OGH 12Os137/23y

OGH12Os137/23y29.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Februar 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. De Rijk in der Strafsache gegen * C* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3a Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * A* und * Z* gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 30. März 2023, GZ 13 Hv 58/22z‑121a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00137.23Y.0229.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

* A* und * Z* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – * A* (zu II./A./) und * Z* (zu II./A./ und C./) jeweils des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3a Z 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach haben in R* in ihrer Funktion als Pfleger im Sozialzentrum S*

II./ gegen andere, wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Personen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt in Form von Misshandlungen am Körper (C./) und von vorsätzlichen mit Strafe bedrohten Handlungen gegen die Freiheit (§ 99 Abs 1 zweiter Fall StGB – A./) ausgeübt, und zwar

A./ in der Zeit von Oktober 2020 bis März 2021 * A* und * Z* in einverständlichem Zusammenwirken mit einer weiteren Angeklagten, indem sie den im Urteil genannten 14 Personen (1./ bis 14./) medizinisch nicht indizierte und ohne ärztliche Verschreibung stark sedierende, im Urteil mit dem Handelsnamen angeführte Medikamente, verabreichten, um diese zumindest mehrere Stunden bis hin zu mehreren Tagen ruhig zu stellen, sohin durch Freiheitsentziehung (§ 99 Abs 1 zweiter Fall StGB),

C./ * Z* nach dem 18. Dezember 2020, indem er * G* am Kopf erfasste und diesen hin und her drehte, obwohl sie einen Halswirbelbruch erlitten hatte und eine Halskrause trug, und sie wiederholt mit kaltem Wasser abduschte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Ihre dagegen, gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden stützen die Angeklagten A* und Z* auf § 281 Abs 1 Z 4 und 9 lit a StPO. Sie schlagen fehl.

[4] Der Erledigung der Verfahrensrüge (Z 4) sei vorangestellt, dass einem aus Z 4 relevanten Beweisantrag (ua) zu entnehmen sein muss, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse und inwieweit dieses für die Schuldfrage und die Subsumtionsfrage von Bedeutung sein soll (RIS‑Justiz RS0118444).

[5] Überdies steht die erstrichterliche Begründung für die Ablehnung von begehrten Beweisaufnahmen (§ 238 Abs 3 StPO) nicht unter Nichtigkeitssanktion. Dagegen gerichtete Einwände bewegen sich außerhalb der Anfechtungskriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (vgl RIS‑Justiz RS0116749).

[6] Ausgehend davon wurden durch die Abweisung nachfolgender Beweisanträge Verteidigungsrechte der Angeklagten nicht verletzt:

[7] Der zum Faktum II./A./ gestellte Antrag auf Einholung eines Befunds und Gutachtens „eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Medizin, dass [durch] die Verabreichung der in der Anklageschrift genannten Medikamente weder eine Freiheitsentziehung, noch eine längere Zeit hindurch fortgesetzte Gewalt ausgeübt wurde, weil die Verabreichung verschiedener Medikamente laut Einzelverordnung von den Angeklagten gegenüber einer Diplomierten hinterfragt und so bestätigt wurde und bei einer Überdosis die hier genannten Bewohner nachweisbare Vergiftungserscheinungen aufgewiesen hätten“ (ON 121 S 50 f), legte nicht dar, aus welchem Grund die behauptete „Rückfrage“ und die Frage einer Überdosierung für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollten.

[8] Gleiches gilt für die weiters begehrte medizinische Expertise „zum Nachweis dafür, dass die für den Zeitraum der Tätigkeit der Angeklagten C*, A*, Z* und F* von den Ärzten angeordnete Dauermedikation einerseits und die in dieser Zeit von den Ärzten angeordnete Einzelverordnungen nicht dem Krankheitsbild der zu diesem Anklagepunkt genannten Bewohnern entsprach, wobei zur Befundaufnahme auch beantragt wird, die Dauermedikation und Einzelverordnungen zeitlich nach der Entlassung der Angeklagten, ab April 2021 bis Dezember 2021, dem Befund zugrunde zu legen ist und sich aus der Dauermedikation und der Einzelverordnungen ab April 2021 ergibt, dass diese Änderung dieser Dauer- und Einzelverordnungen aufgrund des Krankheitsbildes der Bewohner notwendig war, weil die vorangegangene Dauermedikation und Einzelverordnung dem Krankheitsbild der betroffenen Personen nicht entsprachen“ (ON 121 S 51).

[9] Denn insoweit unterließen die Antragsteller jegliche Erklärung, welcher entscheidungswesentliche Umstand mit der Änderung der angesprochenen ärztlichen Verordnungen angesprochen sein soll. Die in der Beschwerde dazu nachgetragenen Argumente zur Antragsfundierung sind prozessual verspätet und daher unbeachtlich (vgl RIS‑Justiz RS0099618).

