Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird Folge gegeben und die über die Angeklagte verhängte Freiheitsstrafe unter Anwendung des § 41 StGB auf 5 Monate herabgesetzt.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ingrid Edith P***** des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Inhaltlich des Schuldspruches liegt ihr zur Last, in Wien als Leiterin des Paßamtes des Bezirkspolizeikommissariates Wien Innere Stadt mit dem Vorsatz, den Staat an seinen Rechten zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht zu haben, und zwar dadurch, daß sie (insgesamt elf im Urteilstenor näher bezeichnete) Paßanträge nicht an das zentrale Paßamt der Bundespolizeidirektion weiterleitete und sich die von den Parteien übergebenen (im Urteilstenor bezifferten) Geldbeträge für die dazu erforderlichen Stempelmarken zueignete.
Die Angeklagte bekämpft dieses Urteil im Schuldspruch mit einer auf die Z 5, 5 a und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und im Strafausspruch mit Berufung.
Das Erstgericht gründete den Schuldspruch auf das von der Angeklagten am 19.Mai 1989 vor dem Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion Wien abgelegte (im gerichtlichen Verfahren widerrufene) Geständnis und auf eine Reihe von Indizien; so darauf, daß das Verschwinden von Paßanträgen allein auf den Wirkungsbereich der Angeklagten beschränkt war und von ihr bei einer anderen Gelegenheit im nachhinein mit Stempelmarken versehene und abgestempelte Anträge erst Monate oder Jahre nach den Erledigungen mit einer unrichtigen Erklärung über den Grund der Verzögerung übermittelt wurden, daß sich aus mehreren Vorkommnissen ein habituell nachlässiger Umgang der Angeklagten mit ihr in dienstlicher Eigenschaft anvertrauten Vermögenswerten ergab und daß die Angeklagte wegen hoher Schulden auch bei der Aufbringung geringer Beträge im täglichen Leben Geldprobleme hatte, die sie zeitweise zwangen, bei einem Trafikanten gegen Scheckvorlage niedrige Darlehen zu nehmen. Bei Prüfung des Beweiswertes des Geständnisses der Angeklagten vor der Polizei berücksichtigte das Gericht durchaus auch den Widerruf dieser Angaben im gerichtlichen Verfahren und die hiezu abgegebenen Erklärungen, gelangte aber auch unter Einbeziehung dieser Verfahrensumstände zur Überzeugung von der Richtigkeit des damaligen Schuldbekenntnisses der Angeklagten.
Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) sind diese maßgeblichen Überlegungen weder denkgesetzwidrig, noch lebensfremd, sodaß von einer fehlenden oder unzureichenden Urteilsbegründung nicht gesprochen werden kann. Gewiß bietet die Annahme einer nachlässigen dienstlichen Gebarung der Angeklagten mit anvertrauten Vermögenswerten bei isolierter Betrachtung keine allein tragfähige Grundlage für einen Schluß auf tätergewollte Malversationen, jedoch ist es keineswegs unlogisch, eine mangelhafte Pflichtauffassung als Indiz für bewußte Dienstpflichtverletzungen zu werten. Da ferner das Schöffengericht den genannten Umstand nur als unterstützenden Hinweis innerhalb einer ganzen Reihe anderer Faktoren gewürdigt hat, wird mit der Behauptung einer Unzulänglichkeit dieses Begründungselements kein Fehler in den Entscheidungsgründen aufgezeigt.
Zu Unrecht bestreitet die Beschwerdeführerin schließlich auch einen denkbaren Konnex zwischen ihren Schulden und ihrem Geldbedarf einerseits sowie den festgestellten Tathandlungen andererseits, weil nach Lage des Falles als naheliegendes Handlungsmotiv ein Streben nach dem für die Gebührenentrichtung bestimmten Geld in Betracht kommt. Dazu ergibt sich - dem Beschwerdevorbringen zuwider - aus der Verantwortung der Angeklagten sehr wohl, daß sie im Jahre 1984 Schulden zwischen 450.000 S und 500.000 S hatte (S 363), daß sie dann, wenn sie kein Geld bei sich hatte, Darlehen aufnahm und daß sie sich bei einer aktenkundigen Begebenheit von einem Trafikanten 2.500 S ausborgte (S 208 und 368). Die in der Beschwerde hervorgehobenen weiteren Angaben, die Angeklagte habe "derzeit" ihre Finanzen "im Griff" und die Schulden seien noch nicht zur Gänze zurückgezahlt (S 369), stehen in keinem erkennbaren Gegensatz zur gerügten Urteilsannahme, weshalb auch insoweit ein Begründungsmangel nicht vorliegt.
