OGH 12Os95/80

OGH12Os95/8018.9.1980

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.September 1980

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Walter A wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs. 1, 128

Abs. 1 Z. 4 StGB. über die von dem Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27.März 1980, GZ. 2 d Vr 1405/80-14, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie über die von der Staatsanwaltschaft gegen obiges Urteil erhobene Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, der Ausführungen der Verteidigerin, Rechtsanwältin Dr. Oehlzand, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Melnizky, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 12.Dezember 1953 geborene Angeklagte Walter A des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs. 1, 128

Abs. 1 Z. 4 StGB. schuldig erkannt, weil er am 19.Jänner 1980 in Wien dem Alfred B einen Bargeldbetrag von 14.000 S mit dem Vorsatz, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen hat.

Den Urteilsfeststellungen zufolge verübte Walter A die Tat gegen 1,30 Uhr des 19.Jänner 1980, als Alfred B, mit dem A schon seit einiger Zeit bekannt war und mit dem er unmittelbar vorher eine beim Wiener Naschmarkt etablierte Gaststätte besucht hatte, diese in Begleitung des Angeklagten verlassen und sich zu einer (nahen) Telefonzelle bei der Kettenbrückengasse begeben hatte, um von dort aus ein Taxi herbeizurufen. Um unbehindert telefonieren zu können, hatte Alfred B dem Walter A, der unmittelbar vor der Telefonzelle auf Alfred B warten sollte, seine gelbe Umhängtasche, in welcher sich - was der Angeklagte wußte - ein größerer Bargeldbetrag (nämlich 14.000 S) befand, zum Halten gegeben. Während sich nun Alfred B, etwa ein bis zwei Minuten lang, in der Telefonzelle aufhielt, öffnete der Angeklagte die Tasche, nahm aus der darin befindlichen Brieftasche den bezeichneten Bargeldbetrag von 14.000 S an sich und verließ damit unter Zurücklassung der Umhäng- und der Brieftasche den Tatort.

Gegen die Unterstellung dieses Verhaltens unter den Tatbestand des Diebstahls wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Nichtigkeitsgründe der Z. 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, mit welcher er die strafrechtliche Beurteilung der Tat als Veruntreuung anstrebt. Der Strafausspruch wird von der Staatsanwaltschaft und vom Angeklagten mit Berufung angefochten.

Mit Beziehung auf den erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund wird in der Nichtigkeitsbeschwerde bemängelt, daß das Erstgericht den Umstand unerörtert gelassen habe, daß es dem Angeklagten ungeachtet des vom Schöffengericht in bezug auf die Situation zur Zeit des Tatgeschehens angenommenen räumlichen Naheverhältnisses zwischen ihm und Alfred B im Tatzeitpunkt möglich war, den Bargeldbetrag für B 'unwahrnehmbar' aus der Umhäng- bzw. Brieftasche zu entnehmen, und sich mit dem Geld vom Tatort zu entfernen.

Werde dies und die dem Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen von Alfred B faktisch eingeräumte Verfügungsgewalt über die ihm (samt Inhalt) überlassene Umhängtasche berücksichtigt, so stelle die hinter dem Rücken des B verübte Geldwegnahme richtigerweise keinen Diebstahl, sondern eine - minder schwer zu beurteilende - Veruntreuung dieses Geldbetrages dar. Die erstgerichtliche Annahme eines Diebstahls beruhe sohin auf einem Subsumtionsirrtum im Sinne der Z. 10 des § 281 Abs. 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist unbegründet.

Für die Abgrenzung der beiden in Rede stehenden Tatbestände ist vor allem essentiell, ob sich die Sache, deren Zueignung dem Täter zur Last liegt, im Tatzeitpunkt (noch) im Gewahrsam eines anderen befunden hat, in welchem Fall die Sachwegnahme regelmäßig als Diebstahl - und nicht als Veruntreuung - zu beurteilen ist. Entscheidend für das Behalten des Gewahrsams ist, daß dem (bisherigen) Gewahrsamsinhaber im Tatzeitpunkt eine aktualisierbare Verfügungsgewalt über die Sache zukam, d.h. daß er die Möglichkeit zur Realisierung seiner Herrschaft über die Sache - deren Aufbewahrungsort ihm bekannt (oder zumindest erkennbar) war - hatte. Eine andauernde aktuelle Zugänglichkeit und jederzeitige Einwirkung auf die Sache ist hingegen für die Annahme des (weiterbestehenden) Gewahrsams nicht erforderlich (LSK. 1979/91 u.a.; vgl. auch Fuchs, Diebstahl und dauernde Sachentziehung eines Fahrzeuges im Anschluß an einen unbefugten Gebrauch ?, RZ. 1980, S. 5 ff., insbes. S. 7 ff.). Demgemäß behält den Gewahrsam auch, wer die Sachherrschaft zwar durch einen Dritten, aber entsprechend seinen Weisungen und unter seiner zumindest potentiell gegebenen Aufsicht ausüben läßt; der Dritte erlangt in solchen Fällen bloß Mitgewahrsam innerhalb des weiterhin - nach allgemeiner Verkehrsauffassung - bestehenden Herrschaftsbereiches des Trägers des sogenannten Obergewahrsams (vgl. Leukauf/

Steininger, Kommentar zum StGB.2, RN. 15, 21 ff.; Bertel im Wiener Kommentar zum StGB., erste Lieferung, RZ. 13, 21, 23, 27; Mayerhofer/Rieder, StGB., E.Nr. 18, 58, 67 ff.

