OGH 12Os81/11w

OGH12Os81/11w20.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. September 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer in der Strafsache gegen Marco S***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Dieter Si*****, Franz O*****, Thi T***** und Oana R***** (früher St*****) sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 2. November 2010, GZ 17 Hv 143/09v-120, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Dieter Si***** und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen B./I./ und II./ sowie in den die Angeklagten Dieter Si*****, Franz O*****, Thi T***** und Oana R***** (früher St*****) betreffenden Strafaussprüchen einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Dieter Si***** zurückgewiesen.

Die Angeklagten Markus O*****, Thi T***** und Oana R***** werden mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden auf diese Entscheidung verwiesen.

2. Zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft in Ansehung des Angeklagten Marco S***** werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

3. Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung, soweit sie andere Angeklagte betrifft, sowie der Angeklagte Dieter Si***** mit seiner Berufung auf die Teilaufhebung des Urteils verwiesen.

4. Die Berufungen der Angeklagten Markus O*****, Thi T***** und Oana R***** werden zurückgewiesen.

5. Dem Angeklagten Dieter Si***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem - verfehlt auch Freisprüche in Ansehung von Teilmengen enthaltenden (RIS-Justiz RS0117261; Lendl, WK-StPO § 259 Rz 2) - angefochtenen Urteil wurden, soweit für das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof von Bedeutung, Marco S***** (richtig:) zweier Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG (A./I./1./ und 2./), mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall SMG (A./II./1./ und 2./) und mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (C./), Dieter Si***** (richtig:) zweier Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG (A./I./1./ und 2./) und mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall SMG, § 12 dritter Fall StGB (B./I./) sowie Franz O*****, Thi T***** und Oana R***** (richtig:) jeweils mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall SMG, § 12 dritter Fall StGB (B./II./) schuldig erkannt.

Danach haben in Klagenfurt

„A./ vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut

I./ Marco S***** und Dieter Si***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken insgesamt 2.100 Gramm (Reinheitsgehalt 210 Gramm THC), sohin in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz angebaut, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar

1./ im Frühjahr 2008 1.400 Gramm (Reinheitsgehalt 140 Gramm THC) durch Anbau von insgesamt 420 Setzlingen;

2./ im Herbst 2008 700 Gramm (Reinheitsgehalt 70 Gramm THC) durch Aussaat und Aufzucht von 150 Hanfpflanzen;

II./ Marco S***** 1.930 Gramm (Reinheitsgehalt 234 Gramm THC), sohin in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge erzeugt, und zwar

1./ im Herbst 2008 700 Gramm (Reinheitsgehalt 70 Gramm THC) durch Aufzucht von 150 Hanfpflanzen bis zur Erntereife;

2./ Ende 2008 oder Anfang 2009 1.230 Gramm (Reinheitsgehalt 164 Gramm THC) durch Aufzucht von weiteren 150 Hanfpflanzen bis zur Erntereife;“

B./ an den zu A./ genannten Taten beigetragen, und zwar:

I./ Dieter Si***** zu der zu A./II./2./ genannten Tat durch Mithilfe beim Abpacken des abgeernteten Cannabis;

II./ Franz O*****, Thi T***** und Oana R***** zu der zu A./II./2./ genannten Tat durch Schneiden von Cannabisspitzen;

C./ Marco S***** als Alleintäter im Zeitraum Jänner 2008 bis Anfang Mai 2009 vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, und zwar:

1./ Reinhard Ob***** 20 Gramm Kokain und 10 Gramm Cannabis (Reinheitsgehalt 1,33 Gramm THC);

2./ Dieter Si***** 190 Gramm Cannabiskraut (Reinheitsgehalt 19,95 Gramm THC);

3./ Inge K***** zumindest 1,5 Kilogramm Cannabis (Reinheitsgehalt 183 Gramm THC).

Die Fassung des Urteilsspruchs zu A./ gibt Anlass zum Hinweis, dass nach § 28 Abs 1 SMG strafbar ist, wer vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erwirbt, besitzt oder befördert, dass es in Verkehr gesetzt werde (Satz 1 leg cit), oder die in § 27 Abs 1 Z 2 SMG genannten Pflanzen zum Zweck der Gewinnung einer solchen Menge Suchtgift anbaut (Satz 2).

Ersichtlich von Strafbarkeit nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG ist das Erstgericht bei den Schuldsprüchen der Angeklagten Marco S***** und Dieter Si***** zu A./I./ ausgegangen. Dem liegt nach den Feststellungen ein in zwei Fällen gescheiterter Anbau von Cannabispflanzen zu Grunde (zu A./I./1./: US 12 f; zu A./I./2./: US 14).

Andere Pflanzen gediehen den Konstatierungen zufolge, bis sie abgeerntet wurden, was im Referat zu A./II./ (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) unerwähnt blieb (siehe zu A./II./1./: US 14 f; zu A./II./2./: US 15).

Gegen das Urteil wenden sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Dieter Si*****, gestützt auf Z 1, 5, 5a, 8, 9 lit a, 10a und 11, Franz O***** und Thi T*****, gemeinsam ausgeführt aus Z 5, 5a und 9 lit a, sowie Oana R***** aus Z 3, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Dieter Si*****:

Dem Einwand (Z 1), die Vorsitzende Mag. Sabine Ro***** sei im Ermittlungsverfahren als Staatsanwältin tätig gewesen, indem sie im Journaldienst die Anzeige eines Beschuldigten, „nämlich des in der Hauptverhandlung einvernommenen Zeugen Reinhard Ob*****“, auf freiem Fuß angeordnet habe, was ihre Ausgeschlossenheit begründe (§ 43 Abs 1 Z 1 StPO), steht die Missachtung der Rügeobliegenheit entgegen (vgl § 281 Abs 1 Z 1 StPO): Dem Verteidiger war das relevante Tatsachensubstrat (ON 22 S 71) durch die am 4. Dezember 2009 übermittelte Aktenkopie (ON 67) zugänglich (RIS-Justiz RS0114495; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 136, 140).

