OGH 13Os102/11s

OGH13Os102/11s8.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Linzner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz H***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 19. April 2011, GZ 37 Hv 97/08h‑301, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im Schuldspruch und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie in den Entscheidungen über die Ansprüche der Privatbeteiligten aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz H***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall und 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er gewerbsmäßig mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz

(I) vom Februar 2006 bis zum August 2006 in D*****, H*****, M***** und Wien im einverständlichen Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Stefan N***** in neun Angriffen zahlreiche Bauwerber durch die wahrheitswidrige Zusage, die zwischen diesen und dem Unternehmen R***** vereinbarten oder von ihm persönlich zugesagten baugewerblichen Werkleistungen erbringen zu werden, zur Leistung von als Kostenvorschüsse gewidmeten Zahlungen verleitet, wodurch die Bauwerber mit insgesamt rund 248.000 Euro am Vermögen geschädigt wurden,

(II) im Februar 2006 in Wien zur Ausführung der strafbaren Handlungen des Willibald B*****, der Gabriele M***** und des Peter S*****, die im einverständlichen Zusammenwirken mit Peter G***** Verfügungsberechtigte der U***** AG durch Vorspiegelung eines aufrechten Beschäftigungsverhältnisses sowie ihrer Rückzahlungsfähigkeit und Rückzahlungswilligkeit unter Verwendung falscher Gehaltsbestätigungen zur Gewährung von Krediten verleitet und dadurch das genannte Versicherungsunternehmen mit zumindest 15.000 Euro am Vermögen geschädigt haben, beigetragen, indem er die Taten gemeinsam mit Peter G***** plante, die falschen Gehaltsbestätigungen organisierte und die Kreditnehmer zur Vertragsunterfertigung begleitete, sowie

(III) vom Juni 2005 bis zum März 2006 in L***** Miodrag P***** durch Vorspiegelung der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit der von ihm vertretenen Bauunternehmen zur wiederholten Erbringung von Werkleistungen verleitet, was den Genannten mit mindestens 90.000 Euro am Vermögen schädigte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist im Recht.

Die Verfahrensrüge (Z 3) zeigt zutreffend auf, dass im Erkenntnisverfahren der Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 228 Abs 1 StPO) verletzt worden ist:

Nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung dauerte diese am 18. Jänner 2011 bis 15.42 Uhr (ON 276 S 49), am 17. März 2011 bis 17.06 Uhr (ON 291c S 7) und am 19. April 2011 zunächst bis 15.36 Uhr (ON 300 S 55). Nachdem sich der Schöffensenat an diesem Tag um 15.55 Uhr zur Beratung zurückgezogen hatte (ON 300 S 57), verkündete der Vorsitzende von 17.00 Uhr bis 17.22 Uhr das Urteil (ON 300 S 57, 67).

Nach der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Auskunft des Vorsitzenden war das Gerichtsgebäude an sämtlichen Verhandlungstagen ‑ wie stets an Werktagen ‑ bis 16.00 Uhr frei zugänglich. Am 17. März 2011 wurde auf dem äußeren Tor des Gerichtsgebäudes eine Nachricht angebracht, wonach interessierte Zuhörer unter der (angegebenen) Klappe des Verhandlungssaals anrufen und solcherart Zutritt zum Verhandlungssaal erlangen konnten (s auch ON 291c S 1). Demgegenüber wurde am 19. April 2011 eine solche Benachrichtigung nicht vorgenommen (vgl auch ON 300).

Da es zur Wahrung der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht erforderlich ist, allen potentiellen Zuhörern während der gesamten Verhandlungsdauer ein uneingeschränktes Betreten des Verhandlungssaals zu ermöglichen (15 Os 95/07w; Danek , WK‑StPO § 228 Rz 5), ist die am 17. März 2011 gewählte Vorgangsweise (außerhalb der Öffnungszeiten durch Anruf zu erwirkender Zugang zum Gerichtsgebäude) aus dem Blickwinkel des § 228 Abs 1 StPO nicht zu beanstanden.

Am 19. April 2011 hingegen traf das Erstgericht keine hinreichenden Vorkehrungen zur Wahrung der Volksöffentlichkeit. Der Umstand, dass (auch) an diesem Tag das Gerichtsgebäude während des Großteils der Dauer der Hauptverhandlung frei zugänglich gewesen ist, vermag hieran im Licht der neueren Judikatur des EGMR zum ‑ verfassungsrechtlich in Art 6 Abs 1 MRK verankerten ‑ Öffentlichkeitsgrundsatz (dazu eingehend Meyer‑Ladewig , EMRK³ Art 6 MRK Rz 184 f) nichts zu ändern.

Die Entscheidung 15 Os 95/07w steht dem nicht entgegen, weil sie ihre Argumentation (fallbezogen) darauf stützte, dass der „Verhandlungsfahrplan“ keine plausible Veranlassung bot, erst nach Versperren des Gerichtsgebäudes Zugang zum Verhandlungssaal zu suchen. Demgegenüber schien im gegenständlichen Fall bereits in der Ausschreibung der Hauptverhandlung für den 19. April 2011 „16.30 Uhr“ als voraussichtliches Verhandlungsende auf (ON 1 Teil III S 20), sodass interessierte Personen (auch im Hinblick auf den angeführten Beginn der Beratung) veranlasst waren, davon auszugehen, dass gerade die ‑ in Bezug auf den Grundsatz der Öffentlichkeit besonders geschützte (Art 6 Abs 1 zweiter Satz MRK, vgl § 229 Abs 4 StPO; vgl 14 Os 55/10k) ‑ Verkündung des Urteils zu einem Zeitpunkt stattfinden werde, zu dem sodann (gemäß den üblichen Öffnungszeiten) der freie Zugang zum Gerichtsgebäude nicht (mehr) möglich war.

Da das Schöffengericht am 19. April 2011 (anders als am 17. März 2011) keine Vorkehrungen getroffen hat, potentiellen Zuhörern nach Versperren des Gerichtsgebäudes den Zutritt zum Verhandlungssaal zu ermöglichen (vgl EGMR U 14. 11. 2000, Riepan , Nr 35115/97, ÖJZ 2001, 357), hat es somit seine Pflicht zur Beachtung des § 228 Abs 1 StPO nicht wahrgenommen und solcherart den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO hergestellt (vgl 15 Os 61/02, SSt 64/81; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 37, 252).

Die angefochtene Entscheidung war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde (mit Ausnahme des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruchs) schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese (die Kassation des Strafausspruchs und der Adhäsionserkenntnisse einschließende) Entscheidung zu verweisen.

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