OGH 12Os78/00

OGH12Os78/0014.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Krüger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Erwin S***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 19 Vr 557/00 des Landesgerichtes Linz, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Beschwerdegericht vom 20. April 2000, AZ 9 Bs 409/00, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Beschwerdegericht vom 20. April 2000, AZ 9 Bs 409/00, verletzt insoweit das Gesetz in der Bestimmung des § 114 Abs 4 StPO, als in der Begründung die Rechtsansicht vertreten wird, dem Beschwerdegericht sei die zusätzliche Heranziehung eines weiteren Haftgrundes bzw ein Austausch der Haftgründe anlässlich einer lediglich vom Angeklagten erhobenen Beschwerde im Hinblick auf das Verschlimmerungsverbot verwehrt.

Text

Gründe:

Im Verfahren AZ 19 Vr 557/00 des Landesgerichtes Linz gegen Erwin S***** wegen §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung wurde von der Untersuchungsrichterin die über den Beschuldigten verhängte Untersuchungshaft mit Beschluss vom 4. April 2000 aus dem Haftgrund des § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO fortgesetzt (ON 11).

Der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde des Erwin S***** gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 20. April 2000, AZ 9 Bs 409/00, nicht Folge und verfügte die Fortsetzung der Untersuchungshaft. Das Beschwerdegericht bejahte das Vorliegen sowohl des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO als auch jenes der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO, nahm aber von einer Heranziehung dieses weiteren Haftgrundes Abstand, weil ihm - so die dazu konkretisierte Begründung - die zusätzliche Annahme eines Haftgrundes bzw ein Austausch der Haftgründe anlässlich einer lediglich vom Angeklagten erhobenen Beschwerde im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius verwehrt sei.

Rechtliche Beurteilung

Diese Rechtsauffassung des Oberlandesgerichtes Linz steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Zwar trifft es zu, dass gemäß § 114 Abs 4 StPO der Gerichtshof zweiter Instanz bei der Entscheidung über Beschwerden niemals zum Nachteil des Beschuldigten Verfügungen oder Beschlüsse ändern darf, gegen die nicht Beschwerde geführt wird. Aus dieser Regelung kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass sich ein solches Verbot auch auf die Entscheidungsbegründung bezieht; vielmehr kann das Beschwerdegericht die Ablehnung eines Rechtsmittels des Beschuldigten auch auf eine Begründung stützen, die für den Beschuldigten nachteiligere Erwägungen enthält, als in den erstgerichtlichen Entscheidungsgründen ausgesprochen wurden.

Da die Anführung des Haftgrundes - und zwar auch dann, wenn sie im Spruch erfolgt - zur Entscheidungsbegründung zählt, ist das zur umfassenden amtswegigen Überprüfung verpflichtete Beschwerdegericht befugt, sich gegenüber der Entscheidung erster Instanz auf andere oder auch auf zusätzliche Gründe zu stützen (vgl Hager/Holzweber GRBG § 2 E 76).

Die rechtlich verfehlte Entscheidungsbegründung des Beschwerdegerichtes gereicht dem Angeklagten nicht zum Nachteil, weshalb es mit der bloßen Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden hat.

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