Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem schuldig sprechenden Teil sowie im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung und der Abschöpfung der Bereicherung) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch enthält, wurde Mag. Gisela G***** des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG (A./1./ und A./2./) sowie des Vergehens (richtig: der Vergehen) nach § 114 Abs (1 und) 3 erster Satz FPG idF BGBl I Nr 100/2005 (B./1./ und B./2./) schuldig erkannt.
Danach hat sie in Innsbruck, am Grenzübergang Brennerpass und an anderen Orten
A./ den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge eingeführt, und zwar
1./ zu einem datumsmäßig nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt ca im Mai 2005 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den gesondert verfolgten Rachid M***** und Abdul Rahim El B***** als Mittäter (§ 12 StGB) durch Schmuggel von ca 1 kg Haschisch und 25 g Kokain guter Qualität von Bozen über den Grenzübergang Brennerpass nach Innsbruck;
2./ zu einem datumsmäßig nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Mai/Juni 2006 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Hakim S***** als Mittäter (§ 12 StGB) durch Schmuggel von ca 70 g Kokain (reines Kokain 24,34 g) von Bologna über den Grenzübergang Brennerpass nach Innsbruck;
B./ (erg: wissentlich; vgl US 10, 14) die rechtswidrige Einreise (eines Fremden) in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union und Nachbarstaat Österreichs gefördert, und zwar:
1./ indem sie den Nordafrikaner Hicham Ba***** mit ihrem Pkw von Italien nach Innsbruck verbrachte;
2./ indem sie Abdullah Z***** mit ihrem Pkw von Tirol nach Italien verbrachte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
Zum Schuldspruch B./1./ ist der Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) des Wissens der Angeklagten um die rechtswidrige Einreise des Hicham Ba***** berechtigt, kann doch bloß daraus, dass „sie ihn für 150 Euro vom Brenner, sohin von Italien aus, abholte und nach Innsbruck schleppte“, keineswegs logisch und empirisch einwandfrei darauf geschlossen werden, sie habe „naturgemäß“ gewusst, Ba***** habe über kein gültiges Aufenthaltsdokument in Österreich verfügt (vgl US 14; wobei auch die Annahme des Fehlens eines solchen nicht nachvollziehbar ausschließlich auf dessen vier- bis fünfmonatigen Aufenthalt in Italien gestützt wurde).
Ferner weist die Rüge zutreffend darauf hin, die Tatrichter hätten die Schleppung des Hicham Ba***** ausschließlich darauf gestützt, dass ihn der Zeuge Abramo H***** als von der Angeklagten Geschleppten wiedererkannte (US 13). Dessen Angaben in der Hauptverhandlung (unter Vorhalt der von ihm anlässlich seiner Vernehmung durch die Polizei wiedererkannten Personen (ON 21, S 333), er könne bezüglich dieser Schleppungen nichts aus eigener Wahrnehmung sagen, er habe das nur vom Hörensagen (ON 229, S 3), hat das Schöffengericht jedoch insoweit unberücksichtigt gelassen. Demgegenüber hat es im Umfang der vom Vorwurf der Schlepperei ergangenen Freisprüche aber sehr wohl erwogen, es könne ein Schuldspruch nicht alleine auf die Angaben dieses Zeugen gestützt werden, weil er bei den Schleppereien nicht dabei war, sondern Angaben vom Hörensagen tätigte (US 16).
Zum Schuldspruch B./2./ (Schleppung des Abdullah Z*****) macht die Beschwerdeführerin gleichermaßen zutreffend Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) infolge unzureichender Auseinandersetzung mit divergierenden Zeugenaussagen geltend: Die Feststellungen, dass Abdullah Z***** kein italienisches Aufenthaltsdokument mit sich führte und die Angeklagte wusste, dass die Einreise des Genannten nach Italien rechtswidrig sein würde (US 10, 14), stützte das Schöffengericht auf Schilderungen der Zeugin Amira A***** (US 13 f; S 243/I), ohne auf die (gegenteilige) Aussage des Abdullah Z***** in der Hauptverhandlung einzugehen, wonach er selbst der Beschwerdeführerin gefälschte Aufenthaltsdokumente vorgewiesen habe (ON 229, S 7 f). Diese Aussage wäre aber ihrer Tendenz nach geeignet gewesen, die Angeklagte zumindest in subjektiver Hinsicht (nämlich vom Vorwurf der Wissentlichkeit) zu entlasten, blieb aber - wie die Beschwerde zu Recht bemängelt - unerwähnt.
