OGH 12Os49/08k (12Os50/08g)

OGH12Os49/08k (12Os50/08g)19.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mag. Manfred P***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Verletzung der Freiheit der Person oder des Hausrechts nach § 303 StGB, AZ 2 U 161/06p des Bezirksgerichts Feldkirchen (nunmehr AZ 19 U 57/07i des Bezirksgerichts Klagenfurt), über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Unterlassung gebotener strafgerichtlicher Aktivitäten nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Staatsanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Strafverfahren gegen Mag. Manfred P***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Verletzung der Freiheit der Person oder des Hausrechts nach § 303 StGB, AZ 2 U 161/06p des Bezirksgerichts Feldkirchen, nunmehr AZ 19 U 57/07i des Bezirksgerichts Klagenfurt, wurde durch die Unterlassung einer über die Geltendmachung eigener Befangenheit hinausgehenden strafgerichtlichen Aktivität zwischen Einlangen des Aktes und Eintritt der Verjährung am 21. Februar 2007 das Gesetz in der Bestimmung des § 71 Abs 1 zweiter Satz iVm § 72 Abs 2 StPO (jeweils aF) verletzt.

Text

Gründe:

Bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt wurde zu 7 NSt 29/06t ein Strafverfahren gegen Mag. Manfred P***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Verletzung der Freiheit der Person oder des Hausrechts nach § 303 StGB geführt, weil er als Richter in der Strafsache AZ 2 U 28/05b des Bezirksgerichts Feldkirchen Helmut M***** durch gesetzwidrige Entziehung der persönlichen Freiheit zwischen 11. Dezember 2005 und 12. Dezember 2005 in seinen Rechten geschädigt habe.

Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt bot Mag. P***** eine diversionelle Maßnahme gemäß § 90c StPO (aF) an, indem sie ihn zur Zahlung einer Geldbuße in der Höhe von 1.500 Euro aufforderte, wobei ihm die schriftliche Aufforderung am 22. August 2006 zugestellt wurde. Über Ersuchen Mag. Manfred P*****s wurde ihm ein Zahlungsaufschub gewährt. Die Zahlungsfrist verstrich am 31. Oktober 2006 ungenützt. In ihrem Bestrafungsantrag vom 13. November 2006 (ON 3) legte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt Mag. Manfred P***** das Vergehen der fahrlässigen Verletzung der Freiheit der Person oder des Hausrechts nach § 303 StGB zur Last, weil er vom 1. Dezember 2005 bis 12. Dezember 2005 beim Bezirksgericht Feldkirchen als Richter in der Strafsache AZ 2 U 28/05b gegen Helmut M***** den Genannten durch gesetzwidrige Entziehung der persönlichen Freiheit zwischen 11. Dezember 2005 und 12. Dezember 2005 in seinen Rechten schädigte, indem er - entgegen § 53 Abs 2 StGB (aF) und ohne Anhörung des Genannten - einen Beschluss auf Widerrruf der bedingten Strafnachsicht einer Freiheitsstrafe fasste, diesen dem Genannten nicht eigenhändig zustellte, dessen Ortsanwesenheit nicht überprüfte, einen Vorführbefehl gegen ihn erließ und seine Einlieferung in die Justizanstalt Salzburg anordnete.

Der Bestrafungsantrag langte unter Anschluss von Aktenkopien am 28. November 2006 mit dem Vermerk „Dringend" beim Bezirksgericht Feldkirchen zum AZ 2 U 161/06p ein. Am 14. Dezember 2006 zeigte die für die Strafsache zuständige Richterin dem Gerichtsvorsteher des Bezirksgerichts Feldkirchen ihre Befangenheit an und ersuchte, ihr den Akt abzunehmen. Der Gerichtsvorsteher des Bezirksgerichts Feldkirchen erachtete sich gleichermaßen als befangen und ersuchte das Landesgericht Klagenfurt um Entscheidung.

Die Ratskammer des Landesgerichts Klagenfurt erklärte mit Beschluss vom 22. Dezember 2006, AZ 48 Rk 80/06x (ON 5), die Befangenheitserklärung als begründet und übertrug die Strafsache dem Bezirksgericht Klagenfurt, wo die Akten am 25. Jänner 2007 einlangten und zum AZ 19 U 57/07i weitergeführt wurden.

Am 5. Februar 2007 zeigte die nunmehr zuständige Richterin des Bezirksgerichts Klagenfurt ihre Befangenheit an, weshalb vom Gerichtsvorsteher des Bezirksgerichts Klagenfurt im Umlauf sämtliche als Vertreter in Betracht kommenden Richter um Mitteilung einer allfälligen Befangenheit ersucht wurden. Diese erklärten sich ebenfalls ausnahmslos für befangen.

