OGH 12Os76/81

OGH12Os76/8116.7.1981

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Juli 1981 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Garai als Schriftführer in der Strafsache gegen Wilhelm A wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB.

und einer anderen strafbaren Handlung über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 18.Februar 1981, GZ. 11 Vr 82/81-28, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Clemens Vondrak und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Karollus, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, welches im Punkt 1

des Schuldspruches aufrecht bleibt, im Punkt 2 des Schuldspruches betreffend das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z. 4 StGB.

sowie im Ausspruch über die Strafe aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 15.Juli 1950 geborene Fliesenleger Wilhelm A des Vergehens des (versuchten) Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB. und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z. 4 StGB.

schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last, am 7.Juli 1980 in Graz vorsätzlich 1.) einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Absonderung des Angeklagten, zu hindern versucht zu haben, indem er den Revierinspektor Walter B des kreisgerichtlichen Gefangenenhauses Leoben, der ihn in den Absonderungsraum bringen wollte, schlug und trat;

2.) durch die zu Punkt 1) angeführte Handlung einen Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzt zu haben (Hämatom an der linken Schläfe und Prellung des Rippenbogens). Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte Wilhelm A mit seiner auf die Nichtigkeitsgründe der Ziffern 4, 5, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Der Strafausspruch wird mit Berufung angefochten.

Als Verfahrensmangel im Sinne des erstangeführten Nichtigkeitsgrundes rügt der Beschwerdeführer die Abweisung des in der Hauptverhandlung von seiner Verteidigerin gestellten Antrages, den im Zuhörerraum sitzenden Zeugen Walter B aus dem Verhandlungssaal zu schicken, da eine Gegenüberstellung notwendig sei. Die Ablehnung des Beweisantrages erfolgte mit der Begründung, daß der Zeuge bereits vernommen und entlassen wurde (Seite 107 d. A.).

Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, daß wegen der sich bereits nach der Vernehmung des Zeugen Walter B deutlich abzuzeichnen beginnenden erheblichen Widersprüche eine Gegenüberstellung der Zeugen erforderlich gewesen wäre, da mit Sicherheit anzunehmen sei, daß sich die Zeugen im Fall einer Gegenüberstellung in noch weitere Widersprüche verwickelt haben würden, die - zumindest im Zweifel - seinen Freispruch zur Folge gehabt hätten.

Rechtliche Beurteilung

Der behauptete Verfahrensmangel ist jedoch nicht gegeben. Aus dem Antrag geht weder hervor, welche Personen einander gegenübergestellt werden sollten, noch aus welchen Gründen eine Gegenüberstellung als erforderlich erachtet wird. Eine Gegenüberstellung ist von der Verteidigung konkret auch gar nicht beantragt worden. Davon abgesehen hatte der Zeuge Walter B, gerade wenn er sich im Verhandlungssaal aufhielt, keine Gelegenheit, sich mit nach ihm noch zu vernehmenden Zeugen zu verständigen, noch konnte er durch seine Anwesenheit seiner Darstellung widersprechende Angaben anderer Zeugen verhindern und die Möglichkeit einer ergänzenden Befragung des Zeugen B - von der übrigens gar kein Gebrauch gemacht worden ist - wäre der Verteidigung auf jeden Fall unbenommen gewesen.

Begründungs- und Feststellungsmängel im Sinne der Ziffern 5 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO. erblickt der Beschwerdeführer darin, daß vom Erstgericht weder aus dem Konsum von drei Flaschen Bier innerhalb kurzer Zeit vor dem Einrücken ins Gefangenenhaus noch aus den zahlreichen eigenen Verletzungen des Angeklagten Konsequenzen gezogen worden seien, obwohl der Alkoholgenuß zumindest die Annahme eines Milderungsgrundes, unter den gegebenen Umständen aber sogar die Annahme der Zurechnungsunfähigkeit rechtfertigen würde und aus seinen - zu jenen des Zeugen B in keinem Verhältnis stehenden - Verletzungen sich zudem ergebe, daß der Angeklagte in Notwehr gehandelt habe.

Auch diese Rügen halten einer Überprüfung nicht stand. Für die Annahme einer Volltrunkenheit des Angeklagten im Tatzeitpunkt bieten die Ergebnisse des Beweisverfahrens keine konkreten Anhaltspunkte. Der Angeklagte hat sich selbst gar nicht in dieser Richtung verantwortet, sondern sich lediglich als 'alkoholisiert' bzw. 'gut aufgelegt' bezeichnet (Seiten 23 und 102 d.A.), womit die Urteilsannahme, daß der Angeklagte (nach Wahrnehmung des Justizwachebeamten B) 'angeheitert' gewesen ist (Seite 117 d.A.), durchaus in Einklang steht.

