Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird Folge gegeben und die Strafe auf 12 (zwölf) Jahre herabgesetzt.
Gemäß § 390 a StPO. fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde die am 26.Juli 1952 geborene Hausfrau Rosemarie A schuldig erkannt, am 25.November 1984 in Kaidern vorsätzlich ihre (fast) einjährige Tochter Annemarie A durch Erdrosseln getötet und hiedurch das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB. begangen zu haben. Die Geschwornen hatten jeweils stimmeneinhellig die auf das erwähnte Verbrechen lautende Hauptfrage bejaht und die Zusatzfrage nach allenfalls zur Tatzeit gegebener Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB.) verneint.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Gründe der Z. 5 und 12 - der Sache nach jedoch auf jene der Z. 5 und 6 - des § 345 Abs. 1 StPO. gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten. Gegenstand der Verfahrensrüge bildet die Abweisung des Antrags auf Beischaffung der Krankengeschichte der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt über die Anhaltung der Rosemarie A vom 25.November 1984 bis 29.November 1984 und ab 5. Dezember 1984 zum Beweis dafür, daß die Angeklagte psychisch erkrankt und hochgradig geistesschwach war und nach wie vor bei ihr anläßlich der überstellung in die Untersuchungshaft am 29. November 1984 hochgradige Selbstmordgefahr bestand (AS. 307, 308). Nach dem Beschwerdevorbringen (vgl. AS. 340) wurde dieser Antrag deshalb gestellt, weil in der Anzeige (AS. 51) ein Vermerk über eine in dieser Richtung erteilte Auskunft des Vorstandes der genannten Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt enthalten ist, der Sachverständige Dr. B nach Vorhalt des Verteidigers dazu aber angegeben habe, daß er dies nicht verstehe, seiner Meinung nach sei dies in der Krankengeschichte nicht enthalten.
Rechtliche Beurteilung
Die Verfahrensrüge ist nicht berechtigt.
In der Beschwerde werden der Sache nach lediglich Mängel des Gutachtens im Sinne der §§ 125, 126 StPO. behauptet, weil der Sachverständige Dr. B diese in der Anzeige angeführte Auskunft bei der Erstellung seines Gutachtens nicht beachtet habe, womit aber im Ergebnis nur unzulässig die Richtigkeit des Gutachtens und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes bekämpft wird. Denn der genannte Sachverständige hat - im Gegensatz zur oben wiedergegebenen Beschwerdebehauptung - dazu Stellung genommen und erklärt, daß er - wenn tatsächlich von den örzten der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses eine hochgradige Selbstmordgefahr angenommen worden wäre - dann nicht verstehe, daß die Angeklagte dennoch von dieser Abteilung in die Untersuchungshaft überstellt worden war; nach vier Tagen sei man - wie der Sachverständige
folgerte - vielmehr zum Ergebnis gekommen, daß diese Gefahr nicht bestehe, weil sonst die Haft nicht vertretbar gewesen wäre (vgl. AS. 305). Ob diese Erklärung des Sachverständigen zu dieser in der Anzeige angeführten Auskunft hinreichend und das Gutachten damit ausreichend und schlüssig war, war der Prüfung durch die Tatsacheninstanz vorbehalten und ist einer Nachprüfung durch die Rechtsinstanz entzogen (RZ. 1974/123).
Die abschließenden Ausführungen der Verfahrensrüge, denen zufolge aus der Krankengeschichte hervorgegangen wäre, daß die Angeklagte in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung gehandelt habe, entbehren einer wesentlichen prozessualen Voraussetzung, denn dieses Thema - welches zudem teilweise (in Ansehung der allgemeinen Begreiflichkeit des Affektes) keine Beweis(Tat-), sondern eine Rechtsfrage betrifft (Mayerhofer-Rieder 2 , § 76 StGB., ENr. 7) - war gar nicht Gegenstand des Beweisantrages.
