OGH 12Os17/22z

OGH12Os17/22z31.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Kostersitz in der Strafsache gegen * R* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 20 Hv 43/21s des Landesgerichts Feldkirch, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des genannten Gerichts als Jugendschöffengericht vom 8. September 2021, GZ 20 Hv 43/21s‑15, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00017.22Z.0331.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 20 Hv 43/21s des Landesgerichts Feldkirch verletzt das Urteil dieses Gerichts vom 8. September 2021 (ON 15)

- im Schuldspruch I./ § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG;

- im Strafausspruch § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG;

- im Verfallserkenntnis gemäß § 20 Abs 3 StGB, § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 19 Abs 2 JGG iVm § 5 Z 6a JGG.

Dieses Urteil, das im Ausspruch über das Unterbleiben eines über den Betrag von 25.000 Euro hinausgehenden Verfalls und der Einziehung des sichergestellten Suchtgifts gemäß § 34 SMG unberührt bleibt, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Jugendschöffengericht (vgl ON 1 S 5) vom 8. September 2021, GZ 20 Hv 43/21s‑15, wurde * R* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./) schuldig erkannt und zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

[2] Danach hat er in S* und an anderen Orten vorschriftswidrig

I./ im Zeitraum November 2019 bis 23. April 2021 Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen durch Verkauf überlassen, und zwar ca 11,6 Kilogramm Cannabis, beinhaltend an Reinsubstanz zumindest 155 Gramm Delta-9-THC und 2.030 Gramm THCA;

II./ im Zeitraum von November 2014 bis 23. April 2021 Suchtgift erworben und besessen, und zwar THCA beinhaltendes Cannabis und Kokain, wobei er die Straftaten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangen hat.

[3] Nach § 34 SMG iVm § 26 Abs 1 StGB zog das Gericht „das sichergestellte Suchtgift zu Standblatt Nr 711/21“ ein, konfiszierte gemäß § 19a Abs 1 StGB ein Mobiltelefon des Angeklagten und erklärte gemäß § 20 Abs 1 StGB sichergestelltes Bargeld in Höhe von 150 Euro und gemäß § 20 Abs 3 StGB einen Betrag von 25.000 Euro für verfallen, während es von einem darüber hinausgehenden Verfall gemäß § 20a Abs 3 StGB absah.

[4] Während der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtete (ON 14 S 5), erhob die Staatsanwaltschaft Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe; ON 14 S 5, ON 17), über die das Oberlandesgericht Innsbruck (AZ 7 Bs 271/21t) noch nicht entschieden hat.

Rechtliche Beurteilung

[5] Das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 8. September 2021, GZ 20 Hv 43/21s‑15, steht – wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt – mit dem Gesetz mehrfach nicht im Einklang:

[6] 1./ Nach den Feststellungen des Schöffengerichts zu Schuldspruch I./ überließ der Angeklagte das Suchtgift sukzessive in für sich genommen die Grenzmenge (§ 28b SMG) nicht erreichenden Mengen (vgl US 3 bis 5). Zur subjektiven Tatseite trafen die Tatrichter lediglich die Feststellung, wonach der Angeklagte wusste, „dass er den bestehenden Vorschriften des österreichischen Suchtmittelgesetzes zuwider die genannten Suchtgifte in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überließ“ und dies auch wollte (US 4).

[7] § 28a Abs 4 Z 3 SMG stellt angesichts fehlender Gewerbsmäßigkeitsqualifikation eine besondere Art von Zusammenrechnungsgrundsatz für jeweils große Mengen („die Straftat nach Abs 1“ des § 28a SMG) – vergleichbar dem für wert- und schadensqualifizierte Delikte geltenden § 29 StGB – dar (RIS-Justiz RS0117464).

[8] Die Begründung mehrerer nach § 28a Abs 1 SMG strafbarer Handlungen durch sukzessive Begehung in Form tatbestandsmäßiger Manipulation (hier: Überlassen) je für sich die Grenzmenge nicht übersteigender Suchtgiftquanten kommt seit der Entscheidung eines verstärkten Senats zu AZ 12 Os 21/17f nur mehr dann in Betracht, wenn – insbesondere zufolge Fehlens insgesamt einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage (vgl RIS-Justiz RS0122006) – nicht eine, sondern mehrere tatbestandliche Handlungseinheiten vorliegen. Von diesem Fall abgesehen, kann die Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG bei dieser Art der Delinquenz nur durch eine Tat (in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit) verwirklicht werden (RIS‑Justiz RS0131856 [T1, T4], RS0133289). Dies würde die Konstatierung erfordern, dass die kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von Anfang an vom Vorsatz des Täters umfasst waren.