[10] Die Ablehnung des zu Faktum C./II./ beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis, dass das „Drehen des Kopfes […] nicht möglich war […] aufgrund der Fixierung des Halses durch einen Nackenkrause“ (ON 121 S 51 f), erfolgte schon deshalb zu Recht, weil die Antragsteller nicht erklärten, weshalb die Durchführung des begehrten Sachverständigenbeweises das behauptete Ergebnis erwarten lasse. Zu einer entsprechenden Fundierung wären die Beschwerdeführer aber angesichts der gegenteiligen Verfahrensergebnisse (vgl die Depositionen der Zeugin V* ON 98 S 39 ff) umso mehr verpflichtet gewesen. Soweit der Antrag auch darauf gerichtet war, dass, „das Abduschen mit kaltem Wasser diesem Tatbestand nicht entspricht“, bezog er sich außerdem auf eine – einem Sachverständigenbeweis nicht zugängliche – Rechtsfrage.

[11] Das Begehren auf Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass „der Chat-Verkehr nur gewesen ist zur Abarbeitung der psychischen Belastung der Angeklagten begründet durch die chronische Belastung bzw. Überlastung bzw. die mangelnde Anstaltsführung durch Nichterfüllung einer Supervision, dies aufgrund der permanenten Befassung der Angeklagten mit Personen mit Hilflosigkeit, Hilfstätigkeit, dem Sterben, dem Niedergang der dementen Menschen, den schweren Handlungsstörungen der Bewohner, die belastend und schwierig zu bewältigen sind, was bewirkt eine chronische Überforderung der Angeklagten und einen schleichenden Verlust zumindest der professionellen verbalen Ausdrucksweise, wobei diese Anzeichen einer Überforderung nicht erkannt wurden von der Anstaltsleitung und keine Gegenmaßnahmen ergriffen wurden durch eine tatsächlich leitende Funktion, um eine destruktive Entwicklung abzufangen“ (ON 121 S 52 f), ließ nicht erkennen, inwieweit die behauptete „psychische Belastung“ oder „chronische Überforderung“ für die Lösung der Schuldfrage relevant sein sollte.

[12] Entsprechendes gilt schließlich für den (erneut zu II./A./ gestellten) Antrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens „zum Nachweis dafür, dass die von den Angeklagten und allen übrigen Pflegepersonen gegebenen Einzelverordnungen dies laut Vorschreibung und auch Rücksprache mit den Diplomierten und der Dauermedikation dazu führten, dass Bewohner in der Früh wiederholt schläfrig waren oder einen müden Eindruck machten, jedenfalls auch deshalb, weil Einzelverordnungen mit beruhigender Wirkung nicht zur gleichen Zeit am Abend oder während der Nacht gegeben wurden, sondern auch nach Mitternacht bis zum Teil in den Morgenstunden und die zeitliche Verschiedenheit der Gabe der Medikamente notwendig war nach dem Zustand der Bewohner und die einzelnen beruhigenden Medikamente eine unterschiedliche Wirkungsdauer beinhalten und auch ausgeübt haben auf die betroffenen Personen“ (ON 121 S 53 f). Denn auch insoweit unterließen es die Antragsteller, einen Bezug zwischen der behaupteten Schläfrigkeit der Patienten und den jeweiligen Tatvorwürfen herzustellen.

[13] Nach den wesentlichen Feststellungen verabreichten die mit jeweiligem Gesamtvorsatz handelnden (US 23 f) Angeklagten den im Schuldspruch II./A./ genannten Personen in einverständlichem Zusammenwirken – ohne ärztliche Verordnung oder über die ärztlich verordnete Dosierung hinaus – wiederholt und regelmäßig in einem Zeitraum von einigen Monaten sedierende Medikamente, um die Opfer für mehrere Stunden bis hin zu mehreren Tagen ruhig zu stellen (US 22, 24).

[14] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) diesen Sachverhalt ausblendet und ihre Behauptung fehlender Konstatierungen lediglich aus der illustrierenden Schilderung der Krankengeschichten der jeweiligen Patienten im Urteil (US 24–42) abzuleiten sucht, erweist sie sich als nicht prozessordnungskonform ausgeführt (vgl RIS‑Justiz RS0099810).

[15] Weshalb die Tatrichter über die Feststellungen zur sedierenden Wirkung der jeweiligen Medikamente hinaus solche zur konkreten Dosis hätten treffen müssen, erklärt die weitere Beschwerde nicht.

[16] Das Rechtsmittel richtet sich ferner gegen einen Angriff (II./C./), der im Rahmen der (mit II./A./) konstatierten tatbestandlichen Handlungseinheit begangen wurde und somit die rechtliche Beurteilung nicht tangiert (vgl RIS‑Jusitz RS0127374). Die dazu erhobenen Einwände können daher auf sich beruhen.

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[18] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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