Die Mängelrüge (Z 5) geht mit dem auf die Feststellungsebene (zum Tatgeschehen im Frühjahr 2008, A./I./1./, und im Herbst 2008, A./I./2./) bezogenen Vorwurf von Aktenwidrigkeit daran vorbei, dass nur die unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln diesen Begründungsmangel bewirkt (RIS-Justiz RS0099431). Ein solcher Fehler wird aber nicht geltend gemacht.

Durch Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (zu A./I./2./) wird keiner der von der Z 5 bezeichneten Fehler behauptet (RIS-Justiz RS0117445).

Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, welche den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (RIS-Justiz RS0118317). Indem die Mängelrüge einen solchen Fehler der Entscheidungsgründe zu A./I./1./ und A./I./2./ behauptet, dabei aber nicht deren Gesamtheit berücksichtigt (vgl insbesondere US 19 f), ist sie auch insoweit nicht an der Prozessordnung ausgerichtet (RIS-Justiz RS0119370).

Der Nichtigkeitsgrund der Z 5a greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583). Zudem ist auch bei Geltendmachung von Nichtigkeit nach Z 5a auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen Bedacht zu nehmen (RIS-Justiz RS0118780).

Daher sind die Einwände der Tatsachenrüge, die zu A./I./1./ und A./I./2./ an Erwägungen der Tatrichter (va US 19 f) vorbei gehen, die Aussagekraft des als schlüssig erachteten (US 19) Gutachtens des Sachverständigen DI Dr. Johann Stu***** bestreiten und erneut auf den Zweifelsgrundsatz rekurrieren (RIS-Justiz RS0102162), nicht zielführend.

Weshalb zu A./I./ die Identität von angeklagtem und urteilsmäßig erledigtem Handlungssubstrat fehlen sollte, der Schuldspruch daher, wie eingewendet wird (Z 8), eine Ausdehnung der Anklage (ON 49) erfordert hätte, lässt die Beschwerde offen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 502).

Mangelnde Information durch das Gericht über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt wird übrigens gar nicht reklamiert (RIS-Justiz RS0121419).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) leitet zu A./I./1./ nicht aus dem Gesetz ab, weshalb das festgestellte Aussetzen und Kultivieren von Cannabispflanzen (US 13 f) kein „Anbauen“ iSd § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG darstellen soll (RIS-Justiz RS0124029, RS0116565).

Die Beschwerde (Z 10a) legt weiters nicht dar, warum für ein Vorgehen nach § 37 iVm § 35 Abs 2 SMG, auf das die Diversionsrüge abzielt (vgl Schwaighofer in WK2 SMG § 35 Rz 8), unbedeutend sein soll, ob der Angeklagte an Suchtmittel gewöhnt ist. Sie macht aber auch keinen diesbezüglichen Feststellungsmangel geltend (RIS-Justiz RS0119091).

Zutreffend reklamiert der Beschwerdeführer jedoch zum Schuldspruch B./I./ einen Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a): Den Konstatierungen ist nicht zu entnehmen, dass Si***** den Angeklagten Marco S***** bei der Trennung der Cannabisblüten und des Cannabisharzes von Blättern und Stängeln, somit beim Erzeugen von Suchtgift (RIS-Justiz RS0124029), unterstützt hätte. In den Entscheidungsgründen ist nur davon die Rede, dass er ihm beim Abpacken behilflich war (US 15).

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erforderte die Aufhebung des Urteils im Schuldspruch B./I./ und demgemäß in dem den Angeklagten Dieter Si***** betreffenden Strafausspruch.

Daher bedarf das übrige Beschwerdevorbringen dieses Angeklagten keiner Erörterung.

Zur amtswegigen Maßnahme:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von Amts wegen zu Gunsten der Angeklagten O*****, T***** und R***** vom Vorliegen einer sie betreffenden, von ihnen in dieser Hinsicht jedoch nicht geltend gemachten Nichtigkeit nach Z 9 lit a (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Festgestellt wurde nämlich, dass sie Marco S***** aufsuchten, nachdem „die Cannabispflanzen abgeerntet waren“, und sie dann damit befasst waren, „die Cannabisspitzen zu schneiden“ (US 15). Daraus geht nicht hervor, dass sie Marco S***** bei der Trennung der Cannabisblüten und des Cannabisharzes von Blättern und Stängeln unterstützt hätten.

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) führte zur Aufhebung des Urteils im Schuldspruch B./II./ und demgemäß in den die Angeklagten Markus O*****, Thi T***** und Oana R***** betreffenden Strafaussprüchen.

Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden waren die Angeklagten Markus O*****, Thi T***** und Oana R***** auf die Teilaufhebung des Urteils zu verweisen, desgleichen der Angeklagte Dieter Si***** mit seiner Berufung (§ 290 Abs 1 dritter Satz StPO) und die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung, soweit sie nicht den Angeklagten Marco S***** betrifft und daher dem Oberlandesgericht zukommt (§ 285i StPO).

Die (ausgeführten) Berufungen der Angeklagten Markus O*****, Thi T***** und Oana R***** waren mangels Anmeldung zurückzuweisen (vgl ON 119 S 21; §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0100042).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten Dieter Si***** beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Sie erstreckt sich nicht auf die amtswegige Maßnahme.

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