OGH 12Os26/90

OGH12Os26/907.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.Juni 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Lachner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pilnacek als Schriftführer in der Strafsache gegen Kurt S*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 16.November 1989, GZ 8 Vr 101/89-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Stöger, des Angeklagten Kurt S*** und des Verteidigers Dr. Weidinger zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagten wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB (II) und demzufolge auch im gesamten Strafausspruch sowie im Privatbeteiligtenzuspruch an Hildegard H*** aufgehoben und im Umfang der Aufhebung gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Kurt S*** wird von der Anklage, er habe am 3.November 1987 in Graz der Hildegard H*** durch die Vorgabe der Rückzahlungsfähigkeit binnen 3 Tagen ein Darlehen von 20.000 S herausgelockt und hiedurch das Vergehen des Betruges nach § 146 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die Privatbeteiligte Hildegard H*** wird mit ihren Ansprüchen gemäß § 366 Abs. 1 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

2. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird, soweit sie sich auf den Schuldspruch wegen des Vergehens des Betruges bezieht, auf die obige Entscheidung verwiesen; im übrigen wird sie verworfen.

3. Für die sonach aufrecht bleibenden Schuldsprüche wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB (I 1) sowie für das Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB (I 2) wird der Angeklagte gemäß §§ 28 Abs. 1, 207 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 (acht) Monaten verurteilt.

4. Mit ihren Berufungen (wegen Strafe) werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die Strafneubemessung, mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird der Angeklagte auf den Teilfreispruch und die Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg (§ 366 Abs. 1 StPO) verwiesen.

5. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 22.September 1952 geborene Kurt S*** wurde des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB (I.1.), des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB (I.2.) und des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB (II.) schuldig erkannt. Darnach hat er in Graz zwischen Mai 1987 und Mai 1988 in mehrfachen Angriffen seine am 4.Dezember 1983 geborene und sohin unmündige Stieftochter Doris S*** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er sie durch Aufforderungen und Versprechungen dazu veranlaßte, seinen entblößten Geschlechtsteil bis zur Erektion zu streicheln und zu betasten

(I.1. und 2.) und am 3.November 1987 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz (seine Schwiegermutter) Hildegard H*** unter der Vorspiegelung der Rückzahlung innerhalb von drei Tagen zur Gewährung eines Darlehens um 20.000 S, betrügerisch geschädigt (II).

Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 5, 5 a, 9 lit. a und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Aus deren Anlaß hat sich der Oberste Gerichtshof zunächst davon überzeugt, daß in Ansehung des Schuldspruches wegen des Vergehens des Betruges (II) das Strafgesetz zum Nachteil des Angeklagten unrichtig angewendet wurde.

Ausgehend davon nämlich, daß die Anzeige wegen des am 3. November 1987 an Hildegard H*** verübten Darlehensbetruges (Verjährungsfrist gemäß § 57 Abs. 3 StGB: ein Jahr) am 9. November 1988 - mithin erst nach Ablauf der Verjährungsfrist - bei der Staatsanwaltschaft einlangte (S 3 ON 17) und das teils auch innerhalb der Verjährungsfrist vom Angeklagten begangene Delikt der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 und 2 StGB (3 a E Vr 1038/88-5 des LG.f. Strafsachen Graz) - wie übrigens auch die unter I 1 und 2 genannten Schuldspruchsfakten - als nicht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhend, keine Ablaufhemmung der Verjährungsfrist nach § 58 Abs. 2 StGB bewirkt, kommt dem Angeklagten in diesem Faktum der Strafaufhebungsgrund der Verjährung zustatten; damit erweist sich der dennoch ergangene Schuldspruch als nichtig im Sinne des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO.

Da dieser Rechtsirrtum in der vom Angeklagten ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde nicht aufgegriffen wurde, war er gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen und spruchgemäß zu sanieren. Die Privatbeteiligten Hildegard H*** war mit ihren Ersatzansprüchen als Konsequenz des Freispruchs vom Anklagevorwurf des Betruges gemäß § 366 Abs. 1 StPO auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

Hingegen schlägt die gegen die weiteren Schuldsprüche gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten fehl:

Der in der Mängelrüge (Z 5) aufgestellten Behauptung zuwider finden die als erwiesen angenommenen, vom Angeklagten an seine Stieftochter gerichteten Aufforderungen (sein "Zipferl" in die Hand zu nehmen und daran zu ziehen, bis es groß war) nicht nur in den Bekundungen der Anzeiger Hildegard H*** und Stefan K*** Deckung; hat doch das Mädchen vom "Zipferl-Ziehen" nicht bloß bei der Polizei (S 19) und vor dem Untersuchungsrichter (S 24 und 26), sondern auch in der Hauptverhandlung (S 238) gesprochen. Weshalb es im übrigen "in sich widersprüchlich" sein soll, daß das Gericht sich einerseits auf die Aussagen der Anzeiger stütze, andererseits aber selbst zugebe, daß das Verhältnis zwischen Hildegard H*** und dem Angeklagten als feindlich zu bezeichnen sei, ist nicht einzusehen, weil es im Rahmen der Gesamtwürdigung der Depositionen einer Person keineswegs einen Widerspruch darstellt, wenn man unter Berücksichtigung eines sehr gespannten, wenn nicht gar als feindlich zu bezeichnenden Verhältnisses (S 245) letztlich doch zur Überzeugung gelangt, daß die Depositionen - trotz der Feindschaft - Glauben verdienen.