Notwehr (§ 3 StGB.) scheidet schon darum aus, weil nach den mit den Ergebnissen des Beweisverfahrens auch insofern übereinstimmenden Urteilsfeststellungen davon keine Rede sein kann, daß der Angeklagte etwa gegen den Justizwachebeamten deshalb tätlich geworden wäre, um einen - tatsächlich oder auch nur vermeintlich - rechtswidrigen Angriff von sich abzuwehren. Auch der - vom Beschwerdeführer gar nicht geltend gemachte - Rechtfertigungsgrund des § 269 Abs 4 StGB. kommt dem Angeklagten nicht zustatten. Was aber die Verletzungen des Angeklagten anlangt, so ergibt sich aus den Gründen des angefochtenen Urteils, daß der Angeklagte sich wiederholt zu Boden hat fallen lassen und sich selbst mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen und dadurch verletzt hat (Seiten 118-119 d.A.). Im Zusammenhang mit dem Schuldspruch wegen (versuchten) Widerstandes gegen die Staatsgewalt ist dem Erstgericht somit weder ein Begründungsmangel noch ein Feststellungsmangel unterlaufen. Dagegen erweist sich die Beschwerde insoweit als begründet, als der Angeklagte sich unter Anrufung des Nichtigkeitsgrundes der Z. 10 des § 281 Abs 1 StPO.

gegen seinen Schuldspruch (auch) wegen Vergehens der schweren Körperverletzung (Punkt 2 des Urteilssatzes) wendet. Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, daß der ihm zur Last gelegte Tatbestand der schweren Körperverletzung nach §§ 83 (Abs 1 oder Abs 2), 84 Abs 2 Z. 4 StGB. (zumindest) Mißhandlungsvorsatz erfordert. Daher erfüllt nicht jede einem Beamten im Zuge ausgeübten Widerstandes (§ 269 StGB.) zugefügte körperliche Beschädigung diesen Tatbestand. Konkurrenz von (schwerer) Körperverletzung mit Widerstand gegen die Staatsgewalt setzt vielmehr voraus, daß der Täter bei der Zufügung der im Zuge seines Widerstandes erfolgten Verletzung des Beamten mit bezüglichem Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz im Sinne des § 83 Abs 1 bzw. Abs 2 StGB. handelt (EvBl.

1976/120; siehe auch Leukauf-Steininger, Kommentar zum Strafgesetzbuch2, RN. 32 zu § 269).

Das Vorliegen eines solchen Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatzes wurde vom Erstgericht nicht ausdrücklich festgestellt. Ein derartiger Vorsatz kann auch den Urteilsfeststellungen, denenzufolge der Angeklagte sich durch Schläge und Tritte seiner Absonderung widersetzt und hiebei dem Revierinspektor Walter B leichte Verletzungen zugefügt hat (S. 121 d.A.), nicht eindeutig entnommen werden.

Der auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 10 des § 281 Abs 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war

somit aus dem Nichtigkeitsgrund der Z. 9

lit a des § 281 Abs 1 StPO. Folge zu geben (zur Frage, ob der Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit a oder 10 des § 281 Abs 1 StPO. bei Idealkonkurrenz in Betracht kommt, Foregger-Serini, StPO., Anm. zu § 281 Abs 1 Z. 9 lit a, Mayerhofer-Rieder, Das österreichische Strafrecht, 2. Teil E.Nr. 33 f. zu § 281 Z. 9 lit a StPO.). Denn es wurde ein Umstand (der Vorsatz), der für die rechtliche Beurteilung der Tat wesentlich ist, nicht festgestellt. Das erstinstanzliche Urteil, das im Punkt 1 des Schuldspruches aufrecht bleibt, war daher im Punkt 2 des Schuldspruches betreffend das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z. 4 StGB. sowie im Ausspruch über die Strafe aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z. 3

2. Satz StPO. die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Gerichtshof erster Instanz zurückzuverweisen.

Da das Gesetz (§ 285 StPO.) nur eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde vorsieht, war der vom Angeklagten persönlich geschriebene und unterfertigte Zusatz zur Nichtigkeitsbeschwerde vom 10. Mai 1981 (S. 149) unbeachtlich.

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