OGH 12Os51/22z

OGH12Os51/22z5.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen *G* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten *G* und * Gr* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 15. Februar 2022, GZ 18 Hv 91/21x‑192, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00051.22Z.0705.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten * Gr* wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt II. des Schuldspruchs der Genannten, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Ausspruch über den sie betreffenden Verfall eines Geldbetrags von 30.000 Euro aufgehoben, insoweit eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten *G* und die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Gr* im Übrigen werden zurückgewiesen.

Mit ihrer gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung wird die Angeklagte Gr* auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten G* und der Staatsanwaltschaft betreffend diesen Angeklagten werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten G* und Gr* fallen auch die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Relevanz – der Angeklagte * G* je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, „§ 12 zweiter Fall StGB“ (I.1.) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, „§ 12 zweiter Fall StGB“ (I.2.) sowie die Angeklagte * Gr*, je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II.1.) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II.2.) sowie je eines Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 StGB (IV.) und der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl I 2017/117 (V.) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in K* und an anderen Orten zu I. und II. von 1. Februar 2018 bis 22. September 2020 mit dem Vorsatz einer kontinuierlichen Tatbegehung über einen längeren Zeitraum und dem daran geknüpften Additionseffekt

I. * G*„teilweise im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit * Gr*“, teils selbst und teils durch Bestimmung von unbekannten Kurieren vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest 9.311,68 Gramm Heroin (beinhaltend 1.286,9 Gramm Heroinbase [428,9‑fache Grenzmenge]), 169 Gramm Kokain (beinhaltend 24,5 Gramm Kokainbase [1,6‑fache Grenzmenge])

1. von Slowenien nach Österreich eingeführt, indem er die genannten Mengen Heroin und Kokain in einer Vielzahl von Angriffen über den Grenzübergang L* nach K* verbrachte (oder verbringen ließ) und

2. es im Anschluss nachgenannten Personen entgeltlich und gewinnbringend überlassen, und zwar

a. an * B*, * Ba*, * P* im Zeitraum von Oktober 2018 bis 7. August 2019 insgesamt 3.000 Gramm Heroin (durchschnittlicher Reinheitsgehalt von 16,9 % Heroinbase) und 50 Gramm Kokain (unterdurchschnittlicher Reinheitsgehalt von 14,5 %);

b. an * I* und * K* im Zeitraum von 1. Februar 2018 bis 15. Oktober 2018 insgesamt 6.211,6 Gramm Heroin (durchschnittlicher Reinheitsgehalt von 12,8 %) und 100 Gramm Kokain (unterdurchschnittlicher Reinheitsgehalt von 14,5 %);

c. an * M* im Zeitraum von Ende Juni 2020 bis 22. September 2020 zumindest 100 Gramm Heroin (durchschnittlicher Reinheitsgehalt von 11,77 %) und 19 Gramm Kokain (unterdurchschnittlicher Reinheitsgehalt von 14,5 %);

II. * Gr*„im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit G*“ Suchtgift in einer das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, und zwar zumindest 2.097 Gramm Heroin (beinhaltend 289,8 Gramm Heroinbase [96,6‑fache Grenzmenge])

1. von Slowenien nach Österreich eingeführt, indem sie das genannte Suchtgift in einer Vielzahl von Angriffen über den Grenzübergang L* nach K* verbrachte und

2. es im Anschluss nachgenannten Personen entgeltlich und gewinnbringend überlassen, und zwar

a. im Zeitraum von Oktober 2018 bis 7. August 2019 2.000 Gramm Heroin an * P* (durchschnittlicher Reinheitsgehalt 16,9 % Heroinbase);

b. Mitte August 2020 97 Gramm Heroin an * M* (durchschnittlicher Reinheitsgehalt von 11,77 %);

c. im Zeitraum von 1. Februar 2018 bis 15. Oktober 2018 eine unbekannte im Zweifel die Grenzmenge (§ 28b SMG) nicht übersteigende Menge Heroin an * K* und * I*;

IV. * Gr* im September 2021 K* durch die sinngemäße Aufforderung, sie solle vor Gericht aussagen, dass sie mit Drogengeschäften des G* nichts zu tun und auch nichts davon gewusst habe, dazu zu bestimmen versucht, vor Gericht, nämlich vor dem Landesgericht K*, als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung im Verfahren AZ * dieses Gerichts zur Sache falsch auszusagen;

V. * Gr*zu einem unbekannten Zeitpunkt im Zeitraum von Jänner 2019 bis August 2019 aus Suchtgiftgeschäften des G* stammendes Bargeld in der Höhe von 1.600 Euro, mithin Vermögensbestandteile, die aus einem Vergehen nach § 27 SMG eines anderen herrühren, wissentlich an sich gebracht, indem sie den genannten Geldbetrag von P* übernahm.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich von den Angeklagten G* und Gr* aus den Gründen der Z 3 und 5 des § 281 Abs 1 StPO, von Gr* überdies aus Z 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerden.

