Spruch:
In dem zum AZ 6 Hv 82/05s des Landesgerichtes für Strafsachen Graz geführten Verfahren verletzen das Gesetz:
1. der Vorgang, dass die mit Beschluss vom 21. März 2006 beschlossene Angleichung der schriftlichen Urteilsausfertigung an das am 13. Oktober 2005 mündlich verkündete Urteil nicht am Rande des Urteils beigesetzt und allen Ausfertigungen beigefügt wurde, in der Bestimmung des § 270 Abs 3 vierter Satz StPO;
2. der Vorgang, dass dem Angeklagten Mokhtar L***** nach erfolgter Angleichung nicht erneut eine Urteilsabschrift zugestellt wurde, in der Bestimmung des § 284 Abs 4 StPO;
3. der Beschluss vom 12. Mai 2006, ON 104, auf Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Mokhtar L***** in der Bestimmung des § 285 Abs 1 erster Satz StPO.
Der zu 3. genannte Beschluss sowie das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 13. September 2006, AZ 9 Bs 247/06a, soweit damit der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen die über Mokhtar L***** verhängte Strafe Folge gegeben, der Angeklagte Mokhtar L***** mit seiner Berufung darauf verwiesen und in der Entscheidung ausgedrückt wurde, dass diesem auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last fallen, werden aufgehoben, und es wird dem Vorsitzenden des Schöffengerichtes aufgetragen, dem Verteidiger des Angeklagten Mokhtar L***** sowie der Staatsanwaltschaft je eine Urteilsabschrift, welche die am 21. März 2006 beschlossene Angleichung enthält, zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel zuzustellen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 13. Oktober 2005, GZ 6 Hv 82/05s-84, wurde unter anderem Mokhtar L***** des Verbrechens nach §§ 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall und Abs 4 Z 3 SMG sowie 15 StGB (A), des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 zweiter Fall StGB (B) und mehrerer Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (C) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Innerhalb der dafür vorgesehenen dreitägigen Frist wurden von der Staatsanwaltschaft Berufung, seitens des Angeklagten aber (unmittelbar nach Urteilsverkündung vorerst bloß) Berufung und (einen Tag später schriftlich) Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet. Erst nachdem dem Verteidiger des Angeklagten am 23. Februar 2006 eine Urteilsabschrift zugestellt worden war, fasste der Vorsitzende am 21. März 2006 auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Beschluss, die Urteilsausfertigung in Betreff des Erkenntnisses (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zu A durch Einfügung eines Tatortes, einer Tatzeit und einzelner Handlungen an das mündlich verkündete Urteil anzugleichen. Der Beschluss wurde Staatsanwaltschaft und Verteidiger zugestellt und erwuchs in Rechtskraft, ohne dass die erfolgte Angleichung am Rande des Urteils beigesetzt und Staatsanwaltschaft und Verteidiger eine Abschrift des solcherart angeglichenen Urteils zugestellt worden wäre.
Am 23. März 2006 führte der Verteidiger des Angeklagten die angemeldete Berufung aus.
Das Oberlandesgericht Graz erhöhte am 13. September 2006 in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf fünf Jahre, verwies den Angeklagten mit seiner Berufung auf diese Entscheidung und drückte zugleich aus, dass diesem der Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens zur Last falle (§ 390a Abs 1 StPO; zur Rechtsnatur einer solchen Kostenentscheidung als Ausspruch sui generis vgl Lendl, WK-StPO § 389 Rz 1, 4).
Am 28. April 2006 hatte der Angeklagte auch die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde ausgeführt, welche indes mit Beschluss des Vorsitzenden vom 12. Mai 2006, GZ 6 Hv 82/05s-104, nach § 285a Z 2 StPO zurückgewiesen worden war. Die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde sei bereits am 25. April 2006, mithin vier Wochen nach der am 28. März 2006 erfolgten Zustellung des Angleichungsbeschlusses an den Verteidiger, abgelaufen.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzen die unterlassene Beisetzung der beschlossenen Angleichung am Rande des Urteils, die nicht erfolgte Zustellung einer Abschrift des an die mündliche Verkündung angeglichenen Urteils an Staatsanwaltschaft und Angeklagten sowie die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten als verspätet ausgeführt das Gesetz.
