OGH 12Os96/10z

OGH12Os96/10z12.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Reich als Schriftführerin in der Strafsache gegen Agnieszka C***** wegen des Verbrechens des schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 2, 130 vierter Fall StGB, AZ 603 Hv 6/10p des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss der Vizepräsidentin des Landesgerichts Korneuburg vom 22. April 2010, AZ 94 Ns 11/10a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss der Vizepräsidentin des Landesgerichts Korneuburg vom 22. April 2010, AZ 94 Ns 11/10a, verletzt das Gesetz in § 43 Abs 2 letzter Halbsatz StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt, dass der Richter des Landesgerichts Korneuburg Dr. H***** vom Hauptverfahren gegen Agnieszka C***** ausgeschlossen ist.

Dem Präsidenten des Landesgerichts Korneuburg wird aufgetragen, gemäß § 45 Abs 2 StPO den Richter zu bezeichnen, dem die Sache übertragen wird.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Korneuburg legte im Verfahren AZ 503 Hv 17/10w (nunmehr 603 Hv 6/10p) des Landesgerichts Korneuburg mit Strafantrag vom 28. Jänner 2010 (ON 3) Agnieszka C***** ein als Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB beurteiltes strafbares Verhalten zur Last.

Mit - in Rechtskraft erwachsenem - Urteil vom 2. März 2010 (ON 11) sprach der Einzelrichter Dr. H***** gemäß § 488 Abs 3 StPO die Unzuständigkeit des Landesgerichts Korneuburg als Einzelrichter aus, weil ein Anschuldigungsbeweis wegen des Verbrechens „des gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 2, 130 zweiter Satz StGB“ - gemeint richtig: des schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 2, 130 vierter Fall StGB - vorliege.

Nachdem in der Folge die Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen Agnieszka C***** eine am 14. April 2010 beim Landesgericht Korneuburg eingegangene Anklage wegen des Verbrechens „des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls, teilweise durch Einbruch“ (richtig: des schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls) nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 2, 130 vierter Fall StGB eingebracht hatte (ON 12), zeigte der Richter Dr. H***** gemäß § 44 Abs 2 StPO unter Hinweis auf das von ihm gefällte rechtskräftige Unzuständigkeitsurteil vom 2. März 2010 seine auf § 43 Abs 1 Z 3 StPO gestützte Ausgeschlossenheit an (ON 13).

Mit Beschluss vom 22. April 2010, AZ 94 Ns 11/10a (ON 14), stellte die Vizepräsidentin des Landesgerichts Korneuburg fest, dass der Richter Dr. H***** vom weiteren Strafverfahren nicht ausgeschlossen ist. Zur Begründung wurde - neben der Verneinung einer Ausgeschlossenheit nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO - ausgeführt, dass der zufolge einer taxativen Aufzählung der Ausschlussgründe in der Strafprozessordnung einem erweiterten Regelungsverständnis nicht zugängliche § 43 Abs 2 letzter Halbsatz StPO nur im - hier nicht vorliegenden - Fall eines zweiten Rechtsganges nach Aufhebung eines Unzuständigkeitsurteils gelte.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss der Vizepräsidentin des Landesgerichtes Korneuburg vom 22. April 2010 steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die in § 43 StPO genannten Gründe einer Ausgeschlossenheit von Richtern sind - im Gegensatz zur früheren Rechtslage vor dem Strafprozessreformgesetz (BGBl I 2004/19) - mit Blick auf die in Abs 1 Z 3 leg cit enthaltene Generalklausel nicht mehr taxativ aufgezählt (vgl Fabrizy StPO10 § 43 Rz 7). Die Erweiterung ausdrücklich genannter Ausschließungsgründe durch Analogie ist daher nach der geltenden Rechtslage zulässig (vgl dagegen zu §§ 67 f StPO aF RIS-Justiz RS0115283).

§ 43 Abs 2 letzter Halbsatz StPO schließt jene Richter vom Hauptverfahren aus, die „an einem Urteil mitgewirkt“ haben, das in der Folge kassiert wurde, und lässt damit keinen interpretativen Spielraum für eine Differenzierung zwischen Formal- und Sachurteilen (vgl Fabrizy StPO10 § 43 Rz 12). Rechtsprechung und Lehre zu § 68 Abs 2 zweiter Satz StPO aF, wonach ein zu Unrecht gefälltes Unzuständigkeitsurteil keinen Ausschluss der daran beteiligten Richter für das weitere Strafverfahren bewirkt hatte, sind daher auf die neue Rechtslage nicht mehr weiter anwendbar. Hievon ausgehend sind auch Richter, die ihre Unzuständigkeit rechtskräftig ausgesprochen haben, im sodann vor einem Gericht höherer Ordnung zu führenden Hauptverfahren ausgeschlossen, weil sich ansonsten ein (durch Analogieschluss vermeidbarer) Wertungswiderspruch ergeben würde, wenn etwa der ein Unzuständigkeitsurteil fällende Einzelrichter die Sachentscheidung zwar (nach Bestätigung bzw Rechtskraft des Unzuständigkeitsurteils) als Vorsitzender des Schöffensenats, nicht jedoch (nach Aufhebung der Entscheidung gemäß § 261 StPO) als Einzelrichter treffen dürfe (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 24; 12 Os 40/10i).

Daraus folgt, dass der Richter des Landesgerichts Korneuburg Dr. H***** - dem in Rede stehenden Beschluss der Vizepräsidentin dieses Gerichts zuwider - wegen des von ihm gefällten rechtskräftigen Unzuständigkeitsurteils vom (im Fall der Rechtswirksamkeit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Korneuburg vom 8. April 2010) vor dem Landesgericht Korneuburg als Schöffengericht zu führenden Hauptverfahren nach § 43 Abs 2 letzter Halbsatz StPO per analogiam ausgeschlossen ist.

Da nicht auszuschließen ist, dass sich der in Rede stehende Beschluss der Vizepräsidentin des Landesgerichts Korneuburg zum Nachteil der Angeklagten auswirkt (Art 83 Abs 2 B-VG), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, diesen Beschluss gemäß § 292 letzter Satz StPO aufzuheben und in der Sache selbst zu Recht zu erkennen, dass der Richter des Landesgerichts Korneuburg Dr. H***** vom Hauptverfahren gegen Agnieszka C***** ausgeschlossen ist.

Dem Präsidenten des Landesgerichts Korneuburg war aufzutragen, gemäß § 45 Abs 2 StPO jenen nunmehr zuständigen Richter zu bezeichnen, dem die Sache übertragen wird.

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