Zum Schuldspruch A./2./ zeigt die Beschwerde (Z 9 lit a, dSn Z 10) zutreffend auf, dass sich die tatrichterlichen Feststellungen, wonach der Beschwerdefüherin der Umstand der Einfuhr einer die Grenzmenge überschreitenden Menge bewusst, jedoch egal war (US 9, 17), auf die Wiedergabe der verba legalia beschränken, sodass es ihnen dergestalt an dem unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion gebotenen Sachverhaltsbezug mangelt (13 Os 99/09x; 14 Os 6/09d; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8), ist doch gesetzlicher Anknüpungspunkt für die Bestimmung der Grenzmenge die Reinsubstanz des Wirkstoffs des jeweiligen Suchtgifts (§ 28b erster Satz SMG).
Im Übrigen weist die Rüge im Ergebnis zutreffend darauf hin, dass sich aus der auf die - auch Laien bekannte - Lebenserfahrung gestützten Überlegung, Suchtgiftbeschaffungsfahrten würden nur wegen größerer Mengen (ersichtlich gemeint Bruttomengen), und zwar „betreffend Haschisch teilweise im Kilogrammbereich und betreffend Kokain im zumindest zweistelligen Grammbereich durchgeführt“ (US 15, vgl auch US 17), im Einklang mit den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungen keineswegs der Schluss ziehen lässt, eine die Grenzmenge überschreitende Reinsubstanz des tatverfangenen Kokains sei vom zumindest bedingten Vorsatz der Angeklagten umfasst gewesen.
Zu A./1./ war aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überdies von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) wahrzunehmen (Z 10), dass durch die tatrichterlichen Ausführungen, wonach „exakte Mengen und ein exakter Reinheitsgehalt der von Abdul Rahim El B***** zusammen mit Rachid M***** geschmuggelten Suchtgifte naturgemäß nicht feststellbar“ seien, jedenfalls aber „von einer die Grenzmenge überschreitende Menge (§ 28b) auszugehen“ sei (US 8, 13), was der Angeklagten bewusst gewesen sei und sie billigend in Kauf genommen habe (US 8, 15), keine Konstatierungen zum Reinheitsgehalt und einem darauf bezogenen Vorsatz getroffen wurden. Da Haschisch (20 g THC) und Kokain (15 g) auch unterschiedliche Grenzmengen aufweisen, wäre eine Präzisierung der Urteilsannahmen erforderlich gewesen, ob jedenfalls im Wege der Zusammenrechnung der bei einer Fahrt nach Österreich eingeführten Suchtgifte zumindest ein Verbrechen nach § 28a Abs 1 zweiter Fall SMG verwirklicht wurde (vgl Litzka/Matzka/Zeder, SMG² § 28b Rz 14).
Dass die Erreichung der von § 28a SMG vorausgesetzten Suchtgiftmengen erst durch die Zusammenrechnung der Mengen aus mehreren Einzeltaten (A./1./ und A./2./) bewirkt wurde, ist dem Urteil nicht zu entnehmen und hätte zur Voraussetzung, dass eine kontinuierliche Begehung und der daran geknüpfte Additionseffekt von vornherein vom Vorsatz umfasst sind (13 Os 99/09x). Hiezu trifft die angefochtene Entscheidung aber keine Aussage.
Da die aufgezeigte Nichtigkeit zur Aufhebung sämtlicher Punkte des Schuldspruchs zwingt, erübrigt sich ein Eingehen auf die übrigen Einwände.
Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der aus Z 3 behaupteten Unvollständigkeit des Urteilstenors und dem bemängelten Widerspruch zwischen Urteilstenor und Entscheidungsgründen sowie den darauf gegründeten Ausführungen von Mängel- und Sanktionsrüge (Z 5 und 11) infolge der zwischenzeitig mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 10. November 2009 vorgenommenen, unbekämpft gebliebenen Urteilsangleichung („Berichtigungsbeschluss“ ON 248) der Boden entzogen ist.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass war das angefochtene Urteil daher bereits in nichtöffentlicher Beratung in seinem schuldig sprechenden Teil sowie im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung sowie der Abschöpfung der Bereicherung) aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zu verweisen (§ 285e StPO).
Sollte im zweiten Rechtsgang zu B./ ein Bereicherungsvorsatz der Angeklagten (schon im Hinblick auf den festgestellten Fuhrlohn) als erwiesen angenommen werden, steht das Verschlechterungsverbot des § 290 Abs 1 StGB einer Subsumtion unter § 114 Abs 2 FPG idF vor BGBl I 2009/122 nicht entgegen, weil sich dieses allein auf den Sanktionsbereich bezieht (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 31 ff).
Schließlich fehlen in Ansehung der Annahme des § 114 Abs 3 erster Satz FPG aF bislang zureichende Feststellungen, die die Beurteilung zulassen, welcher innerhalb der letzten fünf Jahre erfolgten Verurteilung ein dem Abs 2 leg cit unterfallender Tatvorwurf zu Grunde lag (vgl US 7, 10 und 18 sowie die Punkte 6 und 7 der Strafregisterauskunft ON 216).
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Innsbruck auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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