OGH 13Ns17/94(13Nds119/94)

OGH13Ns17/94(13Nds119/94)14.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Dezember 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Mag.Strieder, Dr.Mayrhofer und Dr.Ebner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kahofer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr.Alfred H*****, AZ 1 (Rk) Vr 2290/94 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz über die Ablehnungs- und Delegierungsanträge des Subsidiaranklägers Erich K***** in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die (pauschale) Ablehnung aller Richter des Oberlandesgerichtes Graz einschließlich des Präsidenten dieses Gerichtshofes ist nicht gerechtfertigt.

Zur Entscheidung über die (pauschale) Ablehnung aller Richter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz (einschließlich des Präsidenten dieses Gerichtshofes) werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Die Delegierungsanträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Erich K***** stellte nach Rücklegung seiner Strafanzeige gegen den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Graz, Dr.Alfred H***** wegen des Verdachtes des Verbrechens des Amtsmißbrauches nach § 302 Abs 1 StGB durch die Staatsanwaltschaft Graz, mit Schriftsatz vom 19. August 1994 bei der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Graz gemäß § 48 Z 1 StPO den Antrag auf Einleitung der gerichtlichen Voruntersuchung.

Zugleich beantragte er - ohne weitere Begründung - die Delegierung der Strafsache an das Landesgericht für Strafsachen Wien.

Letzteren Antrag wiederholte der Subsidiarankläger in seiner Eingabe vom 17.Oktober 1994, nunmehr mit der Begründung, daß "sämtliche Richter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz und des Oberlandesgerichtes Graz für befangen anzusehen seien, da nach außen hin der Eindruck entstehen könnte, daß Dr.H***** im Falle einer Ablehnung des Subsidiarantrages durch die im gleichen Gerichtssprengel tätigen Richter begünstigt worden sei, weil diese im dienstlichen und freundschaftlichen Kontakt stünden und sie überdies konsequent dazu neigen, alle Anträge des Subsidiaranklägers abzulehnen".

Diese Befangenheitsbehauptung hatte Erich K***** schon zuvor in seiner Eingabe vom 28.September 1994 erhoben, ohne sie indes mit einem Delegierungsantrag zu verknüpfen.

Darüber hinaus richtete der Subsidiarankläger am 26.September 1994 ein Schreiben an das Bundesministerium für Justiz, das er in seinem Schriftsatz vom 17.Oktober 1994 als Aufsichtsbeschwerde nach § 15 StPO - worüber demnach das Oberlandesgericht zu entscheiden hätte - verstanden wissen will, und womit er einen - ebenfalls vom Oberlandesgericht zu prüfenden - Fristsetzungsantrag nach § 91 Abs 1 GOG verband.

Die Delegierungsanträge waren sogleich zurückzuweisen: Während der Antrag vom 19.August 1994 unbegründet blieb und schon deshalb einer sachlichen Prüfung nicht zugänglich ist, stützt sich der Antrag vom 17. Oktober 1994 allein auf die behauptete Befangenheit, die aber kraft der Spezialbestimmungen der §§ 72 bis 74 a StPO als Grund für eine Delegierung nach §§ 62, 63 StPO ausscheidet (SSt 46/57).

Nach § 72 Abs 1 StPO kann der - insoweit dem Privatankläger gleichgestellte (§ 49 Abs 2 StPO) - Subsidiarankläger Mitglieder des Gerichtes ablehnen, wenn er (außer den in den §§ 67 bis 69 StPO bezeichneten Fällen der Ausschließung andere) Gründe anzugeben und darzutun vermag, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit des Abzulehnenden in Zweifel zu setzen.

Über die Zulässigkeit der Ablehnung entscheidet, wenn ein ganzes Gericht erster Instanz abgelehnt wird, der Gerichtshof zweiter Instanz, wenn aber ein Gerichtshof zweiter Instanz oder dessen Präsident abgelehnt wird, der Oberste Gerichtshof (§ 74 Abs 2 StPO).

