OGH 12Os78/09a

OGH12Os78/09a2.7.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juli 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Eberwein als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef M***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 20. Jänner 2009, GZ 16 Hv 140/08y-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef M***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1. und 2.) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (3.) schuldig erkannt.

Darnach hat er in der Anzahl nach nicht näher bekannten mehrfachen Angriffen

1. in der Zeit von Sommer 2007 bis 16. oder 17. Juni 2008 in Ungarn mit der am 20. Juli 1995, sohin unmündigen Noemi V***** dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen, nämlich den Oralverkehr unternommen;

2. nach der Rückkehr aus Ungarn ab 16. oder 17. Juni bis 22. September 2008 in Graz mit der genannten Unmündigen dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen, nämlich den Oral- und Analverkehr unternommen;

3. durch die unter 1. und 2. bezeichneten Taten mit der minderjährigen Tochter seiner Lebensgefährtin Aranka V*****, die seiner Aufsicht unterstand, nämlich mit Noemi V***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugen Jörg M***** und Barbara P***** zum Beweis dafür, dass „das Opfer kein altersbezogenes Verhältnis zur Sexualität hat bzw durch Anbieten sogar von sexuellen Diensten immer wieder Aufmerksamkeit und Zuneigung von Personen in ihrem Umfeld zu erreichen versucht" (ON 39 S 23, 27 verso f), Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt. Denn das Schöffengericht hat diese Umstände ohnedies (sogar) ausdrücklich festgestellt (US 7; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 342). Dass es daraus indes bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin Noemi V***** nicht die vom Nichtigkeitswerber (zu seinen Gunsten) gefolgerten Schlüsse gezogen hat, ist aus § 281 Abs 1 StPO unbeachtlich.

Dem Einwand einer Unvollständigkeit der Entscheidungsbegründung (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Schöffengericht, dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend, die Glaubwürdigkeitsbeurteilung der Zeugin Noemi V***** betreffende Verfahrensergebnisse zureichend erörtert und dabei auch - als unbedeutend gewertete - Widersprüche in deren Angaben nicht unberücksichtigt gelassen (US 7).

Die Behauptung einer offenbar unzureichenden Begründung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen (Z 5 vierter Fall) verfehlt die gebotene Ausrichtung an den Entscheidungsgründen und damit am Verfahrensrecht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394), weil das Schöffengericht die in Rede stehenden Urteilsannahmen (logisch und empirisch einwandfrei) nicht allein auf die Angaben der Zeugin Noemi V*****, sondern auch auf molekularbiologisch ausgewertete Spermaspuren auf einem Sessel, das gerichtspsychologische Sachverständigengutachten und schließlich auch auf die Angaben der Zeuginnen Aranka V***** und BI Sandra S***** gestützt hat (US 7 bis 10). Mit eigenständigen Schlussfolgerungen aus isoliert betrachteten, die Möglichkeit der inkriminierten Tatausführung (Schuldspruchpunkt 1./) gar nicht in Frage stellenden Angaben der Zeugin Noemi V***** zur Dauer alleiniger gemeinsamer Aufenthalte mit dem Angeklagten in einem Zimmer bekämpft der Nichtigkeitswerber solcherart bloß nach Art einer gegen kollegialgerichtliche Urteile unstatthaften Schuldberufung die tatrichterliche Beweiswürdigung. Die Rüge unterbliebener Feststellungen zur subjektiven Tatseite (der Sache nach Z 9 lit a) verfehlt die Orientierung am Verfahrensrecht:

Denn sie vernachlässigt die (in Hinsicht auf die konstatierte Absicht der Herbeiführung seiner geschlechtlichen Erregung und Befriedigung sogar überschießenden) Urteilsfeststellungen, wonach der Angeklagte „im Rahmen sämtlicher sexueller Übergriffe [nämlich der an anderer Stelle konstatierten wiederholten Durchführung des Oral- und Analverkehrs], die er allesamt unternahm, um sich geschlechtlich zu erregen und zu befriedigen, das Aufsichts- und Autoritätsverhältnis [gegenüber Noemi V*****] jeweils bewusst für seine sexuellen Übergriffe ausnützte" (US 6).

