European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00097.20M.1015.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde sowie aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem Christine S***** betreffenden Teil (zur Gänze) sowie in dem Alexander G***** betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung sowie im Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Entlassung unter Verlängerung der Probezeit) aufgehoben und im Umfang der Aufhebung
1./ in der Sache selbst erkannt:
Christine S***** wird von der Anklage, sie habe am 11. März 2020 in S***** Alexander G*****, der im Ersturteil näher beschriebene, mit Strafe bedrohte Handlungen begangen hat, der Verfolgung absichtlich ganz zu entziehen versucht, indem sie bei ihrer Vernehmung vor der Kriminalpolizei wahrheitswidrig angab, sie habe am 23. Februar 2020 bei ihrer vorangegangenen polizeilichen Vernehmung als Zeugin in Bezug auf die genannten Straftaten des Alexander G***** falsch ausgesagt, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen;
2./ die Sache betreffend Alexander G***** an das Landesgericht Salzburg zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.
Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Alexander G***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit vorliegend von Bedeutung – Alexander G***** mehrerer Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (A./) und nach § 84 Abs 4 StGB (B./1./ und 2./) sowie Christine S***** des Vergehens der Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs 1 StGB (US 2) schuldig erkannt.
Danach haben
Alexander G*****
A./ am 31. Juli 2019 in H***** René Sa***** dadurch, dass er diesen am Hals erfasste, würgte und einen Kopfstoß ins Gesicht versetzte, wodurch dieser eine Prellung des Halses sowie eine Rissquetschwunde oberhalb der linken Augenhöhle erlitt, eine schwere Körperverletzung zuzufügen versucht;
B./ Christine S***** vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine an sich schwere Körperverletzung herbeigeführt, nämlich
1./ Mitte Jänner 2020 in S***** dadurch, dass er den Zeigefinger ihrer linken Hand erfasste und langsam nach hinten bog, bis dieser im Fingeransatz brach;
2./ Mitte Februar 2020 in K***** dadurch, dass er ihr einen heftigen Stoß gegen den Oberkörper versetzte, wodurch sie zu Boden stürzte und einen Bluterguss am linken Auge sowie einen Bruch im Bereich des rechten Unterarms erlitt;
Christine S***** am 11. März 2020 in S***** „auf der Polizeiinspektion Rathaus vor dem sie vernehmenden Rev.Insp. Fabian M***** Alexander G*****, der die zu Punkt [richtig:] B./ dargestellten, mit Strafe bedrohten Handlungen begangen hat, durch die wahrheitswidrige Angabe, sie habe am 23. Februar 2020 auf der Polizeiinspektion M***** bei ihrer Einvernahme als Zeugin und Opfer zu den unter Punkt B./ des Tenors dargestellten Vorfällen wissentlich eine falsche Beweisaussage getätigt, um diesem eine Lehre zu erteilen, der Verfolgung absichtlich ganz zu entziehen versucht.“
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zunächst davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Schuldspruch der Angeklagten Christine S***** ein Rechtsfehler (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) anhaftet:
Nach den wesentlichen Feststellungen des Schöffensenats war der Angeklagte Alexander G***** „mit seiner Lebensgefährtin seit ca. Anfang dieses Jahres [dh 2020] liiert“ (US 5). Christine S***** kam es bei Abgabe der – als Begünstigung (§§ 15, 299 Abs 1 StGB) beurteilten – Angaben vor der Kriminalpolizei am 11. März 2020 darauf an, Alexander G*****, der Verfolgung wegen der ihr zuvor zugefügten Körperverletzungen zu entziehen (US 6).
Gemäß § 299 Abs 3 StGB ist nach Abs 1 dieser Bestimmung nicht zu bestrafen, wer die Tat in der Absicht begeht, einen Angehörigen zu begünstigen. Nach § 72 Abs 2 StGB sind Personen, die miteinander in Lebensgemeinschaft leben, wie Angehörige zu behandeln. Im Hinblick darauf, dass das Erstgericht eine zwischen den Angeklagten zum Tatzeitpunkt bestehende Lebensgemeinschaft unzweifelhaft festgestellt hat, hätte es auch den erwähnten Strafausschließungsgrund bejahen müssen.
Urteilsaufhebung und Freispruch wie im Spruch ersichtlich ist die Folge (§ 288 Abs 3 Z 3 erster Satz StPO).
Die ausschließlich gegen den Strafausspruch betreffend Alexander G***** aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist– im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – berechtigt.
In den Strafzumessungserwägungen nahm das Erstgericht von der Anwendung des § 39 Abs 1 oder 1a StGB Abstand, weil keine „auffallende[n] Faktoren“ vorlägen, die eine Strafschärfung nach § 39 StGB erforderten. „Ausgehend von einem normierten Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe“ hielt der Schöffensenat eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten für angemessen (US 9 und 10), wobei er es – auf Basis seiner Rechtsansicht – nicht für erforderlich erachtete, den Eintritt allfälliger Rückfallverjährung zu prüfen (US 12).
Im Ergebnis zeigt die Anklagebehörde zu Recht auf, dass das Schöffengericht seine Strafbefugnis überschritten hat (Z 11 erster Fall):
Im Unterschied zu dem vor Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2019 (BGBl I 2019/105) geltenden § 39 Abs 1 StGB, der eine von der Ausübung richterlichen Ermessens abhängige Strafrahmenvorschrift darstellte (vgl § 39 Abs 1 StGB aF: „kann“), „erhöht sich“ nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB (in der seit 1. Jänner 2020 geltenden Fassung) das Höchstmaß der angedrohten Strafe unter den dort genannten Voraussetzungen um die Hälfte. Solcherart normiert das Gesetz bei qualifiziertem Rückfall nunmehr einen stets anzuwendenden erweiterten Strafrahmen (vgl auch den Einführungserlass BMVRDJ‑S318.040/0016‑IV 1/2019 S 8 ff sowie [allerdings Strafrahmen und -satz vermengend] Leukauf/Steininger/Tipold , StGB Update 2020 § 39 Rz 1 und 16 ff).
Mit Blick auf die vom Erstgericht zutreffend referierten (mehrfachen und einschlägigen) Vorverurteilungen des Angeklagten zu unbedingten Freiheitsstrafen (US 3 f), die eine erweiterte Strafbefugnis wegen Strafverschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1 oder (als speziellere Norm) Abs 1a StGB nahe legen, hätte das Erstgericht auch Konstatierungen treffen müssen, die eine diesbezüglich abschließende Beurteilung ermöglichen. Insbesondere hätte sich der Schöffensenat mit der Frage befassen müssen, ob Rückfallverjährung nach § 39 Abs 2 StGB eingetreten ist oder nicht. Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen bewirkt Nichtigkeit des Strafausspruchs gemäß § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 666), was dessen Aufhebung (einschließlich der Vorhaftanrechnung sowie des zugleich ergangenen Beschlusses auf Absehen vom Widerruf der bedingten Entlassung unter Verlängerung der Probezeit) erforderlich machte.
Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Der Kostenausspruch gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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