OGH 12Os67/19y

OGH12Os67/19y27.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen Aleksandar N***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB (aF), AZ 153 Hv 39/12w des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 15. Jänner 2019, GZ 153 Hv 39/12w‑219, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Verurteilten und seines Verteidigers Dr. Alexander Philipp zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00067.19Y.0627.000

 

Spruch:

 

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Jänner 2019, GZ 153 Hv 39/12w‑219, verletzt in der Zurückweisung des Antrags auf nachträgliche Strafmilderung hinsichtlich der mit Urteil dieses Gerichts vom 4. Mai 2012, GZ 153 Hv 39/12w‑107, verhängten Sanktion § 410 Abs 1 StPO.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieser Beschluss aufgehoben und es wird dem Landesgericht für Strafsachen Wien eine neue Entscheidung aufgetragen.

 

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. Mai 2012, GZ 153 Hv 39/12w‑107, wurde Aleksandar N***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB (aF) schuldig erkannt und hierfür zu einer (Zusatz‑)Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, deren Vollzug unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde (ON 107; ON 218 S 2).

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Juli 2012, AZ 65 Hv 32/12v, wurde der Genannte wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (aF) zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollzug unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde (ON 218 S 2).

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. April 2014, AZ 111 Hv 41/14h, wurde Aleksandar N***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB (aF) schuldig erkannt und hierfür zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Unter einem wurde vom Widerruf der gewährten bedingten Strafnachsicht zu AZ 153 Hv 39/12w des Landesgerichts für Strafsachen Wien abgesehen, jedoch die dort bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert (ON 152; ON 218 S 2). Aus dem Vollzug dieser Freiheitsstrafe wurde Aleksandar N***** mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 2. Mai 2016, AZ 822 BE 75/16z, am 6. Mai 2016 unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt entlassen (ON 218 S 3).

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23. Oktober 2017, AZ 55 Hv 91/17d, wurde Aleksandar N***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15, 12 zweiter Fall StGB sowie der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB schuldig erkannt und hierfür zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Unter einem wurde die jeweils gewährte bedingte Strafnachsicht zu den beim Landesgericht für Strafsachen Wien geführten Verfahren AZ 153 Hv 39/12w und AZ 65 Hv 32/12w widerrufen und vom Widerruf der zu AZ 822 BE 75/16z des Landesgerichts Korneuburg gewährten bedingten Entlassung unter Probezeitverlängerung auf fünf Jahre abgesehen (ON 215; ON 218 S 2 f).

Am 24. September 2018 begehrte der in der Justizanstalt Graz‑Karlau inhaftierte Verurteilte – gleichlautend für die (jeweils beim Landesgericht für Strafsachen Wien geführten) Verfahren AZ 153 Hv 39/12w, AZ 65 Hv 32/12v und AZ 55 Hv 91/17d – eine nachträgliche Strafmilderung gemäß § 31a StGB mit dem Ziel der Gewährung (neuerlicher) bedingter Nachsicht der über ihn verhängten Sanktionen, zumal er – seiner Ansicht nach – bereits ein hinreichendes Strafübel erfahren habe (ON 217).

Der für das Verfahren AZ 153 Hv 39/12w des Landesgerichts für Strafsachen Wien zuständige Richter wies das Begehren mit Beschluss vom 15. Jänner 2019, GZ 153 Hv 39/12w-219, zurück, weil „der Widerruf der im Verfahren 153 Hv 39/12w ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht gemäß § 494a StPO mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu 55 Hv 91/17d erfolgte“, weshalb „das Landesgericht für Strafsachen Wien im Verfahren 153 Hv 39/12w für diesen Antrag nicht zuständig“ sei.

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Zur Entscheidung über die nachträgliche Strafmilderung nach § 31a Abs 1 StGB ist gemäß § 410 Abs 1 StPO das Gericht zuständig, das in erster Instanz erkannt hat. Die Entscheidungskompetenz kommt auch dann (ungeteilt) dem Gericht zu, das die allenfalls zu mildernde Sanktion (ursprünglich) ausgesprochen hat, wenn eine zunächst gewährte bedingte Strafnachsicht später von einem anderen Gericht widerrufen worden ist (RIS‑Justiz RS0112525; Lässig,WK‑StPO § 410 Rz 4 mwN; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 11.69; Fabrizy, StPO13 § 410 Rz 1; ohne Berücksichtigung des eindeutigen Gesetzeswortlauts [„Gericht, das in erster Instanz erkannt hat“] krit Nimmervoll, Strafverfahren2, Kap VII Rz 118; ders, JSt 2014, 273 f).

Die im (zurückweisenden) Beschluss vertretene Ansicht, wonach dem Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 153 Hv 39/12w hinsichtlich des Antrags auf nachträgliche Strafmilderung der mit Urteil dieses Gerichts vom 4. Mai 2012, GZ 153 Hv 39/12w‑107, verhängten Sanktion keine Entscheidungskompetenz zukäme, widerspricht somit § 410 Abs 1 StPO. Das befasste Gericht hätte vielmehr inhaltlich über den Antrag entscheiden müssen.

Da die Gesetzesverletzung geeignet ist, sich zum Nachteil des Verurteilten auszuwirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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