OGH 12Os125/12t

OGH12Os125/12t10.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Meryem S***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19. Juli 2012, GZ 72 Hv 22/12z-57, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Angeklagte mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, teils als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB (I./ und III./), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.

Danach hat sie in W***** zwischen Herbst 2010 und März 2011

I./ mit einer unmündigen Person, nämlich der am 29. August 2000 geborenen Eylül Ö*****, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem sie diese mit einem Plastikpenis wiederholt anal penetrierte;

II./ dadurch, dass sie wiederholt Massagen an Scheide und Brust der Eylül Ö***** durchführte oder von dieser an sich durchführen ließ, außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen oder durch die Unmündige an sich vornehmen lassen;

III./ dadurch, dass sie Öl auf den After der unmündigen Eylül Ö***** träufelte, um das Eindringen zu erleichtern, und sie dazu aufforderte, den Penis des abgesondert verfolgten unbekannten Täters „Muhamed“ in den Mund zu nehmen, zur Ausführung der strafbaren Handlungen des abgesondert verfolgten unbekannten Täters „Muhamed“ beigetragen, der mit der Unmündigen dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen, nämlich wiederholten Analverkehr und einmaligen Oralverkehr unternahm;

IV./ mit ihrer minderjährigen Tochter Eylül Ö***** durch die zu den Punkten I./, II./ und III./ beschriebenen Tathandlungen geschlechtliche Handlungen vorgenommen oder durch diese an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Angeklagten aus Z 4, 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) durfte der von der Angeklagten in der Hauptverhandlung am 19. Juni 2012 gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur Glaubwürdigkeit der Eylül Ö***** (ON 51 S 81) schon deshalb ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden, weil nicht einmal behauptet wurde, dass die Zeugin die erforderliche Zustimmung zu einer Exploration erteilt hätte oder erteilen würde (RIS-Justiz RS0097584, RS0118956, RS0108614). Überdies wäre das Einverständnis eines gesetzlichen Vertreters erforderlich (RIS-Justiz RS0118956; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Ein derartiges Gutachten ist darüber hinaus nur dann einzuholen, wenn das Gericht die ihm allein zukommende Aufgabe, die Glaubwürdigkeit einer Beweisperson aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks zu überprüfen, nicht ohne fremde Expertise erfüllen kann. Dies ist etwa bei abwegiger Veranlagung in psychischer oder charakterlicher Hinsicht, bei in der Hauptverhandlung zu Tage getretenen Entwicklungsstörungen oder bei Hinweisen auf eine Beeinflussung des Aussageverhaltens von unmündigen oder psychisch kranken Personen der Fall (RIS-Justiz RS0097733). Derartige außergewöhnliche Umstände vermochte die Beschwerdeführerin nicht aufzuzeigen.

Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) hat das Schöffengericht sich mit der leugnenden Verantwortung der Angeklagten auseinandergesetzt (US 9), weshalb von Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe nicht gesprochen werden kann.

Das weitere aus Z 5 erhobene Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde, es wären am Opfer keine Spermienspuren gefunden worden, der nicht ausgeforschte „Mohamed“ sei möglicherweise eine Erfindung der Eylül Ö*****, ebenso könnten „die Anschuldigungen der Tochter gegen die Mutter“ frei erfunden sein, das Opfer habe sich die Verletzungen mit dem Plastikpenis allenfalls selbst zugefügt und die Tatrichter hätten die Beweise auch gegenteilig würdigen können, richtet sich nach Art einer - im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen - Schuldberufung gegen die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung.

Z 5a will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780). Mit dem Vorbringen, für die Existenz des nicht ausgeforschten „Muhamed“ gäbe es keine objektiven Beweise, er könne auch „einer Phantasie des Opfers entsprungen“ sein und dem Hinweis auf den „türkischen Hintergrund“ gelingt es jedenfalls nicht, solche qualifizierten Bedenken zu wecken.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) führt aus, es bestünden erhebliche Zweifel, dass die Angeklagte die ihr zur Last gelegten Taten auch wirklich begangen hat, es stünde Aussage gegen Aussage, und verfehlt damit mangels Festhaltens am festgestellten Sachverhalt prozessordnungskonforme Ausführung (RIS-Justiz RS0099810).

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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