OGH 12Os89/03

OGH12Os89/0323.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Habl, Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Josef G***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Linz vom 1. April 2003, GZ 27 Hv 23/03i-70, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde Josef G***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I./) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (II./) sowie des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (III./) schuldig erkannt. Danach hat er

"I./ im Jänner 2002 am Parkplatz der Hochwaldhalle in der Gemeinde Neureichenau (Deutschland) Elisabeth W***** durch Würgen mit einer Wäscheleine, wodurch sie Rötungen an den Handballen und am Hals erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt;

II./ im Jänner 2002 auf dem Parkplatz der Hochwaldhalle in den Gemeinde Neureichenau (Deutschland) Elisabeth W***** durch die unmittelbar nach der in Punkt I./ geschilderten Handlung getätigte Äußerung, er bringe sie um, mit dem Tode gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

III./ am 31. Oktober 2002 in Lackenhäuser, Gemeinde Neureichenau (Deutschland) Elisabeth W***** dadurch, dass er mehrmals mit einer Faustfeuerwaffe auf sie schoss, vorsätzlich getötet."

Die Geschworenen hatten die anklagekonform gestellten Hauptfragen 1 bis 3 nach Körperverletzung (mit 6:2 Stimmen), nach gefährlicher Drohung (mit 5:3 Stimmen) und nach Mord (mit 6:2 Stimmen) mehrheitlich bejaht, die Eventualfrage nach Totschlag demnach unbeantwortet gelassen und die Zusatzfrage nach Zurechnungsfähigkeit (§ 11 StGB) stimmeneinhellig verneint.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Gründe der Z 4, 5, 9, 10 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Die Einwände der Verfahrensrügen (Z 4 und 5), wonach der Angeklagte zufolge seiner Demenz und aufgrund seiner "problematischen" Hörfähigkeit wesentlichen Teilen des Beweisverfahrens nicht habe folgen können, sodass ihm sein Grundrecht auf Verteidigung genommen worden sei und wonach seinem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über seine Verhandlungsfähigkeit nur formal entsprochen worden sei, gehen fehl.

In der Hauptverhandlung am 25. März 2003 beantragte der Verteidiger des Angeklagten "die Einholung eines Ergänzungsgutachtens betreffend die Verschlechterung des Zustandes des Angeklagten in neuropsychiatrischer Hinsicht zum Beweis dafür, dass durch den Gefängnisaufenthalt und die Stresssituation die Aufnahmefähigkeit des Angeklagten sich stark vermindert hat und zur Abklärung, ob der Angeklagte in seinem jetzigen Zustand in der Lage ist, dem Verhandlungsverlauf ordnungsgemäß zu folgen und sich entsprechend zu verantworten" (S 175 f/III). In Entsprechung dieses Begehrens wurde der Sachverständige Prim. Dr. F***** beigezogen, der in der Hauptverhandlung am 1. April 2003 die bereits im Gutachten des Instituts für Neuropsychiatrie bejahte volle Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten bestätigte und ergänzend ausführte, dass sich dessen Gehirn nach den Ergebnissen der Kernspintomographie als altersgemäß darstelle, die Untersuchung des Beschwerdeführers gezeigt habe, dass dieser in den letzten Monaten in psychiatrischer Hinsicht nicht erkrankt sei und es sich bei ihm um einen "für die Verhandlung vollkommen fähigen und kompetenten 70-jährigen Patienten" handle. Auf konkrete Befragung führte der Sachverständige ferner aus, dass die Hörfähigkeit des Angeklagten im Gerichtssaal aufgrund der von den anwesenden Menschen verursachten Nebengeräusche selbstverständlich schlechter als in einem kleinen Raum sei; die Beeinträchtigung der Kompensierfähigkeit eines Menschen im Gerichtssaal sei jedoch nicht mit einer neurologischen oder psychiatrischen Erkrankung im engeren Sinn gleichzustellen, sondern als situativ erwartbare Reaktion aufzufassen (S 181/III).

Ob eine verminderte Hörfähigkeit bereits einen solchen Grad erreicht hat, dass sie den Angeklagten unfähig macht, dem wesentlichen Prozessverlauf zu folgen und insoweit seine Rechte sinnvoll wahrzunehmen, ist fallbezogen zu prüfen, wobei unter anderem auch auf die Schwierigkeit und Komplexität des Tatvorwurfs Bedacht zu nehmen ist (9 Os 45/86).

