European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0120OS00036.9400000.0505.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im übrigen (im Schuldspruch sowie in den Aussprüchen über die Kostenersatzpflicht und die Einziehung) unberührt bleibt, in seinem freisprechenden Teil und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang dieser Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Ljiljana G* und Thierry Robert P* sind (überdies) schuldig, sich in der Zeit bis zum 17. November 1993 an verschiedenen Orten der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland an einer Organisation, deren Zweck auf die fortgesetzte Begehung nicht geringfügiger Betrügereien gerichtet ist, als Mitglieder beteiligt zu haben, indem sie Aufträge anderer Mitglieder, welche die betrügerische Herauslockung von Geld durch Einlösung widerrechtlich entzogener und durch Nachmachung der Unterschrift der rechtmäßigen Kontoinhaber gefälschter Scheckformulare unter Verwendung gefälschter Ausweise bei Kreditinstituten im Unterinntal sowie in Innsbruck betrafen, entgegennahmen und sich am 16. und 17. November 1993 zur Ausführung dieser Aufträge im Raum Kufstein und Brixlegg aufhielten.
Sie haben hiedurch das Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278 a Abs 1 (zweite Begehungsform) StGB begangen und werden hiefür sowie für das ihnen nach dem rechtskräftigen Schuldspruch vom 24. Jänner 1994 weiterhin zur Last liegende Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2, 148 zweiter Fall StGB nach §§ 28 Abs 1, 148 zweiter Strafsatz StGB zu Freiheitsstrafen in der Dauer von je 2 (zwei) Jahren verurteilt.
Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung wird aus dem Ersturteil übernommen.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die 1972 geborene serbische Staatsangehörige Ljiljana G* und der 1961 geborene französische Staatsangehörige Thierry Robert P* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, (zu ergänzen:) Abs 2, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt, weil sie am 16. und 17. November 1993 im Raum Kufstein und Brixlegg "im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter" (richtig: der Angeklagte P* als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB) mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch wiederkehrende Begehung von schweren Betrügereien eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Verantwortliche inländischer Banken durch die Behauptung, als Kontoinhaber zur Ausstellung von Euroschecks und Behebung von Bargeldbeträgen berechtigt zu sein, wobei Ljiljana G* gefälschte Identitätsausweise verwendete, sich als die jeweilige Kontoinhaberin ausgab und die Unterschriften dieser Personen (auf den Schecks) nachahmte, somit durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung falscher Urkunden, in 72 Fällen zur Ausfolgung von Bargeldbeträgen zu je 2.500 S, mithin zu Handlungen verleiteten, welche die kontoführenden Kreditinstitute in Deutschland am Vermögen um insgesamt 180.000 S schädigten. Von der überdies wider sie wegen des Vergehens der Bandenbildung nach § 278 Abs 1 StGB erhobenen Anklage, in der Zeit bis zum 17. November 1993 sich mit weiteren unbekannten Personen durch die mit diesen getroffene Vereinbarung, künftig gestohlene Schecks zu übernehmen und bei diversen Bankinstituten unter Fälschung der Unterschrift des jeweiligen Kontoinhabers einzulösen, mit dem Vorsatz verbunden zu haben, nicht nur geringfügige Betrügereien auszuführen, wurden beide Angeklagten gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen reisten am 16. November 1993 beide Angeklagten, die bereits in Deutschland, Frankreich und Tschechien - allerdings nur zum Teil gemeinsam - für eine kriminelle Organisation ähnliche Scheckbetrügereien begangen hatten, unter Mitnahme "gestohlener" Scheckformulare, welche sie von einer Kontaktperson mit dem Auftrag erhalten hatten, im Raum Unterinntal betrügerisch Schecks einzulösen und die den Bankinstituten herausgelockten Geldbeträge abzuliefern, nach Österreich ein. In der Folge gelang der Angeklagten G* auf die bereits erwähnte Art mit den von ihr gefälschten Schecks die Herauslockung von insgesamt 180.000 S bei diversen Geldinstituten zwischen Kufstein und Brixlegg (US 5). Der Zweitangeklagte chauffierte die Erstangeklagte in Kenntnis ihres Vorhabens zu den jeweiligen Instituten. Ihm war ein fixer Tagessatz von 300 DM zugesagt, wogegen die Erstangeklagte für ihre Tätigkeit von ihrem Auftraggeber Geschenke bekam, aber auch ihre Spesen von dem erbeuteten Geld vor dessen Ablieferung in Abzug bringen durfte (US 7). Der gemeinsame Auftrag ging dahin, die betrügerischen Scheckeinlösungen auch noch bei Innsbrucker Bankinstituten fortzusetzen und sich sodann dort mit einer Kontaktperson zu treffen (wozu es allerdings durch die Verhaftung beider Angeklagten nicht mehr kam). Beide Angeklagten handelten nicht nur mit betrügerischem Vorsatz, sondern - angesichts der Begehung zahlreicher Scheckbetrügereien im Rahmen einer kriminellen Organisation - auch in der Absicht, sich aus der wiederkehrenden Begehung derartiger schwerer Betrügereien eine fortlaufende Einnahmequelle zu erschließen (US 6, 8 f).
