OGH 12Os159/89

OGH12Os159/8921.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Dezember 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Salat als Schriftführerin in der Strafsache gegen Robert H*** und Norbert M*** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Robert H*** und Norbert M*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19.September 1989, GZ 3 b Vr 6226/89-34, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, des Angeklagten Norbert M*** und des Verteidigers Dr. Amhof, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Robert H*** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am 16.September 1968 geborene Arbeiter Robert H*** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (nF) und der am 22.Jänner 1970 geborene Maurer Norbert M*** des Vergehens der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB (aF) als Beteiligter gemäß § 12 (dritter Anwendungsfall) StGB schuldig erkannt.

Darnach hat Robert H*** am 22.Juni 1989 in Wien die 17-jährige Natascha P*** mit Gewalt und gefährlicher Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und (gemeint: oder) Leben, indem er sie an den Armen erfaßte, in seine Wohnung zerrte, dort mehrmals auf das Bett warf, ihr Stöße gegen den Körper versetzte, sie auszog und äußerte, ihm sei alles "wurscht", weil er ohnedies in den "Häfn" gehe, zur Duldung eines Geschlechtsverkehrs genötigt (A). Dem Angeklagten Norbert M*** wird angelastet, zur Ausführung einer dieser Tat des Robert H*** nachfolgenden (für diesen straflosen) Nachtat, nämlich der durch Gewalt und durch gefährliche Drohung bewirkten Nötigung der Natascha P*** zur Unzucht durch Abgreifen ihres Körpers, insbesondere an ihrer Brust, dadurch beigetragen zu haben, daß er Natascha P***, als diese aufstehen wollte, auf das Bett zurückstieß (B).

Beide Angeklagte bekämpfen das Urteil mit (getrennt ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden. Von Robert H*** werden die Gründe des § 281 Abs 1 Z 4 und 5 a, von Norbert M*** jene der Z 5, 9 lit a und 10 der genannten Gesetzesstelle geltend gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Zur Beschwerde des Angeklagten H***:

Gerügt wird, daß das Erstgericht seine Pflicht zur amtswegigen Wahrheitserforschung verletzt habe, weil weder ein Lokalaugenschein vorgenommen, noch überprüft wurde, ob Natascha P*** allenfalls ein plausibles Motiv für eine Falschbeschuldigung gehabt haben könnte; ferner, weil weder bei der Heimleitung (über die den Heimbewohnern erlaubten Ausgangszeiten) nachgeforscht, noch ein psychologisches Sachverständigengutachten über die Zeugin eingeholt wurde.

Der Nichtigkeitswerber übersieht hier, daß die unvollständige Ausschöpfung möglicher Beweisquellen auch seit Einführung des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO durch das StRÄG 1987 grundsätzlich nur aus der Z 4 unter der Voraussetzung einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung gerügt werden kann und nur schwerwiegende Mängel der Sachverhaltsermittlung, die erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen erwecken, Nichtigkeit gemäß der Z 5 a begründen können (EvBl 1988/108). Wenn das Erstgericht die Sachverhaltsschilderung der Natascha P*** im Kern für glaubwürdig erachtet hat, war es demnach bei Beachtung der §§ 3, 232 Abs 2, 254 StPO nicht verpflichtet, von Amts wegen weitere Beweise über deren Verläßlichkeit und Beweiskraft aufzunehmen.

