OGH 12Os43/14m

OGH12Os43/14m8.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bernd L***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, dritter und achter Fall, Abs 2 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 10 Hv 34/12i des Landesgerichts Leoben, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 11. Juni 2013, AZ 10 Bs 111/13v, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner und des Verteidigers Mag. Dr. Kier zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0120OS00043.14M.0508.000

 

Spruch:

 

Das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 11. Juni 2013, AZ 10 Bs 111/13v, verletzt im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs I./ (und demzufolge auch des Strafausspruchs) des Urteils des Landesgerichts Leoben vom 4. Februar 2013, GZ 10 Hv 34/12i‑25, sowie im Auftrag an das Erstgericht, insoweit nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG vorzugehen, §§ 35 Abs 1 und 37 SMG.

Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Graz, das im Übrigen unberührt bleibt, wird insoweit ersatzlos aufgehoben, als dem Landesgericht Leoben der Auftrag erteilt wurde, im Umfang des Schuldspruchs I./ nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG vorzugehen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 4. Februar 2013, GZ 10 Hv 34/12i‑25, wurde Bernd L***** (im zweiten Rechtsgang) der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, dritter und achter Fall, Abs 2 SMG (I./) sowie des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG (II./) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

Danach hat er

I./ im Zeitraum zwischen Frühling/Sommer 2001 bis 4. Oktober 2011 in G*****, K***** und an anderen Orten des Bundesgebiets vorschriftswidrig Suchtgift zum ausschließlichen persönlichen Gebrauch erworben, besessen, erzeugt und anderen überlassen, indem er

1./ THC‑hältiges Marihuana von nicht näher bekannten Personen kaufte;

2./ THC‑hältiges Marihuana im Zuge des Erwerbs, des Konsums und der Weitergabe tatsächlich innehatte;

3./ THC‑hältiges Marihuana der abgesondert verfolgten Angy C***** ab dem Jahr 2008 (etwa im Zuge gemeinsamen Suchtgift‑Konsums) unentgeltlich zur Verfügung stellte;

4./ im Zeitraum von Juni 2011 bis 4. Oktober 2011 in K***** Cannabispflanzen in einer Indoorplantage anbaute, diese bis zur Erntereife aufzog, aberntete, trocknete und daraus THC‑hältiges Marihuana herstellte;

II./ im Zeitraum von Juni 2011 bis 4. Oktober 2011 in K***** vorschriftswidrig Cannabispflanzen zum Zwecke der Gewinnung einer zumindest die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Suchtgift angebaut, indem er in der Wohnung der Angy C***** eine Indoor‑Anlage installierte und zumindest 324 Stück Cannabispflanzen zur Gewinnung von 6.061,7 Gramm Marihuana netto mit einer Reinsubstanz von 427 Gramm Delta‑9‑THC aufzog, wobei er mit dem Vorsatz handelte, das solcherart zu erzeugende THC‑hältige Marihuana zumindest in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge in Verkehr zu setzen bzw weiterzugeben.

In teilweiser Stattgebung der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit hob das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 11. Juni 2013, AZ 10 Bs 111/13v(= GZ 10 Hv 34/12i‑31 des Landesgerichts Leoben) das Ersturteil im Schuldspruch I./ und im Strafausspruch auf und trug dem Erstgericht insoweit ein Vorgehen nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG auf. Für das verbleibende Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG verhängte das genannte Gericht eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten, deren Vollzug unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

Zur Begründung führte es aus, dass das Erstgericht unangefochten von der Erzeugung der ersten, teilweise durch Schimmelbefall vernichteten Suchtgiftmenge nur für seinen Eigenbedarf und nicht zum Zweck der Inverkehrsetzung ausgegangen sei, sodass der Diversionsrüge des unbescholtenen Angeklagten in Bezug auf das Faktum I./ auch wegen der dislozierten Feststellung einer Suchtmittelgewöhnung Erfolg zu bescheiden gewesen wäre, weil „mit Bezug auf diesen Sachverhaltskomplex ein Vorgehen nach §§ 35 Abs 1 und 37 SMG hindernde Umstände im Sinne des § 35 Abs 2 Z 1 bis 3 SMG nicht“ hätten erblickt werden können. Das Fehlen von Feststellungen zu den Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen nach den vorgenannten Bestimmungen des SMG bewirke Nichtigkeit des Urteils im Faktenkomplex I./1./ bis 4./ gemäß § 281 Abs 1 Z 10a StPO (gemeint: iVm § 489 Abs 1 StPO), welche die Aufhebung dieses Schuldspruchs zur Folge habe. Das Erstgericht werde die Voraussetzungen für eine vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 35 SMG in diesem Umfang zu prüfen haben (ON 31 S 6 f).