[4] Die Verfahrensrügen (Z 3) beider Angeklagter behaupten einen nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen § 240a StPO, weil die Schöffen in der im Jahr 2022 fortgesetzten Hauptverhandlung nicht beeidigt worden seien. Da die Hauptverhandlung – entgegen dem Beschwerdevorbringen – nicht fortgesetzt, sondern im Kalenderjahr 2022 neu durchgeführt wurde (§ 276a StPO; vgl ON 191 S 2), wäre auch die Beeidigung der bisher beigezogenen Schöffen zu wiederholen gewesen. Wie unzweifelhaft erkennbar ist, konnte die gerügte Formverletzung aber keinen nachteiligen Einfluss auf die Angeklagten üben, weil den Schöffen der am 9. Dezember 2021 abgelegte Eid (ON 169 S 3) bei der am 15. Februar 2022, sohin nur wenige Tage nach Ablauf der 2‑Monate‑Frist neu durchgeführten Hauptverhandlung nicht in Vergessenheit geraten war (§ 281 Abs 3 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0098270 [T7 und T14]).

[5] Der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) des Angeklagten G* zuwider erfolgte die Feststellung der dem Schuldspruch zugrundeliegenden entscheidenden Tatsachen – aus Sicht des Obersten Gerichtshofs – für alle relevanten Urteilsadressaten unzweifelhaft erkennbar (vgl RIS-Justiz RS0117995) aufgrund seiner in Ansehung des (jeweiligen) Überschreitens der 25‑fachen Grenzmenge geständigen Verantwortung und überdies aufgrund der belastenden Aussagen der Zeugen K*, * Gl*, P*, B* und M* (US 9 f).

[6] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten G* und jene der Angeklagten Gr* im Umfang der Punkte IV. und V. des Schuldspruchs waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen. Hinsichtlich des Angeklagten G* folgt daraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung dieses Angeklagten und die ihn betreffende Berufung der Staatsanwaltschaft (§ 285i StPO).

[7] Demgegenüber zeigt die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) der Angeklagten Gr* zu Punkt II. des Schuldspruchs zutreffend eine Unvollständigkeit der Begründung der Feststellungen zum Überlassen von Heroin an die dort genannten Abnehmer und zum zu diesem Zweck erfolgten, unmittelbar vorangegangenen Einführen der jeweiligen Suchtgiftquanten nach Österreich (US 7):

[8] Die Tatrichter leiteten die Urteilskonstatierungen zu den Punkten II.1. und II.2.a. des Schuldspruchs aus den als glaubwürdig beurteilten Aussagen der Zeuginnen B* und P* ab (US 10 f), ließen dabei aber unerörtert, dass B* ihren Angaben zufolge das Wissen um die Übergabe von Heroin an P* aus entsprechenden Informationen der Genannten bezog (ON 191 S 16), P* aber dezidiert ausschloss, von Gr* Suchtgift übernommen zu haben (ON 191 S 13; vgl aber RIS‑Justiz RS0118316 [T14]).

[9] Gleiches gilt für die Feststellungen zum Überlassen von Heroin an K* und I* und zum (ebenfalls daraus abgeleiteten) Einführen der jeweiligen Suchtgiftquanten nach Österreich (Punkte II.1. und II.2.c. des Schuldspruchs; US 7). Auch hier stützte sich das Schöffengericht auf die als glaubwürdig beurteilten Aussagen der Genannten (US 10 f), wie die Mängelrüge ([auch zur Aussage von K* erkennbar] Z 5 zweiter Fall) aber zutreffend aufzeigt, wurde nicht erörtert, dass I* – im Widerspruch zu früheren Angaben – bestritt, von der Beschwerdeführerin Suchtgift übernommen zu haben (ON 169 S 5 iVm ON 191 S 2), und K* behauptete, bei „Giftübergaben nie dabei gewesen zu sein“ (ON 191 S 11).

[10] Schließlich macht die Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) zu den Punkten II.1. und II.2.b. des Schuldspruchs betreffend die Feststellungen zum Überlassen des Heroins an M* und zum (abermals daraus abgeleiteten) Einführen der jeweiligen Suchtgiftquanten nach Österreich (US 7) zu Recht eine Aktenwidrigkeit hinsichtlich der darauf bezogenen Wiedergabe des Inhalts der Aussage der Genannten geltend. Denn obwohl die Zeugin die Beschwerdeführerin bei der Lichtbildvorlage in der Hauptverhandlung nicht identifizieren konnte (ON 191 S 17), zitierten die Tatrichter diese Aussage mit dem Inhalt, dass Gr* von der Zeugin M* „zweifelsfrei auf den vorgelegten Lichtbildern wiedererkannt wurde“ (US 11).

[11] Diese Begründungsmängel erfordern – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und Verweisung der Sache an das Erstgericht. Das Verfallserkenntnis war aufzuheben, weil es sich auf Punkt II. des Schuldspruchs stützt (US 13).

[12] Mit ihrer Berufung war die Angeklagte Gr* auf diese Entscheidung zu verweisen.

[13] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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