OGH 12Os63/08v

OGH12Os63/08v19.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Michael B***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 354 Hr 23/08v des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 27. März 2008, AZ 23 Bs 74/08p, (ON 506) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Michael B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

In dem seit 11. Oktober 2000 anhängigen, unter anderem gegen den Beschuldigten geführten Strafverfahren wurde mit Beschluss des Untersuchungsrichters des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. Mai 2000 die Voruntersuchung gegen Michael B***** wegen „§§ 146 ff StGB" eingeleitet und ein Haftbefehl erlassen (ON 22/I). Zugleich erfolgte dessen Ausschreibung zur Verhaftung (ON 23/I). Über den am 6. Juli 2007 festgenommenen Michael B***** verhängte der Untersuchungsrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Juli 2007 die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 180 Abs 2 Z 1 StPO aF (ON 37) und fasste in der Folge gestützt auf die Haftgründe der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO aF mehrfach Beschlüsse auf Haftfortsetzung. Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Wien einer Beschwerde Michael B*****s (ON 491/XLV) gegen die vom Erstgericht am 7. Februar 2008 beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft (ON 486/XXIII) nicht Folge und setzte diese aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a, lit b StPO fort.

Danach ist Michael B***** dringend verdächtig, er habe in den Vereinigten Staaten von Amerika als Direktor des Manhatten Investment Fund Ltd, einem auf den British Virgin Islands eingetragenen, seit etwa August 1995 bestehenden, fortlaufend Verluste erleidenden Hedgefonds, sowie der Manhattan Capital Management Inc beginnend ab September 1996 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zahlreiche Investoren unter anderem durch Erstellung von einen überhöhten Wert des Hedgefonds widerspiegelnden Unterlagen sowie durch falsche Jahresabschlüsse, somit durch Täuschung über Tatsachen, nämlich Verschleierung von tatsächlich hohen Verlusten des Hedgefonds, zu Handlungen, nämlich Einzahlungen in diesen verleitet, die diese Käufer um mehr als 400 Mio US-$ am Vermögen schädigten, wobei er die schweren Betrugshandlungen jeweils in der Absicht begangen haben soll, sich durch deren wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.

Zum Haftgrund der Fluchtgefahr verwies das Oberlandesgericht auf das Nichterscheinen des Beschwerdeführers zu einer Verhandlung zwecks Straffestsetzung in den USA, wodurch er sich trotz erlegter Kaution in Höhe von 100.000 US-$ dem Verfahren entzog, weiters auf das trotz erlassenen Haftbefehls erfolgreiche mehrjährige Verbergen im Inland sowie auf das Geständnis, eine ordnungsgemäße Meldung in Österreich unterlassen zu haben, „um Dritten keine Schwierigkeiten zu machen". Die Tatbegehungsgefahr erachtete das Oberlandesgericht trotz Schließung des Hedgefonds im Jahr 2000 infolge der angelasteten jahrelangen und gewerbsmäßig schweren Betrugshandlungen, des Schadensbetrags von mehr als 400 Mio US-$ und der schlechten finanziellen Lage des von Zuwendungen von Verwandten lebenden Rechtsmittelwerbers als gegeben.

Die Haftgründe wurden als nicht substituierbar und die Dauer der Haft auch über sechs Monate hinaus als nicht unverhältnismäßig bewertet. Der Beschuldigte bestreitet in der von ihm selbst verfassten, durch Beisetzen von Unterschrift und Stampiglie eines Verteidigers verbesserten Grundrechtsbeschwerde den dringenden Tatverdacht sowie das Vorliegen von Haftgründen.