[9] Die Feststellungen des Schöffengerichts tragen den Schuldspruch nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG daher nicht.

[10] 2./ Nach (der § 5 Z 11 JGG nachgebildeten Regelung des) § 19 Abs 3 JGG richten sich die Strafdrohungen, wenn Werte oder Schadensbeträge einer Straftat, die vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres begangen wurde, mit jenen einer Straftat, die nach diesem Zeitpunkt begangen wurde, zusammenzurechnen (§ 29 StGB) sind, nach § 19 Abs 1 JGG; begründet jedoch allein die Summe der Werte oder Schadensbeträge der nach dem genannten Zeitpunkt begangenen Straftaten eine höhere Strafdrohung, so ist diese maßgeblich. Diese Grundsätze sind auch bei der Zusammenrechnung von Mengen im Suchtmittelbereich anzuwenden (Schroll in WK² JGG § 5 Rz 6; Jesionek/Edwards/Schmitzberger, JGG5 § 5 Anm 73).

[11] Dementsprechend ist § 19 Abs 1 JGG bei altersübergreifender Delinquenz erst dann nicht mehr anzuwenden, wenn der Erwachsene, der das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, seine zuvor begonnenen Suchtmitteltransaktionen weiterhin mit Additionsvorsatz durchführt und auch in dieser Alterskategorie die herangezogene Mengenqualifikation (hier nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG) überschreitet (vgl Schroll in WK² JGG § 5 Rz 6/3; RIS‑Justiz RS0131430 [T1]).

[12] Die Konstatierungen im angefochtenen Urteil, wonach der am 2. November 1999 geborene * R* von November 2019 bis 23. April 2021 insgesamt das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge des § 28b SMG überschreitende Mengen Cannabiskrauts anderen überließ (US 3 f), vermögen die unterbliebene Anwendung der Strafrahmenbestimmung des § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 (in Bezug auf den Entfall des Mindestmaßes der angedrohten Freiheitsstrafe) JGG nicht zu tragen, weil sie keine Aussage dazu treffen, dass die vom Angeklagten nach Ablauf des 2. November 2020, sohin nach Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres (vgl Schroll in WK² JGG § 1 Rz 1/1) begangenen Tathandlungen per se eine Überschreitung der Mengenqualifikation des § 28a Abs 1, Abs 4 Z 3 SMG bewirkt hätten (vgl § 5 Z 11 zweiter Halbsatz JGG). Ist dies jedoch nicht der Fall, wäre vom Entfall des in § 28a Abs 4 Z 3 SMG festgelegten Strafmindestmaßes auszugehen (vgl Schroll in WK² JGG § 19 Rz 6).

[13] Indem das Landesgericht Feldkirch als Jugendschöffengericht bei der Strafbemessung von einem Strafrahmen von einem bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe ausging (US 6) und § 19 JGG unberücksichtigt ließ, verletzte es das Gesetz in § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG.

[14] 3./ Bei zur Tatzeit Jugendlichen und jungen Erwachsenen (§ 19 Abs 2 JGG) ist laut der durch das JGG‑ÄndG 2015 in § 5 Z 6a JGG eingeführten „Härteklausel“ anhand einer umfassenden tat- und täterbezogenen Betrachtung zu prüfen, ob der Wertersatzverfall nach § 20 Abs 3 StGB aus Gründen der Billigkeit zu mindern ist. Da es sich dabei um eine vermögensrechtliche Anordnung betreffende Ermessensausübung handelt, ist diese gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO im Urteil zu begründen (RIS-Justiz RS0133834).

[15] Indem das Landesgericht Feldkirch als Jugendschöffengericht zum auf § 20 Abs 3 StGB gestützten Verfallserkenntnis hinsichtlich eines Betrags von 25.000 Euro eine solche Begründung unterließ, verletzt dieser Verfallsausspruch § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 19 Abs 2 JGG iVm § 5 Z 6a JGG.

[16] Da die genannten Gesetzesverletzungen geeignet sind, sich zum Nachteil des Angeklagten * R* auszuwirken, war deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).

[17] Ferner bedingt die Aufhebung des Schuldspruchs I./ mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 35, 37 SMG auch die Kassation des Schuldspruchs II./ (RIS-Justiz RS0119278; RS0115884 [T7]; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 18), wovon aber – anders als das Verfallserkenntnis gemäß § 20 Abs 1 StGB (US 2 und 7) – die Einziehung des sichergestellten Suchtgifts (US 2 und 3: 68,4 Gramm Cannabis und 1,4 Gramm Kokain) unberührt bleibt (RIS‑Justiz RS0088115).

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