European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132939
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./II./, demzufolge auch im Strafausspruch der * I* aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird * I* auf die Aufhebung verwiesen.
Ihr fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Schuldspruch und einen ebensolchen Freispruch der Angeklagten * G* enthält, wurde * I* jeweils der Verbrechen des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels nach § 217 „Abs 2“ StGB (A./I./) und des Menschenhandels nach § 104a Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB (A./II./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie in W* und an anderen Orten
A./I./ in einverständlichem Zusammenwirken mit weiteren unbekannten Tätern Personen (§ 217 Abs 1 StGB) „mit dem Vorsatz, dass sie in einem anderen Staat, als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, der Prostitution nachgehen, mit Gewalt und durch gefährliche Drohung genötigt, sich in einen anderen Staat zu begeben und unter Ausnützung ihres Irrtums über dieses Vorhaben in einen anderen Staat, nämlich von Nigeria nach Österreich befördert, indem sie diese einem 'Juju‑Schwur' unterzogen, bei der sie durch Zufügen von Ritzwunden an der Haut und Beträufeln mit Blut eines zuvor geschlachteten Huhns auf die Wunden misshandelt wurden, sie anschließend aufgefordert wurden, rohe Innereien des Tieres zu essen, und ihnen anschließend gesagt wurde, es würde bei Zuwiderhandeln zu Unheil und Tod kommen, sowie durch Vortäuschung einer ordentlichen Beschäftigung nach Absolvierung einer Ausbildung dazu veranlassten, Nigeria zu verlassen, und sie in weiterer Folge mittels Flugzeug und Zug über Italien nach Österreich beförderten, wobei sie nach Ankunft darüber aufgeklärt wurden, dass sie nunmehr als Prostituierte zu arbeiten und dabei Geldbeträge von 47.000 Euro bis 50.000 Euro für ihre Schleppung nach Österreich abzuarbeiten hätten“, und zwar
a./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im März 2016 * Ig*;
b./ zwischen Jänner und März 2016 * G* alias * Id*;
A./II./ zwischen Jänner 2016 und einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2018 volljährige Personen, nämlich Success Ig* (a./) und * G* alias * Id* (b./), mit dem Vorsatz, dass sie sexuell ausgebeutet werden, unter Einsatz unlauterer Mittel, nämlich Täuschung über Tatsachen, und zwar Vortäuschung einer ordentlichen Beschäftigung nach Absolvierung einer Ausbildung in Österreich, durch Ausnützung einer Zwangslage, nämlich das Ausnutzen einer schweren wirtschaftlichen Bedrängnis der Genannten, wobei sie die Drucksituation wie das Fehlen alternativer Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten und jeglichen sozialen Umfelds bewusst einkalkulierten, sowie durch Einschüchterung, nämlich durch Androhung, der im Punkt A./I./ genannte „Juju-Schwur“ werde sie treffen und krank machen oder gar töten, „auf die in Punkt I./ beschriebene Weise angeworben“, sie beherbergt, indem sie diese bei sich unterbrachte und in Österreich zu Bordellen vermittelte, wo sie die Prostitution ausüben mussten, wobei sie die Tat im Rahmen einer kriminellen Vereinigung beging.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten * I*, die – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ihr Ziel verfehlt.
[4] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) ist die Ableitung der subjektiven Tatseite aus dem äußeren Tatgeschehen unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116882). Im Übrigen übersieht die Beschwerde, dass weder zur Erfüllung des Tatbestands des Menschenhandels (§ 104a Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB) noch jenes des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels (§ 217 Abs 2 StGB) Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB) erforderlich ist.
[5] Dass die Tatrichter aus der Äußerung der Beschwerdeführerin gegenüber den Opfern, wonach diese nun doch nicht studieren werden, sondern als Prostituierte arbeiten müssen, auf den Vorsatz (US 9) in Ansehung der Anwendung des unlauteren Mittels der Täuschung (§ 104a Abs 2 StGB) – auch zum Zweck, die Opfer zur Reise von Nigeria nach Österreich zu verleiten (§ 217 Abs 2 StGB) – geschlossen haben (US 11), ist aus Z 5 vierter Fall gleichfalls nicht zu beanstanden.
[6] Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten * I* war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).
[7] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – von einer den Schuldspruch A./II./ betreffenden, der Angeklagten * I* zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO).
[8] Das Erstgericht unterstellte den festgestellten Sachverhalt der Qualifikation des § 104a Abs 4 erster Fall StGB, ohne zum Tatbestandsmerkmal der kriminellen Vereinigung hinreichende Feststellungen zu treffen (vgl US 9, 11). Im Urteil fehlen Sachverhaltsannahmen zu einem Zusammenschluss der Tätergruppe im Sinn einer (zwar nicht unbedingt ausdrücklichen, aber zumindest konkludenten) Willenseinigung, sich zur Erreichung des verpönten Zwecks zusammenzuschließen, sowie zum zeitlichen Element, wonach diese Vereinigung (nicht bloß faktisch, sondern aufgrund korrespondierender Willensäußerungen) auf längere Dauer angelegt ist (RIS‑Justiz RS0125232 [T2]).
[9] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert jedenfalls die Aufhebung des Urteils in der Annahme der Qualifikation des § 104a Abs 4 erster Fall StGB (A./II./).
[10] In Ausübung der dem Obersten Gerichtshof nach § 289 StPO zukommenden Befugnis war aber der gesamte Schuldspruch A./II./ zu kassieren, um sicherzustellen, dass die Angeklagte durch den Eintritt der Teilrechtskraft keinen Nachteil erleidet (vgl RIS‑Justiz RS0120632 [T4]; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.273).
[11] Denn bei Erfüllung des Tatbestands nach § 217 Abs 2 StGB – welcher regelmäßig den Einsatz der für § 104a Abs 1 (iVm Abs 2) StGB bei erwachsenen Opfern notwendigen unlauteren Mittel umfasst – wird der Grundtatbestand nach § 104a Abs 1 StGB als typische Begleittat konsumiert (Philipp in WK2 StGB § 217 Rz 34; Schwaighofer in WK2 StGB § 104a Rz 19; Fabrizy, StGB13 § 104a Rz 14).
[12] Bleibt schließlich zum Schuldspruch A./I./ Anlass zur Klarstellung, dass die vom Erstgericht zusätzlich angenommene alternative Begehungsform (Philipp in WK2 StGB § 217 Rz 23) der Nötigung mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung (§ 217 Abs 2 zweiter Fall StGB) durch die getroffenen Feststellungen nicht gedeckt ist. Denn die Tatrichter haben insoweit lediglich konstatiert, dass die über die Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich getäuschte Angeklagte * G* den angesprochenen „Juju‑Schwur“ abgelegt habe, wobei diese schwören habe müssen, dass sie in Österreich mit niemandem „darüber“ sprechen dürfe, da sie andernfalls sterben würde (US 6). Eine mittels Gewalt oder durch gefährliche Drohung bewirkte Nötigung, sich in einen anderen Staat zu begeben, ist daraus nicht ableitbar.
[13] Die Kostenentscheidung, die sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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