem der Angeklagte für Arbeitssuche und Übersiedlung freigestellt war) mißlungen war. Die wechselnden Alibiangaben und die mangelnde Übereinstimmung der dem letzten Beweisantrag zugrunde liegenden Behauptung, an drei aufeinanderfolgenden Tagen mit zwei Helfern die Übersiedlung durchgeführt zu haben, mit den früheren Angaben des Angeklagten über den Übersiedlungstermin (S 196), sind hinreichende Indizien für eine der Antragstellung zugrunde liegende Verschleppungsabsicht im Sinne des in der Hauptverhandlung analog anzuwendenden letzten Satzes des § 199 Abs. 2 StPO (Mayerhofer‑Rieder StPO3 ENr 55 bis 59 zu § 199; Bertel, Strafprozeßrecht3 Rz 529).

Die Mängelrüge (Z 5), das Erstgericht sei beim Faktum 1/b von einer Tatbegehung am 10. oder 11.März 1993 ausgegangen, ohne den Umstand zu erörtern, daß die urteilsmäßig festgestellte Beschäftigung des Angeklagten am 10.März 1993 in Völs (US 9) mit der Tatverübung an diesem Tag nicht vereinbar gewesen wäre, betrifft keine entscheidende (also für die rechtliche Beurteilung oder die Anwendung eines bestimmten Strafsatzes maßgebliche) Tatsache, weil ein insoweit allenfalls erbrachter Alibinachweis den Angeklagten nicht für den gesamten vom Erstgericht als möglich bezeichneten Tatzeitraum zu entlasten vermöchte.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) gegen den Schuldspruch wegen Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 (2) verfehlt ihre prozeßordnungsgemäße Darstellung. Die Beschwerdeausführungen, es fehlten Feststellungen zu dieser Tat, übergehen jenen Teil des Urteilssachverhaltes, demzufolge es Karoline V* unterließ, wegen des Faktums 1/a Anzeige bei der Polizei zu erstatten, weil der Angeklagte sie für diesen Fall "fertig zu machen" drohte, wobei ihm die Eignung dieser Drohung, der Karoline V* begründete Besorgnis einzuflößen, um sie von einer Anzeige abzuhalten, bewußt war (US 8).

Der weiteren Rechtsrüge (Z 9 lit a), die sich ‑ ebenso wie die inhaltlich als solche ausgeführte Tatsachenrüge (Z 5 a) - gegen den Schuldspruch zu 1/c des Urteils mit dem Argument wendet, die Drohung mit dem Abschneiden der Haare stelle keine vom Tatbestand des § 201 Abs. 2 StGB geforderte Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben dar, kommt jedoch Berechtigung zu.

Eine als Nötigungsmittel iS des § 201 Abs. 2 StGB geeignete Drohung ist nur eine solche mit einer (unmittelbar bevorstehenden) Verletzung am Körper oder einer Schädigung der Gesundheit nach den §§ 83 ff StGB. Drohung mit Mißhandlungen, soweit diese nicht nach ihrer Art zwangsläufig oder typischerweise mit einer Körperverletzung verbunden sind oder die Herbeiführung eines pathologischen Zustandes befürchten lassen, sind daher nicht tatbestandsmäßig (Pallin in WK ErgH zu § 201 StGB, Rz 13 b). Dieses Tatbildmerkmal der Drohung ist mit jenem des § 142 Abs. 1 StGB deckungsgleich. Es erfordert eine qualifizierte Drohung mit einer Verletzung am Körper, das Androhen lediglich einer Mißhandlung genügt nicht (Leukauf‑Steininger Komm3 § 142 RN 8). Bloße Beeinträchtigungen des Aussehens, wie etwa das Abschneiden des Haupthaares, stellen jedoch keine Körperverletzung dar (Leukauf‑Steininger, aaO, § 83 RN 8).

Nur dann, wenn die vom Erstgericht festgestellte Drohung nicht bloß eine solche mit einer Beeinträchtigung der angeführten Art ist, sondern sich diese angesichts einer besonderen Situation, in der etwa eine mehr oder weniger schutzlose Frau einem aufbrausenden, gewalttätigen Mann gegenübersteht, als eine solche mit einer unmittelbar bevorstehenden Verletzung am Körper darstellt (vgl SSt 53/44 aE), und alldies auch vom Täter in seinen Vorsatz aufgenommen wurde, könnte von einer tatbestandsmäßigen Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 201 Abs. 2 StGB ausgegangen werden. Dazu wären jedoch entsprechende Feststellungen erforderlich, die hier abgehen. Die spruchmäßige Zitierung der abstrakten Tatbestandserfordernisse allein, wenngleich verbunden mit der Feststellung, daß der Angeklagte unter dem Vorwand mit seinem Opfer etwas besprechen zu wollen, Zugang zu dessen Wohnung gefunden hatte, ihm dann Vorwürfe machte, es als Hure bezeichnete und durch die Drohung mit dem Abschneiden der Haare, zur Vornahme des Oralverkehrs und der zwei oder dreimaligen Duldung des Geschlechtsverkehrs zwang, es dabei auch aufforderte, sich selbst zu befriedigen, wobei er sich dessen bewußt war, daß sein Opfer dies nur aus Angst vor ihm duldete,was er in Kauf nahm (US 11), kann die zur Erfüllung des Tatbestandes der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 2 StGB notwendigen Konstatierungen nicht ersetzen.

Das Erstgericht unterließ somit konkrete Feststellungen, weswegen sich in der vorliegenden Situation trotz des Umstandes, daß der Angeklagte der Frau verbal keine Körperverletzung sondern lediglich die (vorübergehende) Beeinträchtigung ihres Aussehens androhte, sein Verhalten insgesamt ihr gegenüber objektiv als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben darstellte und dies auch vom Vorsatz des Angeklagten umfaßt war. Da nach der gegebenen Beweislage aber nicht ausgeschlossen werden kann, daß im fortgesetzten Verfahren solche Feststellungen getroffen werden können, hatte eine eine Sachentscheidung des Obersten Gerichtshofes noch nicht einzutreten, weshalb im Umfang der aufgezeigten Nichtigkeit mit einer Teilaufhebung des Schuldspruchs und demzufolge auch des Strafausspruchs vorzugehen war (§ 285 e StPO).

Im übrigen erwies sich die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO), teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§ 285 d Abs. 1 Z 1 iVm § 285 a Z 2 StPO), und war daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Da die Entscheidung über den Antrag auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht (S 155) das rechtliche Schicksal des Urteils teilt (vgl Mayerhofer‑Rieder StPO3 ENr 30 bis 32 zu § 494 a), war sie unter einem aufzuheben. Insoweit wird das Gericht im zweiten Rechtsgang allerdings das Verschlimmerungsverbot zu beachten haben.

Durch die getroffenen Entscheidungen sind die beiderseitigen Berufungen und die Beschwerde des Angeklagten gegenstandslos geworden.

 

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