Mangels Orientierung am Urteilssachverhalt in seiner Gesamtheit verkennt der Nichtigkeitswerber überdies, dass - ungeachtet des Fehlens einer dahingehenden expliziten Feststellung - von den Tatrichtern in Anbetracht des konstatierten Naheverhältnisses zu der in seiner Wohnung lebenden Tochter seiner Lebensgefährtin (US 4) eindeutig ersichtlich auch ein zumindest bedingter Vorsatz des (nach eigenen Angaben über die absolvierten Schulstufen des von ihm überdies an seiner Wohnadresse angemeldeten Kindes informierten, ON 2 S 77, ON 7 S 7) Angeklagten zum tataktuell durchwegs unmündigen Alter des Mädchens angenommen wurde (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19; RIS-Justiz RS0117228).

Die subjektive Tatseite erschlossen die Tatrichter - der auch in dieser Hinsicht nicht an den Entscheidungsgründen ausgerichteten Behauptung einer offenbar unzureichenden Begründung zuwider - nicht schlechthin „aus der allgemeinen Lebenserfahrung", sondern aufgrund dieses Beurteilungsmaßstabes aus dem objektiven Tatvorgehen (US 8). Dies jedenfalls mängelfrei, weil der Schluss von einem gezeigten (äußeren) Verhalten auf ein zu Grunde liegendes Wollen oder Wissen (aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit) ohne weiters rechtsstaatlich vertretbar, bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen ist (vgl RIS-Justiz RS0098671). Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall), die nur im Fall einer unrichtigen oder unvollständigen Wiedergabe des eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhaltes einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen im Urteil vorliegt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467), wird mit der Behauptung eines „Widerspruches" zwischen der (gar keine entscheidenden Tatsachen betreffenden) Urteilsfeststellung der Anfertigung von Fotos vom Genitalbereich des Mädchens durch den Angeklagten und Verfahrensergebnissen zu deren zeitlicher Herstellung nicht geltend gemacht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 468). Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag auf der Aktengrundlage keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldsprüchen zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen hervorzurufen. Mit der isolierten Heranziehung einer einzelnen Aussage des gerichtspsychologischen Sachverständigen verfehlt sie das zur prozessförmigen Darstellung erforderliche Maßnehmen der ins Treffen geführten aktenkundigen Beweismittel an der Gesamtheit der beweiswürdigenden Erwägungen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487). Mit der Rüge einer Vernachlässigung der Pflicht des Erstgerichts zu amtswegiger Wahrheitsforschung durch Unterbleiben der Aufnahme von Beweismitteln „zur subjektiven Tatseite" und Einholung eines Gutachtens über das Vorhandensein von Spuren des Mädchens auf dem (nach den Verfahrensergebnissen mit Spermaspuren des Angeklagten kontaminierten) Sessel unterlässt es der Beschwerdeführer darzulegen, wodurch er an der Ausübung seines Rechtes, die vermissten Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert war (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480; RIS-Justiz RS0115823). In zuletzt genannter Hinsicht kann nicht unerwähnt bleiben, dass nach der Aktenlage der in Rede stehende Sessel überhaupt erst durch Agnoszierung seitens des Mädchens bekannt und aufgefunden wurde (ON 23 S 7, ON 39 S 19 f).

Die Rüge eines Fehlens von Feststellungen zum unmündigen Alter des in den Entscheidungsgründen bloß als minderjährig bezeichneten Mädchens zu den Tatzeitpunkten (nominell Z 9 lit a und Z 10, der Sache nach mit Blick auf die davon unberührt bleibenden Schuldsprüche wegen § 212 Abs 1 Z 2 StGB nur Z 10) verkennt, dass zur Verdeutlichung der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) heranzuziehen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584), vernachlässigt damit die darin enthaltene Benennung des Geburtsdatums des Mädchens (20. Juli 1995; US 2) und verfehlt solcherart mangels der gebotenen Orientierung an den Urteilsannahmen in ihrer Gesamtheit die Ausrichtung am Verfahrensrecht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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