Vorliegendenfalls steht einerseits die Entscheidung der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Graz über den Antrag des Subsidiaranklägers auf Einleitung der Voruntersuchung, andererseits die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz über die Aufsichtsbeschwerde nach § 15 StPO bzw über den Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG heran. Demgemäß hat über die Ablehnung der Richter des Oberlandesgerichtes der Oberste Gerichtshof, über die Ablehnung der Richter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz aber primär das Oberlandesgericht, für den Fall der erfolgreichen Ablehnung jedoch auch dieses Gerichtshofes ebenfalls der Oberste Gerichtshof zu erkennen.

Das Gesetz geht in § 72 Abs 1 StPO von dem Grundsatz aus, daß bei keinem Richter Unbefangenheit und Unparteilichkeit mit Grund angezweifelt werden sollen, gleichgültig, ob eine solche Befangenheit tatsächlich vorliegt. Ist kein Grund vorhanden, der die Eignung besitzt, bei einem Außenstehenden Zweifel an der vollen Unvoreingenommenheit und Vorurteilsfreiheit zu erwecken, dann kann Befangenheit nicht angenommen werden. Eine bloß subjektive Besorgnis der Befangenheit (EvBl 1956/255) vermag eine Änderung in der Person des verfassungsmäßig garantierten (Art 83 Abs 2 B-VG) gesetzlichen Richters nicht zu begründen. Dies auch deswegen, weil die unbegründete Annahme der Befangenheit von Richtern nicht nur stets - unter Umständen erheblich - verfahrensverzögern wirkt, sondern auch dem Ansehen der Rechtsprechung abträglich ist (vgl OGH vom 9. November 1989, 13 Ns 23/89).

Beim Oberlandesgericht Graz sind derzeit einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten 34 Richter ernannt, wovon nach der Geschäftsverteilung 9 Richter, darunter Senatspräsident Dr.H*****, in Strafsenaten tätig sind. Nach den Zuständigkeitsregelungen für die Gerichte zweiter Instanz ist bei Gerichten solcher Größe keinesfalls zwischen allen Richtern ein gleich starker kollegialer und persönlicher Kontakt zu erwarten, der schon von vornherein die Annahme der Befangenheit begründet erscheinen ließe. Der sich auf Grund durchaus unterschiedlichen Tätigkeiten bei einem Gerichtshof zweiter Instanz nicht unter allen Richtern gleichermaßen zwingend ergebende dienstliche schafft ebensowenig wie der kollegial persönliche Kontakt im Rahmen des dienstlichen Begegnungsverhältnisses für sich allein einen Grund, der objektiv die Eignung besitzt, Zweifel an der Unbefangenheit sämtlicher Richter zu wecken. Um die relevante Eignung zu erhalten, müssen noch andere Umstände hinzutreten, die eine tatsächliche oder auch nur scheinbar Befangenheit herstellen könnten.

Solche Gründe können etwa in einer Feindschaft, in einem speziellen Rivalitätsverhältnis in irgendeinem Lebensbereich, in der Motivationslage der Dankbarkeit, aber auch in rein persönlich freundschaftlichen Beziehungen bestehen. Die Befangenheit des gesamten Gerichtshofes zweiter Instanz kann aber nur vorliegen, wenn bei so vielen der dort ernannten Richtern jene besonderen Umstände vorhanden sind, die geeignete Gründe für Zweifel an ihrer vollen Unparteilichkeit und Unbefangenheit darzustellen vermögen, daß ein zur individuellen Entscheidung berufener Spruchkörper nicht gebildet werden kann.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß die bloß pauschalierte Behauptung eines - nicht einmal als eng bezeichneten - "dienstlichen und freundschaftlichen Kontaktes" aller Richter des Oberlandesgerichtes zu Senatspräsident Dr.H***** zur Begründung ihrer Befangenheit im Sinne des § 72 Abs 1 StPO nicht ausreicht. Die Anführung zusätzlicher, konkreter Nahebeziehungen aber und deren Dartuung hat der Subsidiarankläger unterlassen, sodaß seine Befangenheitsanzeige nicht gerechtfertigt ist.

Über die Befangenheitsanzeige hinsichtlich der Richter des Landesgerichtes für Strafsachen Graz wird demzufolge das Oberlandesgericht zu entscheiden haben.

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