Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Bruno M***** wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt. Demnach hat er am 22.November 1994 in Wien Berta M***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihr mit einem Messer von zumindest 13 cm (maximal 26 cm) Klingenlänge in den Hals stach, wodurch sie eine (bis zur Wirbelsäule reichende, zumindest 8 cm tiefe - AS 225) Stichwunde mit Durchtrennung des linken Schilddrüsenlappens erlitt.
Die Geschworenen bejahten die Hauptfrage nach dem Verbrechen des versuchten Mordes mehrheitlich mit sechs gegen zwei Stimmen und ließen demzufolge die weiters gestellten (Eventual-)Fragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB) und schwerer Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB) unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 345 Abs 1 Z 6, 8 und 10 a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu, soweit aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund unter Hinweis auf bestimmte Verfahrensergebnisse die Nichtaufnahme einer Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch gemäß § 16 Abs 1 und 2 StGB in das Fragenschema gerügt wird.
Im Sinn der Beschwerdeargumentation trifft es nämlich zu, daß gemäß § 313 StPO eine Zusatzfrage nach einem Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund zu stellen ist, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit des inkriminierten Tatverhaltens ausschließen oder aufheben würden. Nach den insoweit unbestrittenen Verfahrensergebnissen hat aber der Angeklagte im konkreten Fall im Anschluß an die inkriminierte Stichführung gegen die Halsregion im Wege des telefonischen Rettungsnotrufs die (nach der Aktenlage augenscheinlich lebensrettende - 55) operative Behandlung des Tatopfers initiiert. Damit lag aber in Verbindung mit der - soweit bisher ersichtlich - operativen Abwendung der Todesfolge ein in der Hauptverhandlung hervorgekommenes Tatsachensubstrat vor, das hinreichenden Anlaß dafür bot, die nach dem Gesetz (§§ 310 bis 317 StPO) durch entsprechende Fragestellung an die Geschworenen heranzutragende Fallprüfung auch auf die in § 16 StGB geregelte Problematik des Rücktritts vom (hier: Mord-)Versuch auszudehnen. Davon ausgehend wäre der Schwurgerichtshof verhalten gewesen, neben der Hauptfrage (1) in Richtung des Verbrechens des versuchten Mordes und den (hier allerdings in Richtung der Qualifikation nach § 84 Abs 2 Z 1 StGB ergänzungsbedürftigen) Eventualfragen laut Fragenschema auch eine Zusatzfrage zum Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch nach § 16 StGB zu stellen, weshalb in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mit Kassierung des bekämpften Wahrspruchs und des darauf beruhenden Urteils sowie Anordnung der Verfahrenserneuerung vorzugehen war, wobei sich ein Eingehen auf weitere Beschwerdeeinwände erübrigt.
Dementsprechend wird im zweiten Rechtsgang auf eine umfassende Erweiterung der tatsächlichen Beurteilungsgrundlagen zur Rücktrittsproblematik hinzuwirken und dabei insbesondere zu beachten sein:
Sollte das Tatopfer nach dem Tätervorsatz allein durch den wuchtigen Messerstich in die zentrale Halsregion getötet werden und ging der Angeklagte bei der Verständigung der Rettung im Vertrauen auf die letale Intensität seiner Stichführung davon aus, durch die vorgegebene Hilfsbereitschaft die Glaubwürdigkeit seiner Primäreinlassung in Richtung zufälliger Auffindung der (zuvor von einem unbekannten Dritten) Verletzten zu erhöhen (AS 26), scheidet strafaufhebender Rücktritt vom Mordversuch jedenfalls aus. Lag zwar beendeter Versuch vor, weil die letale Folge aus Tätersicht ohne weiteres Zutun erst später (allenfalls durch Verbluten des Opfers) eintreten sollte, und war das weitere Täterverhalten von innerer Abkehr vom ursprünglichen Tötungsvorhaben geleitet, wird in die Prüfung der Frage einzutreten sein, ob die Verständigung der Rettung bei gleichzeitig gezielter Bemäntelung der Verletzungsmodalitäten (Wegschaffen der Tatwaffe, Behauptung der Unkenntnis vom Tathergang) die ärztliche Versorgung der verletzten Frau in dem § 16 Abs 1 StGB entsprechender Weise förderte. Zur Problematik allenfalls unbeendeten Versuchs wird hinsichtlich der Freiwilligkeit der Aufgabe weiterer Aggressionsakte auch zu prüfen sein, ob sich der Angeklagte lediglich wegen der Opferschreie (154, 218) aus (subjektiver) Aussichtslosigkeit späterer Tatbestreitung (unter anfänglicher Verneinung jedweden Tatzusammenhanges) zur Abstandnahme von der weiteren Tatausführung und Verständigung der Rettung entschloß.
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