Im Hinblick darauf, dass die Erörterung des Anklagevorwurfs in der Hauptverhandlung weder in objektiver noch subjektiver Hinsicht Schwierigkeiten bot, der Angeklagte erklärte, sich in der Lage zu fühlen, seine Aussage "ordnungsgemäß zu machen" (S 153/III), und ihm die Möglichkeit eröffnet war, allfällige Unklarheiten über den Gang der Verhandlung oder die Ergebnisse des Beweisverfahrens durch Fragen an das Gericht oder seinen Verteidiger aufzuklären, ist eine Verletzung von Verteidigungsrechten oder einer der in § 345 Abs 1 Z 4 StPO angeführten Vorschriften auszuschließen.

Abgesehen davon wäre es dem Verteidiger jederzeit freigestanden, darzutun, warum die Schlussfolgerungen des Sachverständigen nicht stichhältig sein sollen, dazu entsprechende Fragen zu stellen und insoweit eine Ergänzung des Gutachtens zu veranlassen, sodass es dem Rechtsmittelwerber im aufgezeigten Umfang schon an der Beschwerdelegitimation fehlt.

Der weitere Einwand, "das Nichteingehen auf die zahlreichen Einwürfe des Angeklagten, nichts zu verstehen bzw dem Verhandlungsverlauf akustisch nicht folgen zu können" (der im Protokoll über die Hauptverhandlung nur insoweit Deckung findet, als der Angeklagte einmal, und zwar nach Vernehmung des Großteils der Zeugen erklärte, "bei den Zeugenaussagen nur einzelne Wörter", nicht aber ganze Sätze verstanden zu haben - S 153/III) stelle einen Verstoß gegen Art 6 MRK dar, übersieht, dass derartige Äußerungen keine Anträge im Sinne der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO darstellen und die unterbliebene Reaktion darauf den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht herzustellen vermag.

Die Beschwerdebehauptung, die Geschworenen hätten "ihren Wahrspruch bezüglich der Hauptfrage III auf unvertretbare Weise begründet", indem sie ausführten, dass "die Handlungsweise des Angeklagten auf Vorsatz schließen lässt und nicht auf Basis einer allgemein begreiflichen Gemütsbewegung geschah", verfehlt sinnfällig die prozessordnungsgemäße Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO, weil die dort bezeichneten Mängel die Antwort der Geschworenen auf die gestellten Fragen, also die im Wahrspruch der Geschworenen zum Ausdruck kommenden Feststellungen betreffen müssen, nicht aber die gemäß § 331 Abs 3 StPO zu verfassende Niederschrift (Foregger/Fabrizy StPO8 Rz 16; Mayerhofer StPO4 E 7, jeweils zu § 345 Z 9). Gleiches gilt schon hinsichtlich der formellen Voraussetzungen des ferner relevierten Nichtigkeitsgrundes der Z 10, weil weder den Geschworenen die Verbesserung des Wahrspruchs gegen den Widerspruch des Beschwerdeführers mit Unrecht aufgetragen wurde noch ein oder mehrere Geschworene ein bei der Abstimmung unterlaufenes Missverständnis behaupteten.

Nicht zielführend ist schließlich auch die Tatsachenrüge (Z 10a), die mit dem Hinweis, die Geschworenen hätten "bei richtiger Rechtsansicht" die Hauptfrage III (nach Mord) verneinen und die Eventualfrage IV (nach dem Verbrechen des Totschlages) bejahen müssen, was sich "eindeutig" aus der Verantwortung des Angeklagten ergebe sowie daraus, dass "alle Voraussetzungen für die Privilegierungen im Akt aufschienen und nichts Gegenteiliges zu finden ist", keine sich aus dem Akteninhalt ergebenden erheblichen Bedenken gegen die dem Wahrspruch zugrundeliegenden entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen vermag, vielmehr schwerpunktmäßig die Beweiswürdigung der Laienrichter nach Art einer - hier unzulässigen - Schuldberufung bekämpft.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war sohin bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung (§§ 285i, 344 StPO). Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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