OGH 12Os133/20f

OGH12Os133/20f4.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Februar 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen Mohammad M***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ali B***** und Mehran Be***** M***** gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 15. Mai 2020, GZ 23 Hv 2/20d ‑ 66, und über die Beschwerde des Ali B***** gegen einen zugleich ergangenen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00133.20F.0204.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten Ali B***** und Mehran Be***** M***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuldsprüche des Mitangeklagten Mohammad M***** enthaltenden Urteil wurden Ali B***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (A./I./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (A./II./) sowie Mehran Be***** M***** des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (A./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (B./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben (soweit hier von Relevanz)

Ali B*****

A./I./ in B*****, Bü*****, S***** und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er

1./ im April 2019 insgesamt etwa ein Kilogramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest etwa 10 % THCA (2,5‑fache Grenzmenge) und etwa 1 % Delta‑9‑THC (0,5‑fache Grenzmenge) an den bereits rechtskräftig verurteilten Morteza F***** verkaufte,

2./ in der Zeit von etwa Anfang Mai 2019 bis etwa Anfang Juli 2019 im Zuge von sechs Angriffen insgesamt etwa fünf Kilogramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest etwa 10 % THCA (12,5‑fache Grenzmenge) und etwa 1 % Delta‑9‑THC (2,5‑fache Grenzmenge) an Mohammad M***** zum Zwecke des Weiterverkaufs an den bereits rechtskräftig verurteilten Morteza F***** übergab,

3./ in der Zeit von etwa Anfang 2019 bis zumindest Mitte des Jahres 2019 insgesamt etwa 19 kg Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest etwa 10 % THCA (47,5‑fache Grenzmenge) und etwa 1 % Delta‑9‑THC (9,5‑fache Grenzmenge), etwa 100 Gramm Heroin und etwa 500 Gramm Opium, an den Drittangeklagten Mehran Be***** M***** (insgesamt zumindest sechs Kilogramm Cannabiskraut) zur Zwischenlagerung übergab und in der Folge die oben genannten Suchtgiftmengen an Mohammad M***** (nämlich 500 Gramm Opium) sowie an bislang namentlich nicht ausgeforschte Subhändler und Abnehmer verkaufte,

und Mehran Be***** M*****

A./ in (richtig:) Bü***** (US 10) vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich zumindest in zwei Angriffen insgesamt etwa sechs Kilogramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest etwa 10 % THCA (15‑fache Grenzmenge) und etwa 1 % Delta‑9‑THC (3‑fache Grenzmenge) in der Zeit von etwa Anfang 2019 bis zumindest etwa Mitte des Jahres 2019 mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es durch Ali B***** in Verkehr gesetzt werde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die Ali B***** auf Z 5 und Z 5a sowie Mehran Be***** M***** auf Z 5, 5a und 9 lit a jeweils des § 281 Abs 1 StPO stützen. Sie schlagen fehl.

 

[4] Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ali B*****:

[5] Mit dem auf den konstatierten Reinheitsgehalt des tatverfangenen Suchtgifts (US 13) bezogenen Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) verkennt die Beschwerde, dass dieser Nichtigkeitsgrund nur dann vorliegt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 467). Da die Tatrichter lediglich die Fundstelle der in Rede stehenden Aussage des Morteza F***** anführten, ohne deren Inhalt wiederzugeben (US 2), liegt ein Zitat aber nicht vor. Im Übrigen hätte die Annahme des in der Beschwerde angeführten Reinheitsgehalts von 5 % THCA und 0,5 % Delta‑9‑THC eine Änderung der Subsumtion unter § 28a Abs 4 Z 3 SMG nicht zur Folge.

[6] Der formelle Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrenseinräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS‑Justiz RS0119583).

[7] Mit der Behauptung, Mohammad M***** sei aufgrund wechselnder Verantwortung und Feindschaft zu Ali B***** – den anderslautenden Erwägungen der Tatrichter zuwider (US 18 f) – unglaubwürdig, zielt die Beschwerde außerhalb dieses Anfechtungsrahmens auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichts ab.

 

[8] Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mehran Be***** M*****

[9] Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Festellungen zum Tathergang keineswegs offenbar unzureichend, sondern mit der (entgegen der aus Z 5 zweiter Fall erhobenen Kritik erörterten [insb US 20]) Aussage des Mitangeklagten Mohammad M***** im Einklang mit den Kriterien logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen (vgl RIS‑Justiz RS0118317) begründet (US 18 bis 20). Das dazu erstattete Vorbringen, die Aussage des Mohammad M***** reiche zur Begründung der bekämpften Feststellungen nicht aus, er habe den Angeklagten Ali B***** aufgrund einer Feindschaft zu Unrecht belastet, es seien beim Beschwerdeführer keine Drogen gefunden worden und sei das Entdeckungsrisiko eines Zwischenlagers in seinem Zimmer zu hoch gewesen, erschöpft sich in bloßer Beweiswürdigungskritik nach Art einer (unzulässigen) Schuldberufung.