Nicht anders als im Fall einer Urteilsberichtigung ist eine in Rechtskraft erwachsene Angleichung der Urteilsausfertigung an das mündlich verkündete Urteil in analoger Anwendung des § 270 Abs 3 vierter Satz StPO „am Rande des Urteils beizusetzen und muss allen Ausfertigungen beigefügt werden."
Der Gesetzesbefehl der §§ 284 Abs 4, 294 Abs 2 erster Satz StPO hinwieder bezieht sich auf die Urteilsausfertigung in ihrer endgültigen Form. Da den Rechtsmittelwerbern keine in Analogie zu § 270 Abs 3 vierter Satz StPO ergänzte Urteilsabschrift zugestellt wurde, hat das Landesgericht für Strafsachen Graz auch gegen diese Bestimmungen verstoßen.
Die Frist von vier Wochen zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (§§ 285 Abs 1 erster Satz, 294 Abs 2 zweiter Satz StPO) läuft schließlich frühestens ab dem Zeitpunkt, ab welchem dem Beschwerdeführer eine vollständige Abschrift der Urteilsausfertigung zugestellt wurde (Ratz, WK-StPO § 285 Rz 1, § 294 Rz 4). Die Zustellung bloß eines Beschlusses auf Urteilsberichtigung oder -angleichung löst die Frist schon deshalb nicht aus, weil ein solcher Beschluss angesichts seiner Bekämpfbarkeit über den Inhalt der Urteilsausfertigung keinen endgültigen Aufschluss gibt (vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 57).
Da mangels Zustellung einer vollständigen Urteilsabschrift diese Frist noch nicht zu laufen begonnen hat, durfte der Vorsitzende die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten nicht mangels rechtzeitiger Ausführung der Beschwerdegründe zurückweisen (§ 285a Z 2 StPO). Die zutreffend aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren festzustellen und es war in Ausübung des dem Obersten Gerichtshof nach § 292 letzter Satz StPO eingeräumten Ermessens der Beschluss des Vorsitzenden vom 12. Mai 2006, GZ 6 Hv 82/05s-104, aufzuheben. Da vor Rechtskraft des die Basis für die Strafe bildenden Schuldspruchs (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) eine Entscheidung über die Berufung gegen den Strafausspruch aus rechtslogischen Gründen ausscheidet, war - zur Klarstellung - auch das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 13. September 2006, AZ 9 Bs 247/06a (ON 108 des Strafaktes), soweit damit der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen die über Mokhtar L***** verhängte Strafe Folge gegeben, der Angeklagte Mokhtar L***** mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen und darin ausgedrückt wurde, dass dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last fallen, zu beseitigen und im Übrigen darauf hinzuweisen, dass von dem kassierten Zurückweisungsbeschluss abhängige weitere Verfügungen als beseitigt gelten (hier neben dem Mokhtar L***** betreffenden Teil des Berufungsurteils die Endverfügung in ON 115; SSt 58/49; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28).
Der Vorsitzende wird nunmehr die rechtskräftig beschlossene Angleichung am Rande des Urteils beizusetzen, allen Ausfertigungen beizufügen (§ 270 Abs 3 vierter Satz StPO) und sodann beiden Beschwerdeführern eine Urteilsabschrift zuzustellen haben (§§ 284 Abs 4, 294 Abs 2 erster Satz StPO). Den Parteien eröffnet dies die Möglichkeit, erneut eine Ausführung ihrer Beschwerdegründe zu überreichen oder sich auf die bereits überreichte Ausführung zu berufen (vgl WK-StPO § 270 Rz 57, § 285 Rz 2).
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