Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugemittelt.
Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Carmelo S***** wurde (I.) des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie der Vergehen (II.) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB und (III.) der versuchten Nötigung nach § 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in F***** und W*****
I. von 1991 bis 31. August 1995 an seiner am 31. August 1981 geborenen, somit (damals) unmündigen Stieftochter Stefanie H***** wiederholt geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er sie veranlasste, sein erregtes Glied anzufassen und daran bis zum Samenerguss zu reiben und sie in regelmäßigen Abständen, zeitweise täglich, ober- und unterhalb der Kleidung an der Brust und an der Scheide betastete;
II. von Dezember 1992 bis Dezember 1997 durch die zu I. beschriebenen Tathandlungen sowie dadurch, dass er Stefanie H***** einmal veranlasste, Eis, das er auf sein Glied aufgebracht hatte, abzuschlecken und sein Glied in den Mund zu nehmen sowie ihre Scheide mit seiner Zunge berührte, sein Stiefkind wiederholt zur Unzucht missbraucht;
III. Stefanie H***** durch die Äußerung, wenn sie etwas von den Unzuchtshandlungen erzählen sollte, werde er sie vom Balkon hinunterwerfen, somit durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich der Weitergabe ihrer diesbezüglichen Erfahrungen an Dritte, zu nötigen versucht.
Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.
Rechtliche Beurteilung
Soweit die Verfahrensrüge (Z 4) nicht schon aus formellen Gründen versagt, weil über die damit geltend gemachten Modalitäten des Vorverfahrens mangels Antragstellung während der Hauptverhandlung kein negatives Zwischenerkenntnis erging, ist sie unbegründet. Der Umstand, dass Stefanie H***** im Sinne ihrer Aussage (285, 286) im Oktober 1998 aus Anlass eines Besuches bei Freunden erfuhr, dass der Angeklagte in ihrem Bekanntenkreis das Gerücht verbreitet hatte, sie sei ein "Flittchen" und sie sich nach langem Zögern schließlich deshalb zur Anzeigeerstattung entschloss, wird auch von der Zeugin Mag. Silvia F***** bestätigt, die sich insoweit auf die damalige Begleitung des Mädchens durch eine Betreuerin der Mädchenwohngemeinschaft "M*****" beruft (218). Ob das Tatopfer, wie es behauptete (286), dieses als ehrverletzend empfundene Verhalten demnach tatsächlich auch von Bettina S***** erfuhr und ob das Gerücht wirklich vom Beschwerdeführer in Umlauf gesetzt worden war, ist bei dieser Sachlage - wie das Erstgericht richtig erkannte (US 22, 23) - in jeder Hinsicht, auch für die Glaubwürdigkeitsprüfung der Tatzeugin, bedeutungslos.
Die Beurteilung, welche Untersuchungsmethoden im Einzelfall zur Beantwortung einer an den Sachverständigen herangetragenen Fachfrage erforderlich und zweckentsprechend sind, obliegt allein dem Experten (Mayerhofer StPO4 § 126 E 1a). Soferne das Gutachten keine Mängel im Sinne der §§ 125, 126 StPO aufweist, hat das Schöffengericht daher im Rahmen freier und unanfechtbarer Beweiswürdigung lediglich zu prüfen, ob es bei Bedachtnahme auf alle Umstände des konkreten Falles ausreichend und schlüssig ist.
Solche Mängel, die nach dem Gesetz allein zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens über die Aussageehrlichkeit des Tatopfers berechtigt hätten, vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen, und zwar weder mit dem Hinweis auf seine subjektive und demnach außerhalb seiner Fachkompetenz gelegene Einschätzung, wonach die Expertise (ON 7) deshalb "nicht dem Stand der Wissenschaft" entspreche (309), weil bestimmte Analysen und eine "Sexualanamnese" nicht durchgeführt worden sei, noch mit der - zum allein entscheidenden Zeitpunkt der Antragstellung in der Hauptverhandlung (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 40 und 41) in keiner Weise, vor allem nicht hinsichtlich konkret möglicher Auswirkungen auf ein für den Angeklagten günstigeres Gutachtensresultat substantiierten - Behauptung, das Gutachten verletze angeblich "das methodische Grundprinzip der sogenannten Null-Hypothese" und hätte überdies einer ergänzenden Befundaufnahme durch Befragung des Angeklagten, seiner Ehegattin und Mitgliedern des Lehrkörpers sowie der Durchführung eigener Tests bedurft.
Durch die Abweisung des Antrages auf Einholung eines weiteren jugendpsychologischen Sachverständigengutachtens und Einvernahme der Zeugin Bettina S***** wurden Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers (Z 4) daher nicht verletzt.
Dieses Beschwerdevorbringen ebenso wie der weitere Einwand, die Sachverständige hätte (über konkrete Vorhalte hinaus - 306, 307) den Inhalt der Korrespondenz zwischen Stefanie H***** und Hans M***** (ON 31) sowie angebliche Übereinstimmungen zwischen den Tagebucheintragungen des Tatopfers und dem im erstinstanzlichen Verfahren vom Angeklagten im Übrigen nicht einmal vorgelegten Buch "Ich war zwölf", näher erörtern müssen, erweist sich aber auch als ungeeignet, einen formellen Begründungsmangel (Z 5) darzutun oder erhebliche Bedenken (Z 5a) gegen die festgestellte Täterschaft des Angeklagten zu erwecken. Es zielt in seiner Kritik vielmehr ausschließlich auf die in jeder erdenklichen Richtung unter Einbeziehung aller Verfahrensresultate, auch der bezeichneten Briefe, überaus sorgfältig geprüften (US 18 bis 37) schöffengerichtlichen Glaubwürdigkeitsbeurteilung der Zeugin Stefanie H***** ab, welche nach Überzeugung der Tatrichter sogar ohne Bedachtnahme auf das Gutachten uneingeschränkt positiv ausfiel (US 33) und erschöpft sich damit in einer unzulässigen Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung.