Die Beschwerdeausführungen vermögen aber auch keine Bedenken gegen die Heranziehung der die Aussage der Natascha P*** als Feststellungsgrundlage zu erwecken. Wurden doch die Verantwortungen der beiden Angeklagten, wonach das Mädchen nicht unter Gewaltanwendung oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung eines Geschlechtsverkehrs genötigt worden sei, sondern sich nach einem "Strip-Poker" dem Robert H*** freiwillig hingegeben habe, für widerlegt erachtet. In den Urteilsgründen finden sich dazu ausführliche Erörterungen auf der Grundlage aller wesentlichen Verfahrensergebnisse, wobei das Gericht (ua) hervorhob, daß kein Motiv für eine Falschbelastung erkennbar ist, Natascha P*** sich bei der Rückkehr in das Wohnheim in verstörtem Zustand befand, sodann gemeinsam mit einer Erzieherin, der sie sich anvertraut hatte, die Anzeige erstattete und bei der ärztlichen Versorgung Verletzungen - Kratzwunden am Unterarm - aufwies (S 208 f). Es wurde auch keineswegs übersehen, daß die Aussage der Natascha P*** einige Widersprüche und Ungereimtheiten - etwa hinsichtlich der Zeitangaben, ihres Verhaltens vor und unmittelbar nach dem Betreten der Wohnung des Robert H*** und der Tatbeteiligung des Norbert M*** - aufweist, doch hat das Gericht in durchaus schlüssiger Weise dargelegt, aus welchen Erwägungen es dieser Zeugin dennoch Glauben geschenkt hat (S 209 ff). Es trifft sohin nicht zu, daß die - lediglich illustrativ herangezogene - "kriminelle Vorgeschichte" des Robert H*** als "Beweis" gewertet wurde; zudem war das Gericht durchaus berechtigt, auf Parallelitäten mit jenem Vorfall hinzuweisen, der dem Verfahren 19 U 258/88 des Strafbezirksgerichtes Wien zugrunde lag (S 209). Daß sich das "geistig keineswegs besonders wendige" Mädchen (S 208) nicht schon vor dem unfreiwilligen Betreten des Wohnhauses des H*** und auch nicht unmittelbar danach um fremde Hilfe bemüht hat, blieb gleichfalls nicht unberücksichtigt; das Unterlassen von Hilferufen in der Vorphase des kriminellen Geschehens und bei der Tat selbst erlaubt, so das Erstgericht, schon nach allgemeiner Lebenserfahrung keinen allgemein gültigen Rückschluß auf ein Einverständnis mit einem (nachfolgenden oder aktuell vollzogenen) Geschlechtsverkehr (S 210 f).

Wenn das Schöffengericht daher bei der Gesamtbeurteilung der aktenkundigen Verfahrensergebnisse unter Verwertung des in der Hauptverhandlung von den vernommenen Personen gewonnenen persönlichen Eindrucks der Tatschilderung der Zeugin P***, soweit sie sich auf das Tatverhalten des Robert H*** bezog, gegenüber der Darstellung der Angeklagten den Vorzug gab, ist diese Würdigung einer Nachprüfung im Rahmen der Tatsachen- und Beweisrüge nicht zugänglich. Das Beschwerdevorbringen ist demnach nicht geeignet, die Vertretbarkeit der entscheidungswesentlichen Tatsachenannahmen ernstlich in Frage zu stellen. Daß die Angeklagten in der irrtümlichen Vorstellung befangen waren, Natascha P*** habe sich freiwillig zu einem Geschlechtsverkehr mit Robert H*** bereitgefunden, ihre Weigerung sei also nicht ernst gemeint gewesen, wurde von den Tatrichtern auf Grund des gesamten Geschehnisablaufes schlechthin ausgeschlossen (S 215).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H*** erweist sich sonach als unbegründet.

Zur Beschwerde des Angeklagten M***:

Der Beschwerdeführer vermißt zum einen eine Begründung für die Annahme, er habe Natascha P*** mit dem Vorsatz auf das Bett zurückgestoßen, um die Vornahme unzüchtiger Handlungen an ihr durch H*** zu unterstützen. Zum anderen bezeichnet er die Urteilsbegründung als unvollständig, weil sich das Schöffengericht nicht mit den Widersprüchen in den Angaben der Zeugin P*** über Art und Umfang seiner (angeblichen) Tatbeteiligung auseinandergesetzt habe.