Nach eingehender Prüfung der zur Tatsachenrüge (Z 5 a) vorgebrachten Einwände und des sonstigen Akteninhalts ergeben sich keine erheblichen Bedenken dagegen, daß das Erstgericht dem Geständnis der Angeklagten vor der Polizei vollen Beweiswert zugebilligt und (auch) darauf die bekämpften Feststellungen gegründet hat, zumal dieses Geständnis durch eine Reihe von Indizien bestätigt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Die als Nichtigkeit nach der Z 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO ins Treffen geführten Rechtsrügen machen Feststellungsmängel geltend, ohne jedoch eine fehlerhafte Rechtsanwendung aufzeigen zu können.
Wie die Generalprokuratur zutreffend darlegte, muß bei Ausführung materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe unter Heranziehung der tatsächlich getroffenen Urteilsfeststellung ein Vergleich mit dem darauf angewendeten Gesetz vorgenommen und auf dieser Grundlage der Einwand entwickelt werden, daß dem Erstgericht bei Beurteilung dieses Urteilssachverhaltes ein Rechtsirrtum unterlaufen sei. Auch die Behauptung von Feststellungsmängeln kann prozeßordnungsmäßig nur unter Zugrundelegung aller tatsächlichen Urteilsannahmen erfolgen und erfordert die Darlegung, daß eben diese Urteilsannahmen nicht ausreichen, um eine umfassende und verläßliche rechtliche Beurteilung vornehmen zu können, oder daß Verfahrensergebnisse auf bestimmte für diese Subsumtion rechtlich erheblicher Umstände hingewiesen haben und dessen ungeachtet eine entsprechende klärende Feststellung unterlassen wurde. Demgemäß ist eine Rechtsrüge, die einen Feststellungsmangel behauptet, aber dabei eine im Urteil festgestellte Tatsache verschweigt oder bestreitet, nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt.
Der Beschwerdeeinwand, daß eine Verknüpfung zwischen dem Fehlen der elf im Urteilstenor bezeichneten Paßanträge und einem Verhalten der Angeklagten in den Entscheidungsgründen nicht gesondert festgestellt sei, übergeht die (in der Mängelrüge bekämpfte) Urteilsfeststellung über das Vernichten der Anträge, weshalb keine prozeßordnungsmäßige Geltendmachung des angerufenen Nichtigkeitsgrundes vorliegt. Gleiches gilt für das Beschwerdeverlangen nach Feststellungen über zeitliche und organisatorische Modalitäten der Bearbeitung und des Verschwindens der Paßanträge, weil damit kein rechtlich erheblicher Gesichtspunkt aufgezeigt, sondern das erklärte Ziel verfolgt wird, zu anderen Feststellungen über den Anklagevorwurf zu gelangen als im Ersturteil enthalten sind.
Letztlich versagt auch die Behauptung, daß das Ersturteil "die Voraussetzungen eines vorsätzlichen Handelns" überhaupt nicht und die Wissenskomponente sowie die Willenskomponente des Schädigungsvorsatzes der Angeklagten nur unzureichend festgestellt habe.
In den Urteilsaussprüchen, daß die Angeklagte entgegen den ihr bekannten Vorschriften die Paßanträge zurückhielt und vernichtete sowie Stempelmarken oder Geld für private Zwecke verwendete, kommt mit hinreichender Deutlichkeit ein willensgesteuertes Verhalten zum Ausdruck, welches rechtlich einem vorsätzlichen (§ 5 Abs. 1 StGB) und in bezug auf den Befugnismißbrauch auch einem wissentlichen (§ 5 Abs. 3 StGB) Handeln entspricht.