In Bezug auf den Schuldspruch II./ sei das Urteil allerdings „nicht mit nichtigkeitsbegründenden Feststellungsmängeln zu den Voraussetzungen einer diversionellen Erledigung behaftet“, weil sich das Erstgericht hiezu „im Ergebnis zutreffend“ auf die Schwere der Schuld gestützt habe und „die Gesamtschau des vom Angeklagten zu Faktum II./ verwirklichten Unrechts“ in Ansehung „der hochprofessionellen Vorgangsweise beim Anbau von Cannabispflanzen in einer eigens hiezu ‑ wegen des (Anmerkung: allerdings nur durch Ermittlungen [ON 25 S 5 dritter Absatz]) einschlägig belasteten Vorlebens des Angeklagten noch dazu unter anderem Namen ‑ angemieteten Wohnung mit hochwertigen technischen Hilfsmitteln“ und des bereits im zweiten Anbauversuch erzielten Ertrags, der „für 20 Jahre reichen würde,“ als „auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen“ sei (ON 31 S 6).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 11. Juni 2013, AZ 10 Bs 111/13v, in der Kassation des Urteils des Landesgerichts Leoben vom 4. Februar 2013, GZ 10 Hv 34/12i‑25, im Schuldspruch I./ und im Strafausspruch sowie im Auftrag an das Erstgericht, insoweit nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG vorzugehen, das Gesetz:

Gemäß §§ 35 Abs 1 iVm 37 SMG hat das Gericht nach Einbringen der Anklage ‑ unter den in Abs 3 bis Abs 7 des § 35 SMG genannten Voraussetzungen und Bedingungen ‑ das Verfahren wegen einer Straftat nach §§ 27 Abs 1 und Abs 2 oder 30 SMG, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Angeklagte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren vorläufig einzustellen.

Bei Vorliegen der in § 35 Abs 3 bis Abs 7 SMG genannten Voraussetzungen und Bedingungen hat das Gericht gemäß §§ 35 Abs 2 iVm 37 SMG auch ein Verfahren wegen einer anderen Straftat nach §§ 27 oder 30 bis 31a SMG, einer Straftat nach §§ 28 oder 28a SMG, sofern der Angeklagte an Suchtmittel gewöhnt ist, oder wegen einer im Zusammenhang mit der Beschaffung von Suchtmitteln begangenen Straftat unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren vorläufig einzustellen, wenn die Straftat nicht in die Zuständigkeit des Schöffen‑ oder Geschworenengerichts fällt, die Schuld des Angeklagten nicht als schwer anzusehen wäre und der Rücktritt nicht weniger als eine Verurteilung geeignet erscheint, den Angeklagten von solchen Straftaten abzuhalten.

Prinzipiell steht bei realkonkurrierendem Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen in einem gemeinsam geführten Verfahren das Verbot einer Sanktions- und Reaktionskumulierung einer Kombination einer diversionellen Vorgangsweise mit einem Schuldspruch entgegen (13 Os 107/06v; Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 47).

Dies gilt jedoch nicht im Verhältnis zwischen dem SMG zu unterstellenden Delikten und anderen strafbaren Handlungen, weil die nach dem SMG bestehende Diversionsmöglichkeit auf eine bestimmte Deliktskategorie (Suchtmittel‑ oder Beschaffungskriminalität geringerer Intensität) ohne Bezugnahme auf eine sonstige Straftat abstellt, sodass ‑ in Übereinstimmung mit dem der Bestimmung des § 35 Abs 1 und Abs 2 SMG innewohnenden Prinzip „Therapie statt Strafe“ (vgl ErläutRV 301 BlgNr 23. GP 20 ff) ‑ eine diversionelle Erledigung dieser speziellen Sachverhalte nach § 35 Abs 1 oder Abs 2 SMG auch ohne Rücksicht auf sonst inkriminierte Handlungen möglich ist (RIS‑Justiz RS0113621; Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 49 und § 203 Rz 34).

Unter mehreren, jeweils dem SMG zu unterstellenden ‑ und solcherart dieselbe Deliktskategorie betreffenden ‑ Handlungen ist eine unterschiedliche Behandlung im Sinne einer Kombination von diversionellem Vorgehen einerseits und Schuldspruch andererseits hingegen nicht zulässig, sodass für alle Taten gemeinsam entweder nach § 35 Abs 1 bzw Abs 2 SMG oder mit Schuldspruch vorzugehen ist. Kommt unter diesen für einzelne Taten kein diversionelles Vorgehen in Frage, schließt dies demnach auch in Ansehung der übrigen Taten ‑ unabhängig von deren isolierter Betrachtung ‑ die Anwendung des § 35 Abs 1 bzw Abs 2 SMG aus (Schroll, WK‑StPO § 203 Rz 34a; Rosbaud in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 37 Rz 4; vgl ErläutRV 110 BlgNR 20. GP 54; RIS‑Justiz RS0113621 [T4]; 13 Os 86/05d).

Fallaktuell kam ein diversionelles Vorgehen wegen vorliegender Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, dritter und achter Fall, Abs 2 SMG (Faktum I./) in Ansehung des (mangels Vorliegens der Voraussetzung des § 35 Abs 2 Z 2 SMG zutreffend aufrecht erhaltenen) Schuldspruchs II./ wegen des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG somit nicht in Betracht, sodass die Aufhebung des Schuldspruchs I./ und der an das Erstgericht erteilte Auftrag, diesbezüglich nach §§ 35 Abs 1 iVm 37 SMG vorzugehen, die Bestimmung des § 35 Abs 1 SMG verletzt.

Da die teilkassatorische Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz und der damit verbundene Auftrag, im Umfang des Schuldspruchs I./ nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG vorzugehen, die Bestimmung einer Probezeit und die Anordnung einer gesundheitsbezogenen Maßnahme und damit unter Umständen auch eine Fortsetzung des Strafverfahrens nach § 38 SMG zur Folge haben kann, ist ein daraus resultierender Nachteil für den Verurteilten nicht auszuschließen, sodass sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, der Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO wie aus dem Spruch ersichtlich

konkrete Wirkung zuzuerkennen.

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