European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00098.18F.0823.000
Spruch:
Boban J***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.
Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Gründe:
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Juni 2018 (ON 119) wurde über Boban J***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht‑, der Verdunkelungs‑ und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1, Z 2 und Z 3 lit a und lit b StPO verhängt und mit Beschluss dieses Gerichts vom 20. Juni 2018 (ON 224) aus den selben Haftgründen fortgesetzt. Der dagegen gerichteten Haftbeschwerde des Genannten gab das Oberlandesgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 16. Juli 2018, AZ 21 Bs 202/18m (ON 324), nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO fort.
Rechtliche Beurteilung
In der Sache erachtete das Beschwerdegericht– soweit für die Behandlung der Grundrechtsbeschwerde von Bedeutung – Boban J***** dringend verdächtig, er habe in W***** und an anderen Orten
I./ sich im Zeitraum vom 1. März 2016 „bis dato“ gemeinsam mit Milorad J*****, Sasa Ja*****, Darko T*****, Christian und Dragoslav M*****, Zeljko Je*****, Nenad P*****, Milan S*****, Dragan Mr*****, Sladjana Ja*****, Deni Mr*****, Dalibor Z*****, Luka K*****, Milorad S***** und Nebojsa M***** an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs 3 StPO), die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen „im Bereich der Suchtmittelkriminalität“ ausgerichtet sei, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebe und sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen suche;
II./ gemeinsam mit Sasa Ja*****, Darko T***** und Nachgenannten im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung von Straftaten gemäß § 28a Abs 1 erster Fall SMG vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Cannabiskraut (Wirkstoff THCA und Delta‑9‑THC) in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, erzeugt, nämlich durch den Betrieb von Cannabisplantagen im Zeitraum
1./ vom 1. März 2016 bis zum 10. Jänner 2018 mit dem hierfür bereits durch das Landesgericht Eisenstadt verurteilten Nenad P***** sowie Christian und Dragoslav M***** und Zeljko Je***** in O***** rund 484 kg Cannabiskraut;
2./ vom 6. September 2017 bis zum 19. Jänner 2018 mit dem hierfür bereits durch das Landesgericht Eisenstadt verurteilten Milan S***** in M***** ca 227,8 kg Cannabiskraut;
3./ vom 16. September 2016 „bis dato“ mit Dragan Mr*****, Sladjana Ja*****, Deni Mr***** und Dalibor Z***** in S***** ca 192 kg Cannabiskraut;
4./ von einem noch festzustellenden Zeitpunkt bis zum 12. Juni 2018 mit Milorad Su***** und Nebojsa M***** an der Adresse *****, eine noch festzustellende Menge Cannabiskraut durch das Betreiben einer Cannabis‑Plantage mit 910 Cannabis‑Pflanzen;
5./ von einem noch festzustellenden Zeitpunkt bis zum 12. Juni 2018 an der Adresse *****, eine noch festzustellende Menge Cannabiskraut durch das Betreiben einer Cannabisplantage mit 266 Cannabis‑Pflanzen.
In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Beschwerdegericht das dargestellte Verhalten als Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (I./) und als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 2 und Z 3 SMG (II./).
Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Boban J***** zeigt zutreffend eine Grundrechtsverletzung auf.
Setzt das Oberlandesgericht im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung (§ 87 Abs 1 StPO) die Untersuchungshaft fort, muss es selbst Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht treffen, welche die rechtliche Beurteilung ermöglichen, ob durch diese solcherart als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen – objektiv wie subjektiv – eine hafttragende strafbare Handlung begründet wird (RIS‑Justiz RS0120817). Diesem Erfordernis wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.
Zu I./ bleibt die Annahme der Beteiligung an einer unternehmensähnlichen Verbindung (vgl dazu Plöchl in WK² StGB § 278a Rz 6) einer größeren Zahl von Personen ebenso ohne Sachverhaltsbezug (vgl RIS‑Justiz RS0119090) wie jene, wonach sich diese Verbindung auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht.
Zu II./ enthält der Beschluss des Oberlandesgerichts keine Annahmen dazu, welcher konkreten Tathandlung der Beschwerdeführer dringend verdächtig sei. Weiters lassen sich der Entscheidung keine Feststellungen zum Reinheitsgehalt der gegenständlichen Menge an Suchtgift entnehmen, sodass dieser Beschluss keine Beurteilung zulässt, ob sich die dringende Verdachtslage auf eine die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigende Menge von mehr als 20 Gramm Delta‑9‑THC oder 40 Gramm THCA (vgl RIS‑Justiz RS0111350), oder auf eine das Fünfundzwanzigfache davon übersteigende Menge bezog.
Die Wiedergabe von Angaben eines verdeckten Ermittlers, eines bislang nicht aktenkundigen Informanten sowie von Zeugen und Mitbeschuldigten (vgl insbesondere BS 4 f, BS 8 f) und die Darstellung der Erhebungsergebnisse der Kriminalpolizei vermögen die erforderlichen Verdachtsannahmen nicht zu ersetzen.
Zudem finden sich in der Entscheidung keinerlei Feststellungen zur subjektiven Tatseite, weder zu jener des § 278a StGB noch zu jener des § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 2 und Z 3 SMG.
Schon diese von der Beschwerde zutreffend aufgezeigten Defizite der angefochtenen Entscheidung erfordern die unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen, nicht jedoch die Aufhebung des Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; RIS‑Justiz RS0119858).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.
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