[10] Dem Einwand unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) der Urteilskonstatierungen zur tatverfangenen Suchtgiftmenge (US 11) zuwider war das Erstgericht nicht dazu verhalten, isoliert hervorgehobene Passagen der Aussage des Mohammad M*****, wonach Ali B***** das (in fünf Teillieferungen von je drei Kilogramm und einer Teillieferung von vier Kilogramm nach Bü***** transportierte [US 8 f]) Suchtgift teils bei Mehran Be***** M*****, teils am Dachboden gelagert habe und es fallweise zum Verkauf des Suchtgifts unmittelbar nach der Ankunft in Bü***** gekommen sei (ON 65 S 9 ff), zu erörtern, weil diese der Urteilsannahme, der Beschwerdeführer habe etwa sechs Kilogramm (10 % THCA und 1 % Delta‑9‑THC enthaltendes) Cannabiskraut erworben und besessen (US 11), nicht entgegenstehen.

[11] Die Behauptung (nominell Z 5 vierter Fall), die festgestellte Suchtgiftmenge könne entgegen den Erwägungen der Tatrichter (insb US 18 [„und was nach der Rückkehr in Bü***** mit dem Suchtgift weiter geschah“]) nicht auf die Aussage des Mohammad M***** gestützt werden, stellt abermals eine unzulässige Beweiswürdigungskritik dar und negiert im Übrigen die Aussage des Genannten, zwei- bis dreimal sei eine Lieferung im Zimmer des Beschwerdeführers gelagert worden (ON 65 S 11).

[12] Selbiges gilt auch für die weiteren Ausführungen der Mängelrüge, Mohammad M***** sei unglaubwürdig, weil er sich nicht vollumfänglich geständig gezeigt habe und dazu neige, andere zu Unrecht zu belasten, die Beweise seien allein zu Lasten des Angeklagten gewürdigt worden, die Tatrichter hätten den Grundsatz in dubio pro reo missachtet (vgl aber RIS‑Justiz RS0102162) und sei aufgrund der Verfahrensergebnisse nicht auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zu schließen.

[13] Die Aufklärungsrüge (Z 5a) ist einer Erwiderung nicht zugänglich, weil sie nicht einmal eine konkret durchzuführende Beweisaufnahme nennt (vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0115823).

[14] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet, die Menge des tatverfangenen Suchtgifts sei nicht feststellbar und die Annahme der subjektiven Tatseite beruhe auf Vermutungen, orientiert sie sich prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0099810&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ) nicht am festgestellten Sachverhalt (US 11). Der Sache nach greift der Beschwerdeführer neuerlich die tatrichterliche Beweiswürdigung an.

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizierte) Beschwerde des Ali B***** folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

[16] Bleibt zu bemerken, dass Ali B***** zu A./II./ das Suchtgift – vom Zeitraum Anfang des Jahres 2019 bis Mitte des Jahres 2019 abgesehen (US 8 f, US 14 erster Absatz) – ausschließlich zum persönlichen Gebrauch („Eigenkonsum“) erworben und besessen hat (US 14 drittletzter Absatz; zur gesonderten Betrachtung des jeweiligen Suchtgiftbezugs unter dem Aspekt des § 27 Abs 2 SMG vgl RIS‑Justiz RS0126214). Somit unterblieb zu A./II./ rechtsirrig eine Unterstellung der außerhalb des Zeitraums Anfang des Jahres 2019 bis Mitte des Jahres 2019 begangenen Taten (auch) unter die Privilegierung nach § 27 Abs 2 SMG (vgl 15 Os 12/17d).

[17] Zudem unterließ es das Erstgericht hinsichtlich des Mehran Be***** M***** betreffenden Schuldspruchs B./ zu den Voraussetzungen des § 27 Abs 2 SMG in tatsächlicher Hinsicht Stellung zu beziehen, obwohl dieser Ausnahmesatz (11 Os 21/18z) durch ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Sachverhaltssubstrat (ON 65 S 28) indiziert war (vgl 12 Os 95/12f; zum Feststellungsmangel allgemein Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 600 und 611).

[18] Diese für die Angeklagten im Hinblick auf die auf Basis des § 28a Abs 4 SMG (Ali B*****) und des § 28 Abs 2 SMG (Mehran Be***** M*****) (in Anwendung des § 28 StGB) erfolgte Strafrahmenbildung sowie den Umstand, dass das Erstgericht bei der Strafbemessung (unter anderem) jeweils bloß das „Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen“ als erschwerend wertete (US 22 f), ohne nachteilige Wirkung gebliebenen Subsumtionsfehler (Z 10) bedurften keiner amtswegigen Wahrnehmung durch den Obersten Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO). Aufgrund dieses Hinweises ist das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung auch nicht an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO gebunden (RIS‑Justiz RS0118870).

[19] Die Kostenersatzpflicht gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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