Da das Erstgericht davon ausging, daß diese Verbindung nicht im Inland, sondern in Deutschland zustande gekommen war, erachtete es - die tatsächlich in Österreich verwirklichten bandenmäßigen Teilakte des Betrugskonzeptes vernachlässigend - hinsichtlich des Anklagevorwurfs der Bandenbildung (§ 278 Abs 1 StGB) die inländische Gerichtsbarkeit als nicht gegeben und vertrat darüber hinaus die Ansicht, ein Schuldspruch wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach dem (mit der Strafgesetznovelle 1993, BGBl 527, am 1. Oktober 1993 in Kraft getretenen) § 278 a (Abs. 1) StGB komme nicht in Betracht, weil insoweit keine Anklage vorliege.
Gegen den freisprechenden Teil dieses Urteiles hat die Staatsanwaltschaft eine auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde erhoben, welche (primär) auf eine Verurteilung beider Angeklagten auch nach § 278 a Abs 1 (2. Begehungsform) StGB, allenfalls nach § 278 Abs 1 StGB, abzielt.
Zutreffend weist die Beschwerdeführerin darauf hin, daß - der Ansicht des Erstgerichts zuwider - durch eine Verurteilung beider Angeklagten nach § 278 a Abs 1 StGB wegen ihrer Beteiligung als Mitglieder an einer Organisation, deren Zweck (unter anderem) auf die fortgesetzte Begehung von nicht nur geringfügigen Betrügereien gerichtet ist, die wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges und des Vergehens der Bandenbildung erhobene Anklage keineswegs überschritten worden wäre: Eine solche (Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO bewirkende) Anklageüberschreitung läge nur vor, wenn der Schuldspruch nicht jenen historischen Sacherhalt beträfe, welcher auch Gegenstand der Anklage, dh jenes Geschehenskomplexes war, auf welchen sich der Anklagetenor und die Tatschilderung in der Anklageschrift - in ihrem Zusammenhang betrachtet - beziehen (vgl insbesondere Mayerhofer-Rieder StPO3 § 262 ENr 5 bis 7). Gemäß § 262 StPO ist nämlich der Gerichtshof an die in der Anklageschrift enthaltene Bezeichnung der Tat nicht gebunden, sondern schöpft das Urteil nach seiner eigenen rechtlichen Überzeugung; gelangt er zur Auffassung, daß die der Anklage zugrundeliegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den erst in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen eine andere als die in der Anklage bezeichnete (nicht einem Gericht höherer Ordnung vorbehaltene) strafbare Handlung begründen, hat er allerdings die Parteien über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt zu hören und über einen allfälligen Vertagungsantrag zu entscheiden. Ein Übergreifen über den durch die Anklage gezogenen Tatsachenkreis, welches in solchen Fällen oft unvermeidlich ist, um alle für die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes bedeutsamen Umstände klarzustellen, ist keineswegs einer Ausdehnung der Verhandlung und des Urteiles auf eine von der Anklage nicht erfaßte Tat gleichzuhalten (ENr 7 aaO). Nach der Begründung der Anklage ON 34 beruhen die darin erhobenen Vorwürfe des gewerbsmäßigen schweren Betruges und des Vergehens der Bandenbildung auf dem Verdacht, die beiden Angeklagten hätten sich mit mehreren anderen Personen mit dem Ziel verbunden, daß von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Verbindung nicht nur geringfügige Betrügereien ausgeführt, sondern europaweit erbeutete Euroschecks betrügerisch eingelöst und die herausgelockten Beträge an die Verbindung abgeliefert wurden, und hätten sich in Ausführung dieses Planes in Österreich betätigt. Dieser historische Sachverhalt würde durch eine teilweise von der Anklage abweichende rechtliche Beurteilung des Gesamtverhaltens der Täter dahin, sie hätten sich insoweit an einer kriminellen - die fortgesetzte Begehung derartiger Betrügereien bezweckenden - Organisation als Mitglieder beteiligt, keineswegs (im Sinne des § 267 StPO) überschritten.