Rechtliche Beurteilung

Der Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Mit dem unsubstantiierten Vorbringen, die Heranziehung von Verfahrensergebnissen aus den USA sei rechtswidrig, insbesondere die Verwertung eines von ihm im Rahmen einer (zwecks Strafminderung eingegangen) Prozessabsprache abgelegten Schuldeingeständnisses, welches nach seiner Behauptung unter Anwendung von Zwangs- und Drohmitteln zustande gekommen sei, sowie mit der Kritik, er habe zur Aussage des Zeugen Rene R***** im Vorverfahren aus den Jahren 2000 bis 2001 keine Möglichkeit der Befragung des Genannten gehabt, und die vom Oberlandesgericht - gestützt auf Verfahrensergebnisse aus den USA - dargestellte Verdachtslage in Richtung eines Bereicherungsvorsatzes und eines gewerbsmäßigen Handelns entbehre „konkreter Beweise", bekämpft Michael B***** die Beweiswürdigung des Beschwerdegerichts zur angenommenen dringenden Verdachtslage nach Art einer Berufung wegen Schuld, ohne einen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren relevierbaren Mangel im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO aufzuzeigen.

Der vom Beschwerdegericht widerlegte (BS 6 f in ON 506) Vorwurf einer Untätigkeit des Erstgerichts zwischen den Jahren 2000 und 2002 betrifft im Übrigen keinen die dringende Verdachtslage oder das Beschleunigungsgebot in Haftsachen tangierenden Umstand. Die Rüge, das in Österreich anhängige Strafverfahren verstoße gegen den Grundsatz „ne bis in idem", weil der Beschwerdeführer vor dem Bezirksgericht der Vereinigten Staaten Südlicher Distrikt von New York aufgrund seines Schuldbekenntnisses für schuldig erklärt (S 27 der Übersetzung zu ON 54), die Verhandlung jedoch in der Folge zur Durchführung von für den Strafausspruch notwendigen weiteren Erhebungen vertagt wurde (S 28 iVm S 30 der Übersetzung zu ON 54), vermag das Vorliegen eines Verfolgungshindernisses nach § 65 Abs 4 Z 3 StPO nicht aufzuzeigen, zumal der Beschuldigte zum angeordneten Termin der Straffestsetzung in den Vereinigten Staaten nicht mehr erschien, weswegen gegen ihn am 1. März 2002 in den USA ein Haftbefehl erlassen wurde (S 143 ff in ON 20). Eine rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers in den Vereinigten Staaten von Amerika ist daher nicht erfolgt.

Die erstmals in der Grundrechtsbeschwerde aufgestellte Behauptung, es läge ein von den österreichischen Gerichten zu beachtender Strafausschließungsgrund nach dem Recht des Tatortes vor, ist mangels Substantiierung nicht nachvollziehbar.

Auf die weiteren umfangreichen Einwände, unter anderem zu den Hintergründen der Verhaftung, zum Zeitpunkt der Einlieferung des Beschuldigten in die Justizanstalt Josefstadt, zu den unterschiedlich angegebenen Enden des Tatzeitraums, zum Zeitpunkt, zu dem sich der Beschwerdeführer in den Vereinigten Staaten von Amerika dem Verfahren entzogen hat, zu einer „Unsicherheit des Erstgerichts" sowie einer bloß selektiven, entlastende Momente nicht gebührend beachtenden Strafverfolgung, zu einer „Verweigerung" der (persönlichen, über die des Verteidigers hinausgehenden) Akteneinsicht oder Verlegung von Haftprüfungsterminen war - ungeachtet ihrer durchwegs fehlenden Bezugnahme auf einen der Grundrechtsbeschwerde unterliegenden Anfechtungstatbestand - schon wegen der Unterlassung einer entsprechenden Bekämpfung in der Beschwerde gegen die Beschlüsse der Untersuchungsrichterin und demgemäß Fehlens der für die Zulässigkeit einer Grundrechtsbeschwerde verlangten Erschöpfung des Instanzenzuges nicht weiter einzugehen (vgl RIS-Justiz RS014487).

Mit der bloßen Behauptung, der Beschuldigte hätte sich „bemüht, sich den Behörden zu stellen", wird keine willkürliche Begründung des Haftgrundes der Fluchtgefahr aufgezeigt. Ein Eingehen auf das Vorbringen zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr erübrigt sich, weil bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt (vgl RIS-Justiz RS0061196).

Somit wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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