Ferner enthält die erstgerichtliche Annahme über die gegebene Einsicht der Angeklagten, daß durch ihr Verhalten staatliche Einnahmen verkürzt werden, eine unmißverständliche Feststellung des Bewußtseins der Schadenszufügung und damit eine klare Darstellung der tatsachenmäßigen Grundlagen eines Schädigungsvorsatzes. Durch diesen Ausspruch sind die Voraussetzungen eines unbedingten (und nicht eines bedingten) Schädigungsvorsatzes festgestellt, woran die in der erstgerichtlichen rechtlichen Beurteilung enthaltenen Wendungen über einen "zumindest bedingten" Vorsatz nichts zu ändern vermögen. Das Vorliegen eines unbedingten Schädigungsvorsatzes schließt jedoch die (diesbezüglich) eingewendete Notwendigkeit gesonderter Urteilsannahmen über die Willenskomponente und die Wissenskomponente der inneren Tatseite aus. Eine spezielle gesetzliche Determinierung des intellektuellen Vorsatzelements ist nämlich nur für den dolus eventualis (durch das Erfordernis, daß der Täter die Verwirklichung eines Sachverhalts, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht, ernstlich für möglich hält: § 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB) und die Vorsatzform der Wissentlichkeit (durch die Prämisse, daß der Täter den jeweils maßgebenden Umstand oder Erfolg nicht bloß für möglich, sondern dessen Vorliegen oder Eintreten für gewiß hält: § 5 Abs. 3 StGB) erfolgt. Demgegenüber bildet bei dem hier aktuellen unbedingten (Schädigungs-) Vorsatz (§ 5 Abs. 1, erster Halbsatz, StGB) die in der Legaldefinition nicht erwähnte Wissenskomponente einen denknotwendigen Inhalt des Verwirklichenwollens des Sachverhalts (RV 65; Nowakowski im WK, Rz 2 zu § 5; Kienapfel AT, S 58; Leukauf-Steininger StGB2 RN 1 zu § 5) und wird durch die entsprechende Feststellung des Täterwillens umfaßt. Über die vorliegende Annahme eines erfolgsbezogenen Bewußtseinsinhaltes der Täterin hinaus bedurfte es daher keiner weiteren Sachverhaltsklärung zur inneren Tatseite, um den Schädigungsvorsatz annehmen zu können.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Erstgericht verurteilte Ingrid Edith P***** nach dem § 302 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollzug es gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Bei der Strafbemessung waren erschwerend die Tatwiederholung und der längere Deliktszeitraum, mildernd hingegen der ordentliche Lebenswandel.
Der Berufung, mit welcher die Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebt, kommt Berechtigung zu.
Die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe sind insoweit zu ergänzen, als die geständige Verantwortung der Berufungswerberin vor der Polizei als wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung zu beurteilen ist, hat das Schöffengericht den Schuldspruch doch zum Teil darauf gegründet.
Als weiterer Milderungsumstand kommt der Angeklagten zugute, daß sie sich seit der letzten Delinquenz im April 1985, sonach längere Zeit, wohlverhielt.
Dem Erschwerungsgrund des längeren Deliktszeitraumes hinwieder kommt geringes Gewicht zu, weil zwischen der ersten Tathandlung der Berufungswerberin im Februar 1981 und der nächsten im März 1984 ein Zeitraum von mehr als drei Jahren liegt, in dem sie keine Malversationen beging.
Eine Abwägung der solcherart zum Vorteil der Angeklagten korrigierten Strafbemessungsgründe ergibt, daß die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen. Da auf Grund des nunmehr beinahe sechs Jahre währenden Wohlverhaltens der Berufungswerberin anzunehmen ist, daß sie keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, konnte unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach dem § 41 StGB das gesetzliche Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe unterschritten werden.
Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes entspricht eine Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten dem Verschulden der Angeklagten und dem Unrechtsgehalt der von ihr begangenen Straftaten.
Es war daher insgesamt wie im Urteilsspruch ersichtlich zu entscheiden.
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