Soweit der Angeklagte M*** damit jene Tatsachenfeststellungen in Zweifel zieht, denen zufolge Natascha P*** den Geschlechtsverkehr mit Robert H*** nicht freiwillig, sondern erst nach Nötigung mit Gewalt vollzogen hat, kann auf die diesbezügliche Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H*** verwiesen werden. Im übrigen blieb in den Urteilsgründen nicht unerwähnt, daß das Mädchen seine bei der polizeilichen Vernehmung und bei der ersten Einvernahme durch den Untersuchungsrichter aufgestellte Behauptung, beide Angeklagten hätten sie gemeinsam am Fortgehen gehindert, indem sie sie mehrmals abwechselnd auf das Bett niederwarfen (S 57, 93), nicht aufrechterhalten, sondern dahin berichtigt hat, daß Norbert M*** nur ein einziges Mal eingegriffen habe (S 93 a), als Robert H*** nach Abbrechen des Geschlechtsverkehrs sie an der Brust (zwecks Vorbereitung eines weiteren Geschlechtsverkehrs) abtastete (S 179 f, 190). Im Zweifel folgte das Gericht dieser letzteren, für Norbert M*** günstigeren Tatversion (S 207, 211 f). Der Beschwerde zuwider wurden demnach keine den Angeklagten M*** betreffenden wesentlichen Verfahrensergebnisse übergangen.

Die Beurteilung seines Vorgehens als "gewollte Hilfestellung" zugunsten seines Freundes H*** wurde vom Gericht nicht bloß auf die Aussage der Zeugin P*** gestützt, die über das innere Vorhaben des Beschwerdeführers naturgemäß nur Vermutungen anstellen konnte, sondern beruht vor allem auf der schlüssigen Überlegung, daß dieser Angeklagte bei dem vorhergegangenen Tatgeschehen zeitweilig zugegen war und die Zwangslage des Opfers erkannt, es aber bewußt unterlassen hat, dem Mädchen zu Hilfe zu kommen (S 206 f, 215). Für die Annahme, daß der Einsatz von Gewalt durch M*** auf die Erleichterung weiterer Unzuchtshandlungen durch H*** abzielte, wurde daher eine mängelfreie Begründung gegeben.

Verfehlt ist schließlich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10 StPO (der Sache nur auf den erstbezeichneten Grund) gestützte Rechtsrüge, Beteiligung an der Nötigung zur Unzucht könne deshalb nicht angenommen werden, weil sich das Verhalten des M*** nur auf eine straflose Nachtat des Mitangeklagten H*** bezogen habe. Gewiß sind die einem erzwungenen (vollendeten oder versuchten) Beischlaf nachfolgenden Unzuchtshandlungen, die einem einheitlichen, auf die Erzwingung eines geschlechtlichen Mißbrauchs gerichteten Tätervorsatz entspringen, nicht gesondert strafbar, sondern durch Subsumtion unter den Tatbestand der Vergewaltigung (§ 201 Abs 1 oder Abs 2 StGB nF) bzw. bei Anwendung der bis zum Inkrafttreten des StRÄG 1987 bestandenen Rechtslage unter die Tatbestände der Notzucht (§ 201 Abs 1 StGB aF) oder der Nötigung zum Beischlaf (§ 202 Abs 1 StGB aF) konsumiert. Beruhen dagegen Unzuchtsakte in der Nachphase des erzwungenen Beischlafs auf gesonderten Willensentschlüssen, ist Realkonkurrenz mit geschlechtlicher Nötigung (§ 202 StGB nF) bzw., nach altem Recht, mit Zwang zur Unzucht (§ 203 StGB aF) oder Nötigung zur Unzucht (§ 204 StGB aF) anzunehmen.

Im vorliegenden Fall ist das Erstgericht in tatsachenmäßiger Beziehung davon ausgegangen, daß Robert H*** nach vollzogenem, jedoch ohne Samenerguß beendetem Geschlechtsverkehr seine sexuellen Angriffe mit dem Ziel eines weiteren Geschlechtsverkehrs fortgesetzt (S 207), mithin auf die Erzwingung eines Beischlafs gerichtete Unzuchtshandlungen unternommen hat, die rechtlich als der vollendeten Vergewaltigung nachfolgender, auf einem selbständigen Willensentschluß fußender Vergewaltigungsversuch hätten gewertet werden können. Diese Frage kann indes bei der Beurteilung des Tatverhaltens des Angeklagten M*** auf sich beruhen:

Nach § 13 StGB bestimmt sich die Strafbarkeit jedes Tatbeteiligten nach seiner jeweiligen Schuld. Die strafrechtliche Haftung eines Beitragstäters ist folglich nicht davon abhängig, ob der unmittelbare Täter für die Tat, an deren Ausführung der andere mitwirkt, selbständig strafbar ist. Genug daran, daß die Tat das Versuchsstadium erreicht hat und im Zeitpunkt des Tatbeitrages noch nicht abgeschlossen ist. Bei der hier gegebenen Fallkonstellation kam demnach Beitragstäterschaft in Ansehung aller auf den geschlechtlichen Mißbrauch des Opfers gerichteten Deliktsakte des unmittelbaren Täters unabhängig von dessen (gesonderter) Strafbarkeit in Betracht. Ist daher nach Überzeugung des Schöffengerichtes Norbert M*** in einem Zeitpunkt tätig geworden, in dem aus seiner Sicht der Geschlechtsverkehr bereits beendet und die Tat des Robert H*** in das Stadium einer "Nachphase der Tat" gelangt war (S 216), so hat er durch die Ausübung physischer Gewalt, seinem Vorsatz entsprechend, zumindest Beteiligung gemäß dem dritten Anwendungsfall des § 12 StGB zur geschlechtlichen Nötigung im Sinne des § 202 Abs 1 StGB nF bzw. zu einer Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB (aF) zu verantworten. Da seine Handlungsweise in beiden Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren bedroht ist, wäre rechtsrichtig nicht § 204 Abs 1 StGB (aF), sondern der zur Zeit der Urteilsfällung bereits geltende § 202 Abs 1 StGB nF anzuwenden gewesen (§ 61 StGB); mangels eines Nachteils für den Angeklagten M*** bietet dieser von ihm unbekämpft gebliebene Subsumtionsfehler aber keinen Anlaß für eine Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 StPO. Auch die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten M*** war daher zu verwerfen.

Zu den Berufungen der Angeklagten:

Das Schöffengericht verhängte über die beiden Angeklagten unbedingte Freiheitsstrafen, und zwar über Robert H*** nach § 201 Abs 2 StGB (nF) eine solche von achtzehn und über Norbert M*** nach § 204 Abs 1 StGB (aF) eine solche von fünf Monaten. Als erschwerend wertete es bei beiden Angeklagten die einschlägigen Vorstrafen und den raschen Rückfall (bei H*** noch am Tag seiner letzten Verurteilung !), als mildernd dagegen das Alter der Angeklagten unter einundzwanzig Jahren und bei M***, daß er bloß Beihilfe geleistet habe.

Die Berufungen der Angeklagten, mit denen sie eine Strafherabsetzung und die Gewährung einer (H***:) teilweise bzw. (M***:) zur Gänze bedingten Strafnachsicht anstreben, sind nicht begründet.

Der Meinung des Angeklagten H*** zuwider wurde seine Alkoholisierung zur Tatzeit mit Recht nicht als mildernd berücksichtigt, weil eine dadurch allenfalls bedingte Herabsetzung seiner Zurechnungsfähigkeit durch den aktenkundigen, einen schwerwiegenden Vorwurf im Sinne des § 35 StGB indizierenden Umstand (siehe insbes. S 13 und 21 in 19 U 258/88 und S 11 in 19 U 680/87 des Strafbezirksgerichtes Wien) aufgewogen wird, daß er um die enthemmende Wirkung des Alkohols auf seine Person wußte. Fehl geht dieser Angeklagte aber auch mit seiner Ansicht, er sei nicht einschlägig vorbestraft; denn sowohl in seinem vorliegend inkriminierten Verhalten als auch in den Taten, die zu seinen Verurteilungen wegen Körperverletzung führten, kam sein Hang zur Gewalttätigkeit zum Ausdruck (EvBl 1977/46).

Da die übrigen von den Berufungswerbern relevierten Milderungsgründe vom Erstgericht ausdrücklich mitgewürdigt wurden, bedürfen mithin die oben wiedergegebenen Strafzumessungsgründe keiner Korrektur. Geht man aber davon aus, erweisen sich die geschöpften Unrechtsfolgen einer Ermäßigung unzugänglich. Das einschlägig getrübte Vorleben der beiden Angeklagten steht aber auch der Gewährung einer bedingten (M***) bzw. einer teilbedingten (H***) Strafnachsicht mangels der Voraussetzungen des § 43 StGB entgegen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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