Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Linz vom 19. Juni 1986, GZ 22 E Vr 98/84-43, wurde Maximilian F*** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe
1. im Mai 1980 in Perg seinem damals 7-jährigen Sohn Markus F*** körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem er das Kind, das nach einer Schularbeit die Unterschrift des Vaters (richtig: jener der Mutter) gefälscht hatte, im Keller mit einer Wäscheleine an den Händen fesselte, in diesem Zustand an einem Mauerhaken hochzuziehen versuchte und in der Folge mit einem 50 cm langen Bambusrohr schlug, ihm sodann mit der Schere eine Glatze schnitt und es mit den Worten, "So schauen die Verbrecher im Landesgericht Linz aus" vor den Spiegel stellte und schließlich dem Gespött seiner Mitschüler preisgab;
2. am 29.Juni 1983 in Linz seine geschiedene Gattin Elke F*** (nunmehr verehelichte L***) durch die in einem Schreiben an ihren damaligen Lebensgefährten Wolfgang L*** gerichtete Äußerung "Sollte mir aus dieser Anzeige nun ein Nachteil erwachsen, werde ich gegen Elke F*** mit den gleichen Mitteln vorgehen, und Sie können sicher sein, daß auch sie ihre wunden Punkte hat, bei deren Bekanntwerden Sie nicht nur beruflich, sondern auch gesellschaftlich in Perg erledigt wären" gefährlich mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz und der gesellschaftlichen Stellung bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und er habe hiedurch zu 1. das Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen nach § 92 Abs. 1 StGB und zu 2. das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Der dagegen von der Staatsanwaltschaft erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht Linz mit Entscheidung vom 24.Oktober 1986, AZ 11 Bs 194/86 (= ON 52), nicht Folge.
Nach Ansicht der Generalprokuratur stehen sowohl das Ersturteil als auch die Entscheidung des Berufungsgerichtes, was den Freispruch vom Vorwurf des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen betrifft, insoweit mit der Bestimmung des § 92 Abs. 1 StGB nicht im Einklang, als in deren Begründung auch ausgesprochen werde, daß das festgestellte Tatverhalten des Angeklagten schon objektiv nicht als - zumindest versuchte - Zufügung seelischer Qualen zu werten ist. In ihrer deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes hat sie hiezu ua ausgeführt:
"Nach den vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachenfeststellungen war der Angeklagte Maximilian F*** am 22.Mai 1980 von seiner damaligen Gattin Elke darüber in Kenntnis gesetzt worden, daß sein Sohn Markus F*** aus Angst vor Bestrafung wegen einer schlechten Note in einem Schulheft zweimal die Unterschrift seiner Mutter gefälscht hatte. Der Angeklagte, der mit der Erziehung seines Sohnes Schwierigkeiten hatte und nicht zuletzt deshalb nur schwer Zugang zu ihm fand, entschloß sich, diesen Vorfall zum Anlaß zu nehmen, ihn zu bestrafen. Er forderte seinen Sohn auf, mit ihm in den im Keller gelegenen Trockenraum zu gehen, wo er mit einem etwa 1 m langen und 1 cm dicken Bambusstab auf ihn einzuschlagen begann. Als der Knabe versuchte, die Schläge abzuwehren, band ihm der Angeklagte, die Hände mit einer Wäscheleine am Rücken zusammen, legte die Leine über einen Mauerhaken und hinderte seinen Sohn an Abwehrbewegungen, indem er an der Wäscheleine zog, was ein Hochziehen beider Arme mit einer etwas gekrümmten Körperhaltung zur Folge hatte. Durch das Schreien des Kindes kam die Mutter ebenfalls in die Kellerräumlichkeiten, um dem Treiben ihres Mannes ein Ende zu setzen. Im Anschluß daran befahl der Angeklagte seinem Sohn, im Wohnzimmer Platz zu nehmen, wo er ihm mit einer Haushaltsschere den Großteil der Haare bis zum Ansatz wegschnitt, worauf die Mutter dann die Haare gänzlich bis zur Kopfhaut beseitigte. Schließlich befahl der Angeklagte seinem Sohn, sich im Vorraum vor einen Spiegel zu stellen und meinte: "So schauen die Verbrecher im Landesgericht Linz aus !". Dieser Vorfall wurde den Sicherheitsbehörden erst auf Grund der Angaben der nunmehr geschiedenen Gattin des Angeklagten Elke L***, anläßlich ihrer Einvernahme am 18.Februar 1983 vor dem Gendarmeriepostenkommando Perg wegen der dem Angeklagten weiters angelasteten gefährlichen Drohung bekannt.
Sowohl der Einzelrichter des Landesgerichtes Linz als auch das Oberlandesgericht Linz erachteten den Tatbestand des Quälens eines Unmündigen schon objektiv als nicht erfüllt, weil durch die Tat des Angeklagten mangels einer damit verbundenen langdauernden, sehr erheblichen Beeinträchtigung des Wohlbefindens dem Mißhandelten keine körperlichen oder seelischen Qualen im Sinne des § 92 Abs. 1 StGB zugefügt worden seien. Zudem gingen die Gerichte (im Zweifel) davon aus, daß dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden könne, mit seiner Handlungsweise einhergehende körperliche oder seelische Qualen seines Sohnes ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden zu haben.