Am 2. März 2007 legte der Gerichtsvorsteher des Bezirksgerichts Klagenfurt den Akt AZ 19 U 57/07i mit der Anzeige seiner eigenen Befangenheit der Ratskammer des Landesgerichts Klagenfurt vor. Mit Beschluss vom 13. April 2007, AZ 48 Rk 22/07v, erklärte diese die Befangenheitserklärungen des Vorstehers des Bezirksgerichts Klagenfurt sowie - mit Ausnahme einer Richterin - der weiteren Richter für begründet (nicht einjournalisiert nach ON 5 im Akt). Mit Verfügung vom 18. April 2007 veranlasste diese Richterin des Bezirksgerichts Klagenfurt die Einholung einer Strafregisterauskunft hinsichtlich Mag. Manfred P***** (AS 1 verso).

Am 12. Mai 2007 fasste das Bezirksgericht Klagenfurt den Beschluss auf Einstellung des Strafverfahrens gegen Mag. Manfred P***** gemäß § 451 Abs 2 StPO; dies mit der Begründung, dass hinsichtlich der Tathandlung Verjährung eingetreten sei, bevor aufgrund des erhobenen Bestrafungsantrags am 18. April 2007 eine erste gerichtliche Verfolgungshandlung - nämlich die Beischaffung einer Strafregisterauskunft - erfolgte (ON 7).

Das Landesgericht Klagenfurt gab in seiner Entscheidung vom 30. August 2007, AZ 7 Bl 66/07k (ON 14), der dagegen von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt erhobenen Beschwerde (ON 8) nicht Folge und führte aus, es sei vor Ablauf der - unter Berücksichtigung der Diversionsmaßnahme gemäß § 90k Abs 2 StPO (aF) errechneten - Verjährungsfrist am 21. Februar 2007 keine Gerichtsanhängigkeit eingetreten, zumal das Einlangen des Bestrafungsantrags ohne daran anschließende richterliche Verfolgungsaktivität hiefür nicht ausreiche. Die erkennbare Absicht des Gerichts, gegen eine bestimmte Person einen Tatverdacht zu prüfen, sei in den Anzeigen wegen Befangenheit und der Entscheidung der Ratskammer des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. Dezember 2006, AZ 48 Rk 80/06x, nicht zu erblicken.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorgangsweise der Bezirksgerichte stand, wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die befassten Bezirksgerichte Feldkirchen und Klagenfurt beschränkten sich bis zum Eintritt der Verjährung jeweils darauf, Befangenheiten geltend zu machen und Entscheidungen darüber zu erwirken. Es wurden jedoch keine strafgerichtlichen Aktivitäten gesetzt, welche die Verjährungsfrist nach § 58 Abs 3 StGB (aF) zu verlängern geeignet

waren (E. Fuchs in WK2 § 58 [2007] Rz 14 ff; EvBl 1993/142 = 11 Os

1/93; SSt 42/57 = 11 Os 138/71).

Mit Stattgebung einer Befangenheitsanzeige oder eines Ablehnungsgesuchs wird letztlich eine zwar nicht von der Nichtigkeitssanktion des § 71 Abs 1 StPO (aF) erfasste, aber sonst gleichrangig an die Seite der Ausschließungsgründe tretende Gegebenheit geschaffen, sodass sich der Richter ab diesem Zeitpunkt in jedem Fall aller gerichtlichen Handlungen zu enthalten hat (Lässig, WK-StPO § 74 Rz 8).

§ 72 Abs 2 StPO aF verpflichtet den Richter, alle Gründe anzuzeigen, die geeignet sind, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen. Ab dem Zeitpunkt der Befangenheitserklärung hat er sich grundsätzlich einer weiteren Amtshandlung zu enthalten, um jeden Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts zu vermeiden (SSt 55/32). Allerdings ist der seine Befangenheit Anzeigende - analog zum Vorliegen eines Ausschließungsgrundes - im Falle von Gefahr im Verzug (§ 71 Abs 1 zweiter Satz StPO aF) nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, dringend nötige, also unaufschiebbare gerichtliche Handlungen selbst vorzunehmen (vgl auch § 44 Abs 1 StPO idgF). Im vorliegenden Fall war die Dringlichkeit der Strafsache sowohl aus dem im Bestrafungsantrag vom 13. November 2006 ersichtlichen Tatzeitraum als auch aus dem Vermerk „Dringend" in der Übersendungsnote der Staatsanwaltschaft Klagenfurt leicht ersichtlich. Es wäre daher bei gewissenhafter Prüfung durch die befassten Gerichte eine - den Interessen der Strafrechtspflege dienende - Maßnahme geboten gewesen, welche die Gerichtsanhängigkeit bewirken und damit die Strafverfolgung sichern konnte. Dies ist jedoch gesetzwidrig unterblieben.

Die vorliegende Entscheidung hatte sich auf die Feststellung der Gesetzesverletzung zu beschränken, weil sie dem Beschuldigten Mag. Manfred P***** insofern zum Vorteil gereichte, als hiedurch der Strafaufhebungsgrund der Verjährung der Strafbarkeit des inkriminierten Verhaltens eintrat.

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