European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131387
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im den Angeklagten Selman B* betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten Selman B* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche weiterer Angeklagter sowie einen Freispruch enthält, wurde Selman B*mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II.2.a., b. und c.) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in S* und andernorts
II.2. andere mit zumindest einer Verletzung am Körper (US 7, 9 und 10) gefährlich bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar
a. am 23. Februar 2020 Peter E* und Kim K* durch die Äußerung, er werde sie umbringen;
b. am 24. Februar 2020 Kim K*, Peter E* und Daniel E* durch die Äußerung, er werde Kim K* und die „E*‑Familie“ umbringen;
c. am 23. Februar 2020 Peter E* durch die gegenüber Kim K* getätigte Äußerung, er werde diesen mit zwei Fingern zerquetschen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Ausschließlich gegen den Strafausspruch betreffend den Angeklagten Selman B* richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
[4] Zutreffend zeigt die Anklagebehörde auf, dass das Schöffengericht seine Strafbefugnis überschritten hat (Z 11 erster Fall), indem es nicht von dem nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB um die Hälfte erhöhten Strafrahmen ausgegangen ist.
[5] § 39 StGB (in der seit 1. Jänner 2020 geltenden Fassung des Gewaltschutzgesetzes 2019) normiert die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen sich das Höchstmaß der angedrohten Strafe (zwingend) um die Hälfte erhöht, und demzufolge bei qualifiziertem Rückfall – anders als die Vorgängerbestimmung des § 39 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2019/105 – einen stets anzuwendenden erweiterten Strafrahmen (vgl 12 Os 97/20m).
[6] Das Erstgericht ging vorliegend bei der Strafbemessung ausdrücklich „vom relevanten Strafrahmen des § 107 Abs 1 StGB, der eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen vorsieht“, aus (US 13).
[7] Nach den maßgeblichen Urteilsfeststellungen zum Vorleben des Angeklagten Selman B* (US 5) wurde dieser zuletzt mit Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 27. November 2015, AZ 30 Hv 24/15h, wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt, welche bis 15. Dezember 2016 vollzogen wurde. Zuvor war er unter anderem mit Urteilen des Landesgerichts Salzburg vom 28. Februar 2013, AZ 61 Hv 59/12y, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen zu einer bis 9. Juli 2013 vollzogenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten und vom 24. November 2014, AZ 30 Hv 92/14a, wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, die er bis 5. August 2015 verbüßte, verurteilt worden.
[8] Da der letzte Vollzug einer Freiheitsstrafe bis 15. Dezember 2016 erfolgte, ist bis zur Tatbegehung am 23. und am 24. Februar 2020 auf Grundlage der Urteilsfeststellungen keine Rückfallsverjährung (§ 39 Abs 2 StGB) eingetreten.
[9] Zu Recht kritisiert daher die Sanktionsrüge, dass das Schöffengericht rechtsirrig die Anwendbarkeit des § 39 StGB nicht beachtet hat. Die Nichtanwendung von § 39 Abs 1a StGB (als gegenüber Abs 1 leg cit speziellerer Norm) bewirkt Nichtigkeit des Selman B* betreffenden Strafausspruchs (Z 11 erster Fall; jüngst 12 Os 97/20m) und macht – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – dessen Aufhebung erforderlich. Da der Angeklagte (entschuldigt) zum Gerichtstag nicht erschienen ist, wird das Landesgericht Salzburg die Strafe neu zu bemessen haben.
[10] Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass – von der Staatsanwaltschaft nicht releviert – auch der Strafausspruch zum Angeklagten Peter E* mit Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 StPO behaftet ist, weil von den Tatrichtern bei der Sanktionsfindung in Ansehung dieses Angeklagten die die Strafuntergrenze zwingend erhöhende (vgl Flora in WK2 StGB § 39a Rz 1, 19) Bestimmung des § 39a Abs 1 Z 4 StGB nicht beachtet wurde (US 13: „Ausgehend vom relevanten Strafrahmen des § 87 Abs 1 StGB, der eine Freiheitsstrafe in der Dauer von einem bis zu zehn Jahren vorsieht, …“). Nach § 39a Abs 1 Z 4 StGB kommt es zu einer Änderung des Strafrahmens, wenn der Täter die Tat unter Einsatz oder Drohung mit einer Waffe begeht. In einem solchen Fall tritt an die Stelle der Androhung einer Freiheitsstrafe, deren Mindestmaß ein Jahr beträgt, die Androhung eines Mindestmaßes von zwei Jahren Freiheitsstrafe (§ 39a Abs 2 Z 4 StGB). Da der Angeklagte Peter E* das ihm zur Last gelegte Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (I./) am 23. Februar 2020 unter Einsatz einer CO2‑Pistole (siehe dazu Eder‑Rieder in WK2 StGB § 143 Rz 18) beging, liegen die Voraussetzungen des § 39a Abs 1 Z 4 StGB vor. Die Berücksichtigung dieses Umstands bloß als Erschwerungsgrund (US 12) erweist sich folglich als rechtlich verfehlt (zum Verhältnis von § 33 Abs 2 StGB und § 39a StGB vgl Flora in WK2 StGB § 39a Rz 15; siehe auch den Einführungserlass BMVRDJ‑S318.040/0016-IV 1/2019 S 15), bietet jedoch – als dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichend – keinen Anlass zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
[11] Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung zu verweisen.
[12] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)