Die Urteile des Einzelrichters des Landesgerichtes Linz vom 19. Juni 1986 und des Oberlandesgerichtes Linz vom 24.Oktober 1986 stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Der erste Deliktsfall des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens eines Unmündigen, Jugendlichen oder Wehrlosen nach § 92 Abs. 1 StGB setzt voraus, daß einem anderen, der der Fürsorge oder Obhut des Täters untersteht und der das 18.Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder Schwachsinn wehrlos ist, körperliche oder seelische Qualen zugefügt werden. Im Unterschied zu den §§ 84 Abs. 2 Z 3, 99 Abs. 2 (zweiter Fall) und 106 Abs. 1 Z 2 StGB muß bei diesem Tatbestand weder die Tat mit besonderen Qualen des Tatopfers einhergehen oder solche zur Folge haben, noch muß der Schutzbedürftige in einen qualvollen Zustand versetzt werden (vgl Mayerhofer-Rieder, I2, Anm 3 zu § 92 StGB). Unter Qualen sich Schmerzen, Leiden oder Angstzustände zu verstehen, die wegen ihrer beträchtlichen Intensität oder weil sie einen gewissen Zeitraum andauern oder sich wiederholen, mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens verbunden sind (vgl JBl 1987, 259; EvBl 1984/59). Der Begriff des Quälens verlangt daher, daß das Tatopfer wesentlich über die mit Mißhandlungen gewöhnlich verbundene Schmerzintensität oder Schmerzdauer hinaus physisch oder psychisch schwer getroffen ist, setzt jedoch - anders als die oben angeführten Deliktsqualifikationen - weder Auswirkungen von außergewöhnlicher Intensität noch ein längerdauerndes Anhalten der nachteiligen körperlichen oder seelischen Folgen voraus.
Demgemäß kommt es im vorliegenden Fall auf das Zeitmoment nicht entscheidend an. Wenngleich das Erstgericht die Dauer der vom Angeklagten vorgenommenen Züchtigungshandlungen nicht feststellen konnte, folgt aber schon aus dem Tatablauf mit seinen verschiedenen Phasen, daß der mit der Handlungsweise des Angeklagten verbundene peinvolle Zustand, in den der damals siebenjährige Markus F*** durch das Fesseln der Hände am Rücken, das versuchte Hochziehen des Körpers an einem Mauerhaken und das nachfolgende (neuerliche) Schlagen mit einem Bambusstock versetzt worden war, nicht bloß von ganz kurzer Dauer gewesen sein kann, sondern eine gewisse Zeitspanne angehalten haben muß. Zudem sind für die Annahme von Qualen neben den körperlichen Mißhandlungen als solchen auch die dadurch hervorgerufene psychische Verfassung des Opfers und dessen Erwartungen in der gegebenen Situation von Bedeutung (vgl ÖJZ-LSK 1978/44). Insoweit kann nicht bezweifelt werden, daß in der Vorgangsweise des Angeklagten, weit über das bei Mißhandlungen im allgemeinen eintretende Ausmaß, eine intensive Einwirkung auf die Psyche des 7-jährigen Markus F*** gelegen gewesen ist, die zu einem schweren und für das Kind schädlichen Angstzustand führen konnte. Die Bewertung des Gesamtverhaltens des Angeklagten und von dessen Auswirkungen auf einen siebenjährigen Knaben ergibt - konform mit der vom gerichtsmedizinischen Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Gerhard K*** vertretenen Auffassung - auch in rechtlicher Hinsicht, daß das inkriminierte Tun - objektiv betrachtet - geeignet gewesen ist, dem Tatopfer seelische Qualen im Sinne des § 92 Abs. 1 StGB zu bereiten. Selbst wenn also, was von den Gerichten zumindest nicht ausgeschlossen worden ist, Markus F***, abweichend von einem Durchschnittsmenschen seines Alters, seelische Qualen nicht empfunden haben sollte, könnte die Vorgangsweise des Angeklagten als dem Tatbild des § 92 Abs. 1 StGB entsprechende Ausführungshandlungen nach ihrer objektiven Gestaltung durchaus einen Versuch des betreffenden Vergehens i.S. der §§ 15, 92 Abs. 1 StGB darstellen.
Soweit demnach vom Landesgericht Linz und vom Oberlandesgericht Linz nicht bloß mangels Erweisbarkeit eines auf Zufügung körperlicher oder seelischer Qualen gerichteten Tatvorsatzes des Angeklagten die Schuldfrage verneint, sondern auch die Rechtsmeinung vertreten worden ist, daß im Hinblick auf das Fehlen von Verletzungen des Markus F*** und die kurze Dauer der Mißhandlungen (von nicht außergewöhnlicher Intensität) schon das äußere Verhalten des Angeklagten nicht den im § 92 Abs. 1 StGB für die Tathandlung normierten Voraussetzungen entsprochen habe, verstoßen deren Entscheidungen in ihrer Begründung gegen das Gesetz."