Dass die Überprüfung der Richtigkeit von Angaben minderjähriger Unzuchtsopfer im Übrigen, wie von der Beschwerde sinngemäß postuliert, nach starren Beweisregeln zu erfolgen hat, entspricht keiner "für den ganzen europäischen Rechtsraum richtungsweisenden", sondern einer seit Jahrhunderten überholten Strafrechtspflege. Auch bei umfassendster Orientierung am Fairnessgebot des Art 6 Abs 1 EMRK ist diese wie jede andere Beweisfrage vielmehr evidentermaßen differenziert nach den jeweiligen Gegebenheiten des einzelnen Straffalles zu klären. Sie waren hier dergestalt, dass sie in Ermangelung konkreter Bedenken gegen die Aussageehrlichkeit des zum Zeitpunkt der letzten Tathandlungen bereits sechzehnjährigen Unzuchtsopfers nicht nur kein zweites Gutachten erfordert hätten, sondern die keineswegs generell, sondern nur in besonders gelagerten Ausnahmsfällen gerechtfertigte psychiatrische Untersuchung der Zeugin überhaupt entbehrlich gewesen wäre (Mayerhofer StPO4 § 150 E 41, 50; § 281 Z 4 E 117).
Auf den Antrag, im Rechtsmittelverfahren einen weiteren Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Jugendpsychiatrie beizuziehen, war auf Grund des im schöffengerichtlichen Nichtigkeitsverfahren geltenden Neuerungsverbotes, welches dem Obersten Gerichtshof die Führung von Beweisen über Tatsachen und die Berücksichtigung neuer Fakten verwehrt (Mayerhofer StPO4 § 281 E 15a f), ebensowenig einzugehen, wie auf die erst mit der Nichtigkeitsbeschwerde vorgelegten Ablichtungen aus dem Buch "Ich war zwölf".
Auch die darüber hinaus behaupteten Begründungsmängel (Z 5) liegen nicht vor.
Selbst dort, wo das Erstgericht im Detail keine zeitlich exakte Bestimmung tatrelevanter Einzelheiten vornehmen konnte und sich vereinzelt in nicht entscheidenden Punkten auf Gründe der Evidenz beruft (US 28), steht es in voller Übereinstimmung sowohl mit den als glaubwürdig beurteilten Angaben der Stefanie H***** als auch forensischer Erfahrung, sodass von insoweit willkürlichen Gründen oder abstrakten Vermutungen nicht im mindesten die Rede sein kann. Der Kontext aller Verfahrensergebnisse erlaubt aber auch durchaus den Schluss, dass die belastenden Angaben der Stefanie H***** nicht auf eine Beeinflussung durch dritte Personen, auch nicht durch Hans M*****, zurückzuführen sind (US 29 f). Die in der Beschwerde zitierten Passagen des aktenkundigen und vom Schöffengericht jedenfalls in allen wesentlichen Details auch erörterten Briefwechsels ändern daran nichts. Einer gesonderten Auseinandersetzung mit der dort zum Ausdruck kommenden sexuellen Belästigung des Tatopfers durch einen Gleichaltrigen bedurfte es nicht, weil dieses Vorkommnis nach der Aussage von Stefanie H***** ohne jeden Bezug zum Verhalten des Angeklagten steht (296). Die Annahme der Gewaltakte des Angeklagten gegen sein Stiefkind, welche nicht nur in allen Aussagen des Mädchens (27, 119, 269) sondern auch - und zwar detailliert und mit besonderer Eindringlichkeit - in seinem Tagebuch dokumentiert sind, nur deshalb als willkürlich zu bezeichnen, weil Stefanie H***** angab, sich an ein lange zurückliegendes angebliches Ereignis anderer Art nicht sicher erinnern zu können (290), verlässt den Rahmen sachlicher Argumentation. Ein formeller Nichtigkeitsgrund gelangt aber auch mit den auf eigene Würdigungsvarianten gestützten Einwänden gegen das nach dem Urteilssachverhalt für die Anzeigeerstattung maßgebende Motiv nicht zur gesetzmäßigen Darstellung.
Gleichfalls als reine Schuldberufung ist die - erneut mit für den Angeklagten günstigeren beweiswürdigenden Überlegungen und der lapidaren polemischen Behauptung durchgehend gestellter Suggestivfragen begründete - Kritik an jenen Konstatierungen zu werten, die auf einer in der Hauptverhandlung erweiterten Aussage der Tatzeugin beruhen. Dass der Angeklagte darnach Stefanie H***** auch an der Scheide leckte (US 8), ist durch deren Aussage voll gedeckt (121, 289, 297). Von einer Verletzung logischer Grundsätze und der behaupteten Aktenwidrigkeit kann daher auch in diesem Zusammenhang keine Rede sein.
Schließlich entbehrt auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) einer gesetzmäßigen Darstellung, weil der Beschwerdeführer die darin behaupteten Feststellungsmängel nicht aus einer die Gesetzesanwendung hindernden Lücke der Tatsachenkonkretisierung ableitet, sondern unter sinngemäßer Bestreitung der (zu III.) in subjektiver und objektiver Hinsicht getroffenen Konstatierungen diese durch für den Angeklagten günstigere zu substituieren sucht.
Die teils offenbar unbegründete, teils nicht gesetzmäßig ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war demnach bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1 und 2, 285a Z 2 StPO).
Über die sowohl vom Angeklagten als auch der Staatsanwaltschaft ergriffenen Berufungen hat damit das Oberlandesgericht Graz zu entscheiden (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.
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