Der sachlich in Richtung des § 345 Abs. 1 Z. 6 StPO. gehende Beschwerdeeinwand, die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechens des Totschlags (§ 76 StGB.) sei zu Unrecht abgelehnt worden, hält gleichfalls einer überprüfung nicht stand: Indizien dafür, daß sich die Angeklagte in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tat hätte hinreißen lassen, sind in der Hauptverhandlung nicht hervorgekommen. Nach ihrer eigenen Verantwortung war die Tat weder auf einen spontan aufgetretenen noch auf einen längere Zeit aufgestauten und sodann in einer 'Verzweiflungstat' zum Durchbruch gelangten Affekt tiefgreifender Natur zurückzuführen, sondern auf einen bereits mehrere Wochen vorher gefaßten und sodann hartnäckig und kaltblütig in die Tat umgesetzten Entschluß, das als Hindernis bei der geplanten Änderung ihrer Lebensführung betrachtete Kind zu beseitigen (AS. 291 vorl. Abs., 292 oben bis 293 Mitte; vgl. die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen AS. 107 bis 111, AS. 303, 304). Der Hinweis des Gerichtspsychiaters auf den eine 'gewisse' Beeinträchtigung der freien Entschlußfähigkeit darstellenden abnormen psychischen Zustand der Angeklagten zur Tatzeit (AS. 305 oben) steht hiezu nicht im Widerspruch, da er sich auf die im schriftlichen Gutachten bloß als 'Hintergrund' der Tat bezeichnete überwiegend reaktiv ausgelöste depressive Verstimmung (AS. 115; vgl. AS. 111 unten) bezieht. Für eine besonders heftige, die verstandesmäßigen Erwägungen und Hemmungen zurückdrängende Intensität jenes Zustandes bietet das Gutachten keinen Anhaltspunkt. Nicht einmal das Hervorkommen von Indizien für eine Gemütsbewegung von solcher Heftigkeit, daß sie starke sittliche Hemmungen zu überwinden vermocht hätte (EBRV. 1971, 195), würde zur Stellung einer Eventualfrage nach Totschlag Anlaß gegeben haben, weil es jedenfalls an der allgemeinen Begreiflichkeit selbst eines tiefgreifenden Affekts mangelt. Bei Prüfung dieser weiteren Voraussetzung der Privilegierung nach § 76 StGB. ist - unter Berücksichtigung aller Tatumstände und der psychologischen Zusammenhänge - von einem objektiven Standpunkt auszugehen; das Verhältnis zwischen dem Anlaß der Gemütsbewegung und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand muß auch für einen Durchschnittsmenschen in dem Sinn verständlich sein, daß jener sich vorstellen kann, auch er geriete unter den gegebenen besonderen Umständen in eine solche Gemütsverfassung (siehe neuerlich EBRV. 1971, 195; SSt. 46/49 = EvBl. 1976/87 = ÖJZ-LSK. 1975/185). Demnach unterliegt zwar nicht die Tat, wohl aber der konkrete Affekt des Täters in seiner ganzen Dimension - einschließlich seiner tatkausalen Heftigkeit - in Relation zu seinem Anlaß rechtsethischer Bewertung und muß sittlich verständlich sein (ÖJZ-LSK. 1977/379; ÖJZ-LSK. 1982/86). Den Beschwerdeausführungen zuwider, welche auf die unterdurchschnittliche geistige Entwicklung der Angeklagten abstellen, kann dieser objektive Maßstab auch bei geistesschwachen, aber noch zurechnungsfähigen Tätern zur Anwendung gelangen, weil er nicht auf ein intellektuelles Durchschnittsniveau, sondern auf durchschnittliche Rechtstreue (Verbundenheit mit den rechtlich geschützten Werten) der Maßfigur abstellt. Für unter dem charakterlichen Niveau der Maßfigur liegende Charaktereigenschaften, die den Affektdurchbruch herbeigeführt oder gefördert haben, haftet sohin auch der geistig primitive Täter. Von diesem entscheidenden Charakterzug (durchschnittliche Rechtstreue) abgesehen, muß sich jedoch die Maßfigur dem individuellen Täter möglichst annähern, ihm also hinsichtlich sozialer Stellung, Lebenskreis, Alter, körperlichen Eigentschaften, Gesundheit, Beruf, Bildung, Herkunft etc. gleich gedacht werden. Demnach kommt es - ebenso wie beim Zumutbarkeitsmaßstab der Fahrklässigkeit im Sinne des § 6 StGB. (vgl. EvBl. 