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Generalprokuratur ist darin beizupflichten, daß der Tatbestand des § 92 Abs. 1 StGB weder die Zufügung besonderer Qualen noch die Herbeiführung eines qualvollen Zustands erfordert, sondern (bloß) darauf abstellt, daß der Täter dem Tatopfer "körperliche oder seelische Qualen" zufügt, worunter Schmerzen, Leiden oder Angstzustände zu verstehen sind, die wegen ihrer beträchtlichen Intensität oder weil sie einen gewissen Zeitraum andauern oder sich wiederholen, mit einer erheblichen Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens des Betroffenen verbunden sind. Von eben dieser Rechtsansicht sind aber auch der Einzelrichter des Landesgerichtes Linz und das Oberlandesgericht Linz ausgegangen (vgl S 468 und S 523). Daß beide Gerichtsinstanzen - wie dies die Nichtigkeitsbeschwerde an einer Stelle vermeint - die Auffassung vertreten hätten, es bedürfe zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 92 Abs. 1 StGB der Zufügung einer "langdauernden...Beeinträchtigung des Wohlbefindens", kann ihren Urteilen nicht entnommen werden (vgl S 468, 469 sowie S 523). In tatsächlicher Beziehung (und damit einer Überprüfung im Wege einer Beschwerde gemäß § 33 Abs. 2 StGB entrückt) gelangte der Einzelrichter zur Überzeugung, daß (gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. K***) körperliche Qualen für Markus F*** nicht entstanden sind (S 462 und 468) und daß die Dauer der inkriminierten Einwirkung auf Markus F*** nicht festgestellt werden könne; es könne sich um nur wenige Augenblicke bis zu einigen Minuten gehandelt haben (S 462); ob daher die auf der äußeren Tatseite geforderte länger fortdauernde (sehr erhebliche) Beeinträchtigung des Wohlbefindens des Markus F*** vorlag, erscheine zumindest zweifelhaft (S 469) und es könne nicht festgestellt werden, ob das Verbringen des Genannten in den Keller, das Fesseln der Hände und das Verabreichen von Schlägen seelische Qualen herbeigeführt hat (S 462 unten/463 oben). Damit hat aber der Einzelrichter - liest man sein Urteil im Zusammenhang - weder verneint, daß die Vorgangsweise des Angeklagten (objektiv) zu seelischen Qualen seines Sohnes führen "konnte", noch ausgesprochen, daß sie hiezu (objektiv) nicht "geeignet" gewesen wäre; er hat vielmehr lediglich konstatiert, daß sie im konkreten Fall nicht mit Sicherheit zu jener Beeinträchtigung des (psychischen) Wohlbefindens des Markus F*** geführt hat, auf welche § 92 Abs. 1 StGB abstellt (S 463).
Demnach ist nicht erkennbar, daß der Einzelrichter des Landesgerichtes Linz bei der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts, soweit es den objektiven Tatbestand des in Rede stehenden Vergehens betrifft, von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen wäre; die tatsächlichen Prämissen für seine Beurteilung sind aber - wie gesagt - einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht zugänglich.
Da der Einzelrichter den subjektiven Tatbestand des § 92 Abs. 1 StGB nicht als erwiesen ansah, mithin implizite damit auch einen Entschluß des Angeklagten, das bezeichnete Vergehen zu begehen, verneinte, bedurfte es der nur unter dem Aspekt eines Deliktsversuchs aktuellen Erörterung der Frage, ob das Verhalten des Angeklagten objektiv geeignet war, bei einem Durchschnittsmenschen im Alter des Markus F*** seelische Qualen herbeizuführen, nicht.
Aber auch das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht hat in der Begründung seiner (den Freispruch bestätigenden) Entscheidung (S 511 f) nicht zum Ausdruck gebracht, daß es an der Verwirklichung des objektiven Tatbestands des Vergehens nach § 92 Abs. 1 StGB (schlechthin) mangle. Es hat vielmehr nach Wiedergabe des in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachtens (über die konkrete Möglichkeit der Verursachung von körperlichen und seelischen Qualen) und der (bereits oben wiedergegebenen) Ausführungen des Erstgerichtes zur objektiven Tatseite sowie dessen Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (lediglich) ausgesprochen, daß "ausgehend von diesen Feststellungen...dem Einzelrichter bei seinem Freispruch kein Rechtsirrtum unterlaufen" ist (S 525). Damit hat es den Freispruch als solchen als rechtsirrtumsfrei beurteilt. Den Begründungen der bekämpften Urteile haften demnach die reklamierten Gesetzwidrigkeiten nicht an, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen war.
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