und 79, jeweils zu § 127 StGB.; EvBl. 1971/170 und SSt. 17/119). Die unbefugte Begründung des Alleingewahrsams an der Sache durch den Dritten stellt mithin Diebstahl - und nicht Veruntreuung - dar.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Schuldspruch des Angeklagten in tatsächlicher Hinsicht mängelfrei und in Ansehung der strafrechtlichen Subsumtion der Geldzueignung unter den Tatbestand des Diebstahls nach §§ 127 Abs. 1, 128 Abs. 1 Z. 4 StGB. frei von Rechtsirrtum erfolgt:

Damit, daß Alfred B dem ihm (wenn auch nicht namentlich) bekannten Angeklagten seine gelbe Umhängtasche, in der sich u.a. eine Brieftasche mit 14.000 S Bargeld befand, vor einer öffentlichen Telefonzelle zum Halten gab, um unbehindert telefonisch ein Taxi herbeirufen zu können, hatte er sich der Möglichkeit, über die Tasche samt Inhalt weiterhin tatsächlich verfügen zu können, keineswegs begeben; vielmehr behielt er (zunächst) daran im Hinblick auf das vom Erstgericht zutreffend festgestellte räumliche Naheverhältnis zur Tasche und zu dem Angeklagten - der die Tasche nur kurze Zeit während des Telefonierens hielt - der vor der Telefonzelle auf B warten sollte, den Obergewahrsam an der Tasche (samt Inhalt) im bereits dargelegten Sinn einer (nach ihrer Übernahme durch den Angeklagten weiterhin aufrechten) Zugehörigkeit zu seinem (B' S) Machtbereich, aus welchem der Angeklagte in der Folge den Geldbetrag heimlich wegbrachte und - durch Gewahrsamsbruch - der weiteren Kontrollmöglichkeit des Alfred B entzog. Daß B während des Telefonierens nicht ununterbrochen seinen Begleiter (den Angeklagten) im Auge behalten und nicht jederzeit auf die Tasche (samt Inhalt) einwirken konnte, hatte nach dem Obengesagten keine Gewahrsamsaufhebung zur Folge. Das Unterbleiben einer näheren Erörterung des in der Beschwerde hervorgehobenen Umstandes, daß es dann dem Angeklagten gelang, unbemerkt das Bargeld aus der Umhängtasche zu nehmen und wegzubringen - von welchem Sachverhalt übrigens auch ersichtlich das Urteil ausgeht - bewirkte daher, da dieser Umstand keine in die Richtung des § 133 StGB. weisende entscheidungsrelevante Tatsache betrifft, keine Urteilsnichtigkeit, zumal heimliche Sachwegnahme gerade für Diebstahl charakteristisch ist (vgl. Bertel a.a.O., RZ. 33 zu § 127 StGB.).

Dafür aber, daß, wie der Beschwerdeführer in seiner Mängelund Rechtsrüge auch behauptet, eine Geldwegnahme und ein Verlassen des Tatorts durch ihn für Alfred B (von vornherein) 'unwahrnehmbar' gewesen wäre und B unter diesem Aspekt nicht Träger des Obergewahrsams hätte sein können, finden sich im Verfahrensergebnis, insbes. auf Grund der dem Erstgericht als Feststellungsgrundlage dienenden Zeugenaussage des Alfred B, keine Anhaltspunkte (vgl. S. 11, 17; 55 ff. d.A.). Von einem Begründungs- oder Feststellungsmangel kann also im gegebenen Zusammenhang gleichfalls nicht gesprochen werden.

Der zur Gänze unberechtigten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war mithin der Erfolg zu versagen.

Walter A wurde nach § 128 Abs. 1 StGB. zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten verurteilt. Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht als erschwerend die einschlägigen rückfallsbegründenden Vorstrafen und den gegenüber Alfred B begangenen Vertrauensmißbrauch, als mildernd das Geständnis. Mit ihren Berufungen streben der Angeklagte eine Herabsetzung und die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung der verhängten Freiheitsstrafe an.

Beide Berufungen sind nicht berechtigt.

Das Erstgericht hat die Strafbemessungsgründe im wesentlichen richtig erfaßt und gewertet. Der Schadensbetrag in der Höhe von 14.000 S ist keineswegs gering.

Da er sich aber nicht annähernd der Wertgrenze von 100.000 S (§ 128 Abs. 1 Z. 4 StGB.) nähert, kann die Höhe des Schadens auch nicht als Erschwerungsumstand angenommen werden. Mit Recht hat das Erstgericht den Vertrauensmißbrauch als erschwerend gewertet, sodaß von einer besonders verlockenden Gelegenheit im Sinne des Milderungsgrundes des § 34 Z. 9 StGB. oder von einem Leichtsinn des Bestohlenen, der die Tasche nur kurze Zeit den ihm persönlich bekannten Angeklagten zum Halten übergeben hat, nicht gesprochen werden kann. Der Angeklagte ist ein dreiviertel Jahr nach Verbüßung seiner letzten Haftstrafe - die wegen Taten verhängt wurde, die nicht auf derselben schädlichen Neigung beruhen - neuerlich straffällig geworden. Ein als erschwerend zu wertender rascher Rückfall liegt bei diesem Zeitraum nicht mehr vor. Auch darf nicht übersehen werden, daß der Angeklagte zwar schon mehrfach und zum Teil einschlägig vorbestraft ist, die Vorstrafen sich jedoch nur auf Straftaten beziehen, die noch der Kleinkriminalität zugeordnet werden können. Das vom Schöffengericht gefundene Strafausmaß entspricht somit dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld des Angeklagten. Beiden Berufungen war somit der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

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