Das Erstgericht hat sohin lediglich aufgrund einer unrichtigen Rechtsauffassung hinsichtlich seiner eigenen Bindung an den Anklagegegenstand die rechtliche Prüfung, ob die Angeklagten das Verbrechen nach § 278 a Abs 1 StGB verwirklichten, unterlassen (US 9 Mitte, US 11). Diesen Tatbestand (in seiner zweiten Begehungsform) erfüllt, wer sich an einer solchen Organisation als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit, wenn auch nicht ausschließlich, auf fortgesetzte Begehung im § 278 Abs 1 StGB genannter oder nach § 12 SuchtgiftG strafbarer Handlungen gerichtet ist; zu den in erster Gesetzesstelle angeführten strafbaren Handlungen zählen auch Betrügereien, sofern sie nicht nur geringfügig sind. Der - über den Begriff der Verbindung (§§ 246, 279 StGB) hinausgehende - Organisationsbegriff nach § 278 a StGB setzt die Verbindung einer größeren Anzahl von Personen auf Dauer oder zumindest längere Zeit, arbeitsteiliges Vorgehen, hierarchischen Aufbau und eine gewisse Infrastruktur voraus (Bericht des Justizausschusses zum Entwurf des Geldwäschereigesetzes, 1160 BlgNR 18. GP ). Mit der Strafbarkeit auch desjenigen, der sich an einer solchen Organisation nur als Mitglied beteiligt, sollte dem bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität bisher wahrgenommenen Mangel eines Tatbestandes abgeholfen werden, der Mitglieder einer kriminellen Organisation schon wegen dieser Mitgliedschaft mit Strafe bedroht (Justizausschuß aaO). Nach den Zielsetzungen des Strafgesetzgebers ist sohin davon auszugehen, daß nicht (iS eines Zustandsdeliktes) allein der (wohl selten als Formalakt vollzogene, vielmehr eher in der Annahme von Aufträgen oder Aufnahme der Tätigkeit für die Organisation bestehende) Beitritt, sondern die Zugehörigkeit als Mitglied während ihrer gesamten Dauer unter Strafe gestellt werden sollte (insoweit vergleichbar ist der von Foregger in WK Rz 7 zu § 247 - seinen Ausführungen zum Beginn der Verjährungsfrist zufolge - ebenfalls als Dauerdelikt aufgefaßte Tatbestand der sonstigen Teilnahme an einer staatsfeindlichen Verbindung im Sinne des § 246 Abs 3 StGB).
Ein inländischer Tatort ist im Hinblick auf die Bestimmung des § 67 Abs 2 StGB bei einem solchen Dauerdelikt schon dann gegeben, wenn auch nur eine seiner Phasen sich im Inland abgespielt hat, im Falle des § 278 a Abs 1 StGB in der zweiten Begehungsform sohin, wenn die Zugehörigkeit des Mitglieds zur kriminellen Organisation im Inland nach außen in Erscheinung getreten ist (wobei die Manifestation der Mitgliedschaft keineswegs unbedingt in der Begehung einer zum Organisationszweck zählenden Straftat gelegen sein muß). Ist dies der Fall, dann unterliegt die gesamte Tat als Inlandstat nach § 62 StGB der (originären) österreichischen Gerichtsbarkeit (vgl Foregger-Serini StGB5 § 62 Erl III).
Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht mehrmals (US 6 dritter und vierter Absatz, US 7 vorletzter Absatz, US 8 letzter Absatz) festgestellt, daß beide Angeklagten "im Rahmen" einer kriminellen Organisation tätig geworden sind, sich mithin an ihr als Mitglieder beteiligt und dies auch in ihren Vorsatz aufgenommen haben. Diese Feststellung ist durch den Hinweis (in US 7 vorletzter Absatz) auf die Geständnisse beider Angeklagten mängelfrei begründet (vgl insbesondere die Angaben der Angeklagten G* S 32 ff und 428 sowie des Angeklagten P* S 23 f, 28 f und 430 f, aus welchen sich das Zusammenwirken einer großen Zahl von arbeitsteilig - durch Beschaffung von Scheckformularen, Fälschung von Ausweisen, Scheckfälschung und Einlösung sowie als Fahrer oder Kontaktpersonen - für die Verbindung tätigen Mitgliedern, eine in mehreren Ländern Europas - in Form von Fälscherwerkstätten, Verbindungsstellen sowie kurzfristig verfügbaren Fahrzeugen und Fahrern - vorhandene Infrastruktur und der Bestand mehrerer Kommandoebenen ergibt, durch deren Aufbau ein unmittelbarer Kontakt zwischen den - der größten Entdeckungsgefahr ausgesetzten - bloßen Ausführungsorganen und den die Spitze des kriminellen Unternehmens bildenden Personen vermieden werden kann). Auf der Grundlage dieser demnach unbedenklichen Feststellungen des Erstgerichtes war daher, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst spruchgemäß zu erkennen.
Bei der deshalb notwendig gewordenen Strafneubemessung waren bei beiden Angeklagten das Zusammentreffen zweier Verbrechen erschwerend, mildernd hingegen das Geständnis, der ordentliche Lebenswandel und die Sicherstellung des Betrugserlöses.
Wegen der sinnfällig reiflichen Überlegung und sorgfältigen Vorbereitung der Betrugshandlungen, der minimalen Abwehrmöglichkeiten der geschädigten Banken sowie der nach der komplexen Deliktsverwirklichung außergewöhnlichen kriminellen Willensintensität (§ 32 Abs 2 und 3 StGB) entsprechen Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren der tat- und täterbezogenen Schuld.
Abgesehen von den solcherart verdeutlichten besonderen spezialpräventiven Erfordernissen ist nach Lage des Falles der gänzliche Vollzug der Freiheitsstrafen auch geboten, um der stetig wachsenden Aktualität organisierter grenzüberschreitender Kapitaldelinquenz wirksam zu begegnen.
Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung war aus dem Ersturteil zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.
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