1982/64 = ÖJZ-LSK. 1981/183) - auf den rechtstreuen Menschen von der geistigen und körperlichen Beschaffenheit des Täters in der speziellen Tatsituation an (siehe zu alldem ausführlich Moos in WrK., § 76 StGB., Rz. 33 bis 38). Wird ein solcher individualisierter objektiver Maßstab (Moos) im gegenständlichen Fall angelegt, dann ergibt sich ungeachtet der geistigen Minderbefähigung der Angeklagten, daß angesichts der von ihr selbst verfolgten Scheidungspläne (AS. 294) und ihrer Einstellung zum nicht mehr geliebten Kind, welches sie als der angestrebten Aufnahme ihrer früheren Beschäftigung hinderlich betrachtete (AS. 291 und vso.), weder der unglückliche Verlauf der Ehe noch die Ankündigung des Gatten, für den Fall der Scheidung das Kind in seine Pflege zu übernehmen, einen im Sinne des § 76 StGB. allgemein begreiflichen Anlaß für einen tiefgreifenden psychischen Ausnahmezustand darstellen. Zudem ist in der Hauptverhandlung als Beweggrund der Tat keineswegs das typische Motiv eines sogenannten 'erweiterten Selbstmordes', das Kind nicht allein zurücklassen zu wollen, auch nur andeutungsweise hervorgekommen; vielmehr hat die Angeklagte einerseits ihrer Verantwortung (AS. 201 und vso.) zufolge für sich selbst Zukunftspläne geschmiedet, bei welchen ihr das ungeliebte Kind im Wege zu stehen schien, und andererseits laut dem psychiatrischen Gutachten (AS. 303) den von ihr abgelehnten Ehepartner durch die Tötung des Kindes, welches sich ihm zugewendet hatte, treffen wollen. Schon die Verwerflichkeit dieser Motivation schließt die allgemeine Begreiflichkeit der Gemütsbewegung aus (EBRV. 1971, 196; ÖJZ-LSK. 1977/96; 11 Os 4/85; Moos a.a.O., Rz. 37; Leukauf-Steininger 2 , § 76 StGB., RN. 6).
Da mithin in der Hauptverhandlung Tatsachen, nach denen die der Angeklagten zur Last gelegte Tat unter den privilegierten Tötungstatbestand des § 76 StGB. gefallen wäre, gar nicht vorgebracht worden sind, hat die Unterlassung einer auf eine derartige rechtliche Beurteilung abzielenden Eventualfrage nicht gegen die Vorschrift des § 314 Abs. 1 StPO. verstoßen. Die zum Teil nicht gesetzmäßig ausgeführte, im übrigen aber unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Rosemarie A war daher zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verurteilte die Angeklagte nach § 75 StGB. zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe. Bei der Strafbemessung war erschwerend die brutale Vorgangsweise der Angeklagten, der vierfache Versuch, wobei das Kind auch verletzt wurde und besonderen Qualen ausgesetzt war, das egoistische Motiv sowie die Hilf- und Wehrlosigkeit des Kleinkindes, mildernd hingegen die Unbescholtenheit, das Geständnis, das zur überführung der Angeklagten wesentlich beigetragen hat und ihre geistige Schwerfälligkeit.
Der Berufung, mit welcher die Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebt, kommt Berechtigung zu.
Zwar wiegt im vorliegenden Falle der Unrechtsgehalt der Tat schwer. Das Erstgericht hat jedoch einerseits zu wenig auf das Geständnis der Angeklagten Bedacht genommen, in welchem sie die Planung und den Hergang der Tat umfassend geschildert hat, das auf Schuldeinsicht hinweist und ganz wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, wurde doch dadurch erst die Einleitung eines Strafverfahrens und ihre überführung ermöglicht. Es hat auch andererseits jene Umstände, die den Mangel an Wertverbundenheit in einem anderen Lichte erscheinen lassen, nicht richtig gewürdigt, und zwar die konfliktgeladene Ehesituation und die Tatsache, daß die Angeklagte an einer angeborenen Hirnleistungsschwäche (vgl. das Gutachten des Sachverständigen Dr. B, AS. 105) leidet. Aus spezialpräventiven Gründen war daher eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe auf das im Spruche ersichtliche Ausmaß angebracht.
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