Frei von formalen Begründungsmängeln ist das Urteil aber auch in der Würdigung des Gutachtens des dem Verfahren beigezogenen psychologischen Sachverständigen Dr. Rudolf S***. Denn abgesehen davon, daß die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage ausschließlich dem erkennenden Gericht zusteht, welches hiebei an ein - ausnahmsweise eingeholtes - Sachverständigengutachten über die Aussagefähigkeit und -ehrlichkeit des Zeugen nicht gebunden, ja - im Gegensatz zu anderen Fällen der Erstattung von Gutachten durch Sachverständige - nicht einmal verpflichtet ist, darzulegen, weshalb es im einzelnen dem Gutachten nicht folgte (EvBl. 1972/69), hat das Schöffengericht vorliegend die Essenz der in der Beschwerde hervorgekehrten Passage des Sachverständigengutachtens ausdrücklich in seine Gesamtwürdigung miteinbezogen, indem es einräumte, eine direkte Beeinflussung der kindlichen Aussage im Sinne aktiver Suggestion durch Hildegard H*** und Stefan K*** sei (zwar) nicht anzunehmen, ..... eine indirekte und subtilere Einflußnahme bei der Erstschilderung des Tatherganges durch Doris S*** könne aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden, wodurch dem Kind nicht ganz verständliche Handlungszusammenhänge klarer erschienen, es jedoch dabei auch möglicherweise zu einer akzentuierteren und pointierteren Darstellung kam (S 248).

Der nicht weiter substantierten Tatsachenrüge (Z 5 a) genügt es, global zu erwidern, daß der Senat nach sorgfältiger Prüfung der Akten keinerlei Umstände wahrzunehmen vermochte, die geeignet gewesen wären, Bedenken gegen die entscheidungswesentlichen Tatsachenkonstatierungen des Schöffengerichts zu erwecken. Die gegen die Schuldsprüche wegen der §§ 207 und 212 StGB (I 1 und 2) gerichtete, nominell auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a und 11 StPO gestützten Rechtsrügen entbehren zur Gänze einer gesetzmäßigen Darstellung. Denn worin eine Nichtigkeit im Sinne der Z 11 der vorzitierten Gesetzesstelle gelegen sein soll, läßt sich den Beschwerdeausführungen nicht entnehmen, wogegen der Rechtsmittelwerber dort, wo er unter der Z 9 lit. a von bloß zufälligen "manuell-genitalen Kontakten" zwischen ihm und seiner unmündigen Stieftochter ausgeht und auf dieser Grundlage einen auf Verwirklichung der Tatbestände der §§ 207 Abs. 1 und 212 Abs. 1 StGB gerichteten Vorsatz verneint, die Urteilsfeststellungen übergeht, wonach er dem Mädchen seinen Geschlechtsteil in die Hand gegeben hatte und es bis zur Erektion daran ziehen mußte, er sodann das Kind gelobt und ihm eine Belohnung in Aussicht gestellt und für den Fall, daß es von diesen Vorfällen der Mutter erzähle, Ohrfeigen angedroht hatte (S 246, 249). Nach diesen Konstatierungen kann sohin von einem bloß zufälligen, also vom Angeklagten nicht bewußt herbeigeführten und auch von seinem Vorsatz nicht umfaßten Berühren seines Geschlechtsteils durch seine Stieftochter keine Rede sein. Da mit der Kassation des Schuldspruchs wegen Betruges (II) auch eine solche des (beiderseits mit Berufung angefochtenen) Strafausspruchs einhergeht, war die Strafe für die aufrecht bleibenden Schuldsprüche wegen §§ 207 Abs. 1 und 212 Abs. 1 StGB (I 1 und 2) neu zu bemessen. Hiebei waren erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen und die Fortsetzung der Tathandlungen durch längere Zeit, mildernd hingegen war kein Umstand.

Auf der Basis dieser Strafzumessungsgründe erschien dem Senat die aus dem Spruch ersichtliche Unrechtsfolge als der Tatschuld angemessen.

Eine bedingte Nachsicht dieser Strafe, ja auch nur eines Teiles derselben hielt der Senat angesichts der Wirkungslosigkeit der dem Angeklagten schon bisher wiederholt gewährten bedingten Strafnachsicht, die immer wieder widerrufen werden mußte (siehe das diesbezüglich zutreffende Berufungsvorbringen der Staatsanwaltschaft !), und des langen Zeitraums, über den sich die wiederholten Unzuchtsakte erstreckten, nicht für vertretbar. Mit ihren Berufungen (wegen Strafe) waren die Anklagebehörde und der Angeklagte auf die Strafneubemessung, mit seiner Berufung gegen den Privatbeteiligtenzuspruch war der Angeklagte auf den Teilfreispruch und auf die Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg (§ 366 Abs. 1 StPO) zu verweisen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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