European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00124.20G.1207.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Jakob S***** des Verbrechens der erpresserischen Entführung nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 102 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er von 26. April bis 18. Juni 2019 in der Justizanstalt ***** versucht, zwei Mithäftlinge („anonyme Zeugen 1 und 2“) dazu zu bestimmen, ihre Buttermesser anzuspitzen und zu schärfen und in weiterer Folge an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag bei einem gemeinsamen Hofspaziergang mindestens einen, wenn möglich jedoch zwei hochrangige Justizwachebeamte unter Zuhilfenahme der derart präparierten Messer als Geisel zu nehmen, sohin die Justizwachebeamten ohne deren Einwilligung mit Gewalt, oder nachdem sie die Einwilligung durch gefährliche Drohung mit dem Tod oder zumindest einer Verletzung am Körper erlangt hätten, zu entführen oder sich sonst ihrer zu bemächtigen, um Dritte, nämlich Verantwortliche der Justizanstalt *****, gemeinsam zu ihrer Freilassung sowie der Freilassung der Anführerin des „Staatenbundes Österreich“, Monika U*****, und fünf bis sechs weiterer Häftlinge zu nötigen, wobei es infolge der Weigerung der anonymen Zeugen, die von Jakob S***** geplante Tat auszuführen und deren Meldung des Vorhabens an die Polizei lediglich beim Versuch blieb.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Angeklagten aus § 345 Abs 1 Z 1, 5 und 10a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.
Die Besetzungsrüge (Z 1) zieht die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der Vorsitzenden des Geschworenengerichts mit dem Vorbringen in Zweifel, sie habe den Angeklagten bei seiner zusammenhängenden Erklärung des Sachverhalts im Sinn des § 245 Abs 1 StPO mehrfach unterbrochen.
Ausgeschlossenheit im Sinn des hier angesprochenen § 43 Abs 1 Z 3 StPO liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn aufgrund des äußeren Anscheins der objektiv gerechtfertigte Eindruck entsteht, dass unsachliche Motive eine unparteiische Entscheidungsfindung hemmen (Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 9 f mwN). Nach dem anzulegenden Maßstab eines verständig würdigenden objektiven Beurteilers vermögen jedoch die vom Beschwerdeführer kritisierten Unterbrechungen durch die Vorsitzende keine Zweifel im dargestellten Sinn zu wecken (vgl RIS‑Justiz RS0097086 [T5]).
Der Angeklagte beantragte in der Hauptverhandlung die Enthebung der Sachverständigen Dr. Adelheid K*****, weil sie den Angeklagten bereits „im Staatenbundprozess“ begutachtet habe, der Angeklagte gegen sie eine Strafanzeige erstattet habe und sie nicht in die Liste der Gerichtssachverständigen eingetragen sei (ON 60 S 4).
Die Abweisung dieses Antrags durch den Schwurgerichtshof verletzte entgegen den Ausführungen der Verfahrensrüge (Z 5) keine Verteidigungsrechte des Angeklagten:
Weder aus der früheren Begutachtung des Angeklagten in einem anderen Verfahren noch aus der Anzeige durch den Genannten, von welcher die Expertin vor der Hauptverhandlung keine Kenntnis hatte und welche die Staatsanwaltschaft nicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens veranlasste (§ 35c StAG; ON 60 S 7 f), ergibt sich deren Befangenheit im Sinn des § 47 Abs 1 Z 3 iVm § 126 Abs 4 StPO. Außerdem verkennt der Rechtsmittelwerber, dass die beigezogene Fachärztin für Psychiatrie unabhängig von ihrer Eintragung in die Sachverständigenliste psychiatrische Sachverständige ist (RIS-Justiz RS0101647 [T1]).
Indem der Angeklagte weitere Gründe für die Befangenheit der Sachverständigen anführt, übersieht er, dass bei der Prüfung der Berechtigung eines Antrags von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Antragstellung und den bei derselben vorgebrachten Gründen auszugehen ist (RIS‑Justiz RS0099618).
Z 10a des § 345 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Nichtigkeit aus Z 10a liegt nur vor, wenn die Beschwerde dartun kann, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben und damit eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt (RIS‑Justiz RS0118780 [T17]).
Mit dem Hinweis auf die als glaubhaft bezeichnete leugnende Verantwortung des Angeklagten, welchem es wegen seines massiven Leistenbruchs mit Blick auf Wechselwirkungen zwischen physischer Verfassung und Psyche unmöglich gewesen wäre, die ihm vorgeworfene Geiselnahme zu planen, seine langjährige Tätigkeit als Gendarm sowie ein mögliches Motiv der „anonymen Zeugen 1 und 2“, sich durch die Aussage gegen den Angeklagten Vorteile zu verschaffen, wird der Anfechtungsrahmen des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes jedoch verlassen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)