OGH 12Os36/92-6

OGH12Os36/92-67.5.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.Mai 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Hon.Prof. Dr. Brustbauer, Dr. Rzeszut und Dr. Hager als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Freilinger als Schriftführerin in der Auslieferungssache Cezar Daniel P***** über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 10.Jänner 1992, GZ 24 Ns 1201/91-5, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 10.Jänner 1992, GZ 24 Ns 1201/91-5, verletzt, soweit er die Auslieferung des Cezar Daniel P***** zur Vollstreckung auch hinsichtlich der mit Urteil des Amtsgerichtes Bacau vom 14.Februar 1990 verhängten (restlichen) Freiheitsstrafe (4 Jahre 7 Monate 8 Tage) für unzulässig erklärt, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 11 und 19 ARHG.

Diese Gesetzesverletzung wird festgestellt.

Text

Gründe:

Mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 10.Jänner 1992, GZ 24 Ns 1201/91-5, wurde die mit Note des rumänischen Justizministeriums vom 4.April 1991, Zl 24570/II/16/1991, begehrte Auslieferung des rumänischen Staatsangehörigen Cezar Daniel P*****, geboren am 16.Dezember 1969 in Bacau, zur Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichtes Bacau vom 24. Juli 1990, Zl 713/1990, über den Genannten verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten sowie einer restlichen Freiheitsstrafe von vier Jahren, sieben Monaten und acht Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichtes Bacau vom (richtig lt. S 97, 103) 14.Februar 1990, Zl 210/1990, für unzulässig erklärt.

Nach dem - auf den (ergänzten) Auslieferungsunterlagen beruhenden - Inhalt dieses Beschlusses wurde Cezar Daniel P***** mit Urteil des Amtsgerichtes Bacau vom 14.Februar 1990 wegen Vergewaltigung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Diese - durch die Untersuchungshaft vom 27.September 1989 bis zum Urteilstag nur zum Teil verbüßte - Strafe wurde ihm gnadenweise bedingt nachgesehen, wobei er über die Möglichkeit des Widerrufs der Begnadigung belehrt wurde (S 98).

Mit Urteil desselben Gerichts vom 24.Juli 1990 wurde P***** - in Abwesenheit - schuldig erkannt, in den Abendstunden des 21. Februar 1990 einen seinen Eltern gehörigen Personenkraftwagen auf öffentlichen Straßen "ohne Fahrschein" in alkoholisiertem Zustand gelenkt und nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden - ohne Verletzung oder Tötung einer Person - den Unfallsort ohne Genehmigung der Polizeibehörden verlassen zu haben. Er wurde deshalb zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde die vorerwähnte gnadenweise bedingte Strafnachsicht widerrufen und ihre Vollstreckung angeordnet.

Zu ergänzen sind diese Feststellungen dahin, daß das erste, in Anwesenheit des Angeklagten verkündete Urteil ebenso in Rechtskraft erwachsen ist, wie auch die zweite in seiner Abwesenheit ergangene Entscheidung nach rumänischem Recht "endgültig geblieben" ist, da "kein Rückanspruch beantragt worden ist" (S 57).

Übereinstimmend mit der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien - und insoferne zutreffend - wurde die Ausflieferung zur Vollstreckung der Strafe aus der zweiten Verurteilung, die Taten betraf, die nach österreichischem Recht nur Verwaltungsübertretungen darstellen, mangels beiderseitiger (gerichtlicher) Strafbarkeit verneint. Darüber hinaus hielt das Oberlandesgericht aber auch die Auslieferung zur Vollstreckung der wegen Vergewaltigung verhängten Freiheitsstrafe für unzulässig, weil der Widerruf auf Grund eines Abwesenheitsurteils und mit diesem erfolgte. Es stehe auch nach den ergänzten Auslieferungsgrundlagen nicht fest, ob der Auszuliefernde die Möglichkeit hatte, an der Hauptverhandlung persönlich teilzunehmen und seine Verteidigungsrechte zu wahren, so daß die Beachtung des Art. 6 MRK nicht gesichert sei.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien steht insoweit mit dem Gesetz nicht im Einklang, als er auch die Auslieferung wegen der (restlichen) Freiheitsstrafe von vier Jahren, sieben Monaten und acht Tagen für unzulässig erklärt. Die Ausführungen des Beschlusses über die möglichen Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 MRK (§ 19 Z 1 ARHG) anläßlich der zweiten Verurteilung des Cezar Daniel P***** sind hinsichtlich der allein strittigen Frage der Auslieferung zur Vollstreckung der im ersten Urteil verhängten Strafe nur insofern von Bedeutung, als einerseits die zweite Verurteilung den Widerrufsgrund bildet und andererseits der mit ihr ausgesprochene Widerruf - wie die Verurteilung selbst - in Abwesenheit des Verurteilten erfolgte. Beide Gesichtspunkte sind aber zur Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze im Sinne des § 19 ARHG unbeachtlich.

Es ist davon auszugehen, daß die Auslieferung zur Vollstreckung der wegen Vergewaltigung verhängten, vier Monate übersteigenden Freiheitsstrafe von vornherein - auch nach der Argumentation des Oberlandesgerichtes - unbedenklich wäre, wenn diese unbedingt ausgesprochen worden wäre. Art. 6 Abs. 1 MRK findet nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane nur auf jene Phasen des Strafverfahrens Anwendung, in denen "über die Stichhaltigkeit der erhobenen strafrechtlichen Anklage entschieden wird" (Linke, Grundriß des Auslieferungsrechtes, S 59). Die dem Urteil nachfolgenden Entscheidungen einschließlich des Widerrufs einer bedingten Strafnachsicht fallen nicht (mehr) in den Schutzbereich der zitierten Norm (Hsg Golsang, Internationaler Kommentar zum Art. 6 MRK RN 182, 183, 218; Frowein/Paukert, MRK-Kommentar, S 121 (dd), 124 (bb); Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, S 95). Insbesondere kann keine Rede davon sein, daß ein Widerruf nur auf die neuerliche Begehung einer strafbaren Handlung gestützt werden dürfte; ist ein solcher Widerruf doch auch nach österreichischem Recht aus anderen Gründen zulässig (vgl. § 53 Abs. 3 StGB). Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit (§ 11 ARHG) bezieht sich demgemäß nur auf die strafbare Handlung, die Gegenstand der Strafverfolgung oder des zu vollstreckenden Urteils ist, nicht aber auf die ausschließlich nach dem Recht des ersuchenden Staates zu beurteilenden Widerrufsgründe.

Desgleichen steht der Auslieferung nicht entgegen, daß der Widerruf ohne Anhörung des Verurteilten in dessen Abwesenheit ausgesprochen wurde, eine Möglichkeit, die auch nach österreichischem Recht (§ 495 Abs. 3 StPO) gegeben ist (vgl. Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht S 61).

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien verletzt daher - zum Vorteil des Auszuliefernden - das Gesetz in den §§ 11 und 19 ARHG; dies war in